Auch in der Medizin wird die Natur verstärkt zum Vorbild für Innovationen. Verwendet wird dafür oft der Begriff der Bioinspiration. Ein viel versprechendes Forschungsfeld ist seit einigen Jahren die Spinnenseide. Nun haben Forscher/-innen der Universität Bayreuth unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Scheibel herausgefunden, dass Materialien aus Spinnenseide gezielt so verändert oder verarbeitet werden können, dass lebende Zellen eines bestimmten Typs an ihnen haften bleiben, wachsen und sich vermehren. Es ist gelungen, zellspezifische Effekte der Materialien durch biochemische Modifikationen der Seidenproteine zu erreichen. Dies kann aber auch durch die Oberflächenstrukturierung von Beschichtungen aus Spinnenseide erreicht werden. Die kürzlich veröffentlichten Forschungsergebnisse könnten die regenerative Medizin und die Herstellung von künstlichem Gewebe voranbringen.
Wie kann ein Gerüst aus Spinnenseide optimiert werden?
Bei der biomedizinischen Wiederherstellung von beschädigtem oder zerstörtem Gewebe kommt es in vielen Fällen darauf an, die Entwicklung spezifischer Zellen anzuregen und zu steuern. Zellen unterschiedlichen Typs, beispielsweise Haut-, Muskel- und Nervenzellen, müssen beteiligt sein, damit ein funktionierender Zellverbund entsteht. Dabei hilft ein in den Körper implantiertes Gerüst aus Spinnenseide. An dieses Gerüst lagern sich eine wachsende Zahl neu entstehender Zellen an. Eine wichtige Voraussetzung für den natürlichen Wiederaufbauprozess sind die Bioabbaubarkeit und die Verträglichkeit der Spinnenseidenproteine. Doch wie kann ein derartiges Gerüst aus Spinnenseide optimiert werden? Dies zeigen jetzt die am Lehrstuhl für Biomaterialien erzielten Bayreuther Forschungsergebnisse. Für räumlich verschiedene Abschnitte des Gerüsts können künftig Materialien verwendet werden, die sich besonders gut für die gezielte Anlagerung, das Wachstum und die Vermehrung von Zellen eines benötigten Zelltyps eignen. Infolgedessen eignet sich ein solches in den Körper implantiertes Gerüst aus Spinnenseide hervorragend für die Herstellung großer natürlicher Gewebestrukturen, an denen verschiedene Zelltypen beteiligt sind. Es wird, je weiter dieser Aufbau voranschreitet, allmählich auf natürliche Weise abgebaut.
Wie können Abstoßungsreaktionen unterdrückt werden?
Die Ergebnisse der beiden Studien kommen ebenso der Optimierung von Implantaten zugute, die natürliches Gewebe auf Dauer ersetzen und im Körper verbleiben sollen. Dabei sollen Implantate nicht durch Entzündungen oder allergische Reaktionen abgestoßen werden. Eine Beschichtung aus Spinnenseide, die den jeweiligen Zelltypen im umgebenden Gewebe optimal angepasst ist und deren Anlagerung fördert, helfen, solche Abstoßungsreaktionen zu vermeiden. Entsprechend können sie somit zur störungsfreien Integration des Implantats in den Organismus beitragen.
Biochemische Modifikationen der Spinnenseide
Gezeigt wurde, dass Seidenproteine durch den Einbau von Peptiden (kurzkettige Polyaminosäuren) funktional verändert werden können. Damit können zellspezifische Effekte von Materialien aus Spinnenseide erzeugt werden. Mit Zellen wechselwirkende (zelladhäsive) Peptide sind unter anderem in der Extrazellulären Matrix (EZM) natürlicher Gewebe enthalten. Die Bayreuther Forscher/-innen haben einige zelladhäsive Peptide, die in der EZM zahlreicher Organismen (auch des Menschen) vorkommen, in mehrere Varianten eines Seidenproteins eingepflanzt. Dieses ist von einer Spinnenseide der Gartenkreuzspinne abgeleitet. Infolge der biochemischen Modifikation erwiesen sich einige dieser veränderten Seidenproteine generell als zelladhäsiv, andere zeigten generell ein zellabweisendes Verhalten. In einigen Fällen konnten jedoch darüber hinaus zellspezifische Interaktionen beobachtet werden. Besonders auffällig waren dabei die Wirkungen des Peptids KGD. Es fördert gezielt die Anheftung und das Wachstum von Myoblasten. Dies sind embryonale Muskel-Vorläuferzellen, die sich zu Muskelfasern weiterentwickeln können.
„Unsere Forschungsergebnisse zeigen einen neuartigen Weg auf, der zu zellspezifischen Anwendungen von Materialien aus Spinnenseide führt – sei es beim Design von Gerüsten zur Förderung natürlicher Regenerationsprozesse, bei der Beschichtung von Implantaten oder auch beim 3D-Druck von Hydrogelen mit eingekapselten Zellen, die zu Funktionsmaterialien weiterverarbeitet werden können“, sagt Vanessa Trossmann, M. Sc.
Beschichtungen aus Seidenproteinen lithografisch optimieren
Die zweite Studie präsentiert einen anderen Weg zur Optimierung von Spinnenseide-Materialien. Beschichtungen, die aus einem direkt von der Seide der Gartenkreuzspinne abgeleiteten Seidenprotein gefertigt sind, zeigen von sich aus – ohne biochemische Modifikation – kein zelladhäsives Verhalten. Das Forschungsteam um Prof. Dr. Thomas Scheibel hat jetzt mit einem lithografischen Verfahren die Oberfläche dieser Beschichtungen so strukturiert, dass dadurch die Anlagerung und das Wachstum von Zellen eines bestimmten Typs gezielt stimuliert werden. Die Reaktionen unterschiedlicher Zellen auf die Form und Größe der in die Oberfläche eingeprägten geometrischen Strukturen hängen stark vom jeweiligen Zelltyp ab. Unter anderem von der Größe der jeweiligen Zellen. Dies hatten umfangreiche Tests belegt. „Auf der Basis unserer Forschungsergebnisse wird es möglich sein, Beschichtungen aus Seidenproteinen – oder auch aus anderen biokompatiblen Materialien – lithografisch so zu optimieren, dass sie zellspezifisch die natürliche Regeneration komplexer Gewebestrukturen anregen und vorantreiben“, sagt Scheibel.
Zusammenfassung:
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Quelle: idw/Universität Bayreuth
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