Entdeckung von Check-point-Inhibitoren

Medizinnobelpreis
rme/aerzteblatt.de
Medizinnobelpreis
Tasuku Honjo, Professor an der Universität von Kyoto, und der US-Immuntherapeut James P. Allison (links) Ilustration: Niklas Elmehed. Copyright: Nobel Media AB 2018
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Den diesjährigen Nobelpreis für Medizin und Physiologie teilen sich der US-amerikanische Immunologe James Allison und der japanische Immunologe Tasuku Honjo für „ihre Entdeckung der Krebstherapie durch Hemmung der negativen Immunregulation“. Der Preis honoriert die Grundlagenforschung, die zur Entwicklung der Krebstherapie mit Checkpoint-Inhibitoren geführt hat.

Bereits im späten 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde versucht, Krebserkrankungen durch eine Aktivierung des Immunsystems zu bekämpfen. Patienten wurden absichtlich mit Bakterien infiziert, um eine Entzündungsreaktion zu provozieren, die sich auch gegen Krebszellen richtet. Dieses Konzept hat in der Behandlung von Blasenkrebs bis heute überlebt: Bei Patienten, deren Tumor nicht durch eine Zystektomie kuriert werden kann, gehört die Spülung der Blase mit dem Bakterium Bacillus-Calmette-Guérin weiterhin zu den empfohlenen Therapien.

Die Grundlagen der körpereigenen Immunabwehr konnten in den letzten Jahrzehnten weitgehend entschlüsselt werden. In Krebszellen kommt es zu einer Häufung von Mutationen, die die Oberflächeneigenschaften der Zellen verändern. Es kommt zur Bildung von Neoantigenen, die vom Immunsystem als fremd eingestuft und von zytotoxischen T-Zellen zerstört werden.

Das Immunsystem verfügt jedoch über eingebaute Bremsen, die eine überschießende Immunantwort verhindern sollen. Es handelt sich vermutlich um einen Selbstschutz, der die Entstehung von Autoimmunerkrankungen vermeiden soll.

Eine dieser Bremsen des Immunsystems wurde Anfang der 1990er-Jahre entdeckt. James Allison, der damals an der Universität von Kalifornien in Berkeley forschte, hatte als einer von mehreren Wissenschaftlern die Beobachtung gemacht, dass die Aktivität von zytotoxischen T-Zellen über den Rezeptor CTLA-4 („cytotoxic T-lymphocyte-associated Protein 4“) gebremst werden kann. Während andere Forscherteams CTLA-4 als einen möglichen Ansatzpunkt für die Behandlung von Autoimmunerkrankungen betrachteten (was sich bisher klinisch nicht durchgesetzt hat), hatte Allison eine andere Idee. Der Forscher hatte damals einen Antikörper entwickelt, der an CTLA-4 bindet und seine Funktion blockiert. Er vermutete, dass eine CTLA-4-Blockade die T-Zell-Bremse lösen und dadurch die Immunantwort gegen Krebserkrankungen verstärken könnte.

Im Jahr 1996 konnte Allison an Mäusen zeigen, dass der CTLA-4-Antikörper zur Abstoßung von transplantierten Tumoren führte. Die Tiere entwickelten zudem eine Immunität, die sie vor späteren Transplantationen von Krebstumoren schützte (Science 1996; 271: 1734–6). Allison schlug die Therapie zur Behandlung des Prostatakarzinoms vor (Proceedings of the National Academy of Sciences 1997; 94: 8099–8103), doch seine Idee stieß zunächst auf wenig Resonanz.

T-Zellen griffen die Melanomzellen an

Schließlich konnte Allison die Therapie Anfang der 2000er-Jahre in einer Phase-1-Studie an 7 Patienten mit fortgeschrittenem Melanom und 2 Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom testen. Die Infusion des Antikörpers MDX-CTLA-4 führte zunächst zu keinerlei Reaktion. Nach einigen Wochen kam es jedoch zu einer ausgeprägten Immunantwort, die gleich beim ersten Patienten zu einem 90-prozentigen Rückgang der Tumormasse führte. Der Angriff auf Hirnmetastasen hatte allerdings auch Blutungen zur Folge, die vermutlich den Tod des Patienten beschleunigten.

In den Gewebeschnitten konnte Allison beobachten, dass die T-Zellen die Melanomzellen angegriffen und abgetötet hatten. Bei 2 weiteren Melanompatienten kam es ebenfalls zu ausgedehnten Tumornekrosen, während 4 weitere Patienten nicht auf die Therapie ansprachen. Bei den beiden Frauen mit Ovarialkarzinom kam es nur zu einer Reduktion des Tumormarkers CA-125.###more###

Wirkstoff Ipilimumab zur Behandlung des malignen Melanoms 2011 zugelassen

Die in den Proceedings of the National Academy of Sciences (2003; 100: 4712–4717) publizierten Ergebnisse überzeugten die Skeptiker und führten schließlich zur Entwicklung des Wirkstoffs Ipilimumab, der in den USA im März 2011 und in Europa 4 Monate später zur Behandlung des malignen Melanoms zugelassen wurde. Ipilimumab wurde in klinischen Studien auch bei anderen Krebserkrankungen getestet. Das Melanom blieb jedoch bisher die einzige Indikation.

Wesentlich erfolgreicher war dagegen eine Immuntherapie, die auf den Erkenntnissen des zweiten Nobelpreisträgers beruht. Tasuku Honjo war zunächst nicht auf der Suche nach einer Krebstherapie. Er beschäftigte sich an der Universität Kyoto Anfang der 1990er-Jahre mit den Faktoren, die im Thymus den programmierten Zelltod von T-Zellen auslösen. Dies ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung des Immunsystems nach der Geburt.

Bei den Experimenten entdeckte Honjo das Gen PD-1 (für „programmed cell death-specific“; EMBO Journal 1992; 11: 3887–3895). Honjo konnte zeigen, dass das Gen PD-1 die Information für einen Rezeptor auf der Oberfläche der T-Zellen enthielt, der offenbar eine wichtige Rolle bei der Vermeidung von Autoimmunerkrankungen hat: Mäuse, denen das Gen für PD-1 fehlte, erkrankten im jungen Alter an einem Lupus erythematodes mit schweren Gelenkentzündungen und einer Glomerulonephritis (Immunity 1999; 141: 141–151). Später entdeckte Honjo auch den Liganden PD-L1, durch dessen Bindung am Rezeptor PD-1 der programmierte Zelltod ausgelöst wird.

Der Ligand PD-L1 wird normalerweise von antigenpräsentierenden Zellen gebildet, die zytotoxische T-Zellen von der Attacke auf die körpereigenen Zellen abhalten (Journal of Experimental Medicine 2000; 192: 1027–1034). Die Aktivierung von PD-1 erzielt damit die gleiche Wirkung wie CTLA-4, wenn auch über einen anderen Mechanismus.

Honjo beobachtete damals, dass auch Krebszellen den Liganden PD-L1 bilden können. Er vermutete, dass sich die Krebszellen dadurch einem Angriff des Immunsystems entziehen, was sich in ersten Experimenten an Mäusen bestätigen sollte: Die Entfernung des Gens PD-1 beschleunigte die hämatogene Streuung von Melanomzellen. Nicht nur Melanomzellen können das Immunsystem austricksen. Auch Darmkrebszellen nutzen den Liganden PD-L1, um ungehindert vom Immunsystem in andere Organe zu streuen (International Immunology 2004; 17: 133–144).

Erstes Immuntherapeutikum 2014 in den USA und 2015 in Europa zugelassen

Diese Experimente legten den Grundstein für die zweite und heute erfolgreichere Form der Immuntherapie. Mit Nivolumab wurde 2014 in den USA und 2015 in Europa das erste Immuntherapeutikum zugelassen, das den PD-1-Rezeptor blockiert. Nivolumab wird heute – im Gegensatz zu Ipilimumab – nicht nur beim Melanom eingesetzt. Das Indikationsspektrum umfasst auch das nichtkleinzellige Lungenkarzinom, das Nierenzellkarzinom, das klassische Hodgkinlymphom, das Plattenepithelkarzinom im Kopf-Hals-Bereich und das Urothelkarzinom. Im August 2018 wurde mit Pembrolizumab ein weiterer Antikörper zugelassen, der den PD-1-Rezeptor blockiert. Pembrolizumab ist ebenfalls für mehrere Krebserkrankungen zugelassen. Inzwischen gibt es mit Avelumab und Atezolizumab (Zulassung 2017) erste Antikörper, die den Liganden PD-L1 hemmen (mit Durvalumab steht ein weiterer vor der Zulassung).

Die Immun-Checkpoint-Therapie hat sich innerhalb weniger Jahre zu einer wichtigen Säule der Krebsbehandlung entwickelt. Ähnlich wie bei anderen Krebstherapien treten Nebenwirkungen auf, die schwerwiegend und sogar lebensbedrohlich sein können. Sie werden durch eine überaktive Immunantwort verursacht, die zu Autoimmunreaktionen führt. Die Nebenwirkungen sind jedoch vielfach beherrschbar.

Ein weiterer interessanter Ansatz besteht derzeit in der Kombination der beiden Immuntherapien, durch die in ersten klinischen Studien die Effektivität weiter verstärkt werden konnte.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus Deutsches Ärzteblatt, 01.10.2018: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/98213/Medizinnobelpreis-fuer-Entdeckung-von-Checkpoint-Inhibitoren








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