Bei einer terminalen Niereninsuffizienz, also dem dauerhaften Versagen der Nierenfunktion, stellt eine Nierentransplantation für die Betroffenen die beste Therapieform dar. Jedoch verlieren acht Prozent der Transplantierten das neue Organ in den ersten drei Jahren nach der Verpflanzung wieder. In den Folgejahren nimmt das Transplantatversagen weiter stetig zu – für die einzelnen Betroffenen und auch angesichts des allgemeinen Mangels an Spenderorganen eine traurige Situation. „Bei Jugendlichen ist besonders während der Übergangsphase ins Erwachsenenalter ein Anstieg von Transplantatversagen zu beobachten“, erklärt Lars Pape von der Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen, der gemeinsam mit Mario Schiffer von der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen das Projekt „NTx 360°“ leitet.
Schon geringe Abweichungen in der Medikamenteneinnahme erhöhen das Risiko für eine Abstoßung deutlich. „Die optimale Versorgung eines nierentransplantierten Patienten ist komplex und sollte neben einer für jeden Patienten individuell angepassten Therapie idealerweise auch Erkrankungen, die bei Transplantierten im Laufe der Zeit häufiger auftreten, reduzieren. Dazu gehören Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, erläutert Schiffer. „Das geförderte Programm ermöglicht uns, durch eine enge Zusammenarbeit mit den Kollegen in den heimatnahen Praxen und mit weiteren Fachdisziplinen dieses zu erreichen.“
„Das Programm gibt uns als größtem Transplantationszentrum Deutschlands die Möglichkeit, ein neuartiges Versorgungsnetzwerk aufzubauen und ungelöste Probleme in der gesamten Transplantationsnachsorge systematisch anzugehen“, sagt Andreas Tecklenburg, Vize-Präsident der MHH und zuständig für das Ressort Krankenversorgung. „Von Hannover aus wird damit ein Modell für ganz Deutschland entwickelt.“ Das Projekt „NTx 360°“ ist das erste Versorgungsprogramm, in dem Kinder und Erwachsene gemeinsam betreut werden. Es können alle Patientinnen und Patienten daran teilnehmen, die 2010 oder später in der MHH oder im Nephrologischen Zentrum Niedersachsen (NZN) in Hannoversch Münden transplantiert wurden und deren Krankenkasse an dem Versorgungsvertrag teilnimmt. Insgesamt wird das Programm rund 1.000 Nierentransplantierte einschließen.
Patienten haben Einblick in ihre Daten
Das Projekt „NTx 360°“ wird zentral in der MHH koordiniert und bietet den Patienten eine enge Anbindung an ein sektorenübergreifendes Nachsorgeprogramm, das individuell auf ihre Situation abgestimmt ist. Kernstück des Programms ist ein telemedizinisches Netzwerk mit gemeinsamer elektronischer Patientenakte, auf die alle ins Programm eingebundenen Ärzte – in der MHH und auch in den Praxen vor Ort – Zugriff haben. Auch die Patienten selbst haben Einblick in ihre Daten, das ist Pape und Schiffer besonders wichtig. So werden Untersuchungen, Diagnosen, Medikationen, Therapien und vieles mehr für alle sichtbar und die Kommunikation zwischen den Betreuern zum Wohle der Patienten strukturiert und intensiviert.
„Die Telemedizin wird zu einer besseren Koordination der Versorgung und zu effektiveren Nachsorgeuntersuchungen auf allen Ebenen bei weniger Fahrten in die MHH führen“, ist sich Pape sicher. Durch sogenannte Televisiten können Risiken für die Gesundheit der Patienten früher erkannt und entsprechende therapeutische Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Zur Optimierung der Versorgung soll jeder Patient regelmäßig vom Psychosomatiker gesehen werden, denn schwerwiegende psychische Störungen können den Transplantationserfolg beeinträchtigen. „Wir werden Lebensqualität und psychosoziale Situation erheben sowie die Adhärenz der Patienten mit den medizinischen Maßnahmen prüfen. Wenn psychologischer Unterstützungsbedarf besteht, bieten wir zeitnah ein Coaching an, das auch telemedizinisch erfolgen kann“, erläutert Martina de Zwaan, Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie.
Eine persönliche Trainingstherapie
Patienten nach Nierentransplantation haben wegen der jahrelangen Krankheitsphase und der damit verbundenen Inaktivität erhebliche Einschränkungen der alltäglichen Belastbarkeit. Um den Alltag besser körperlich bewältigen zu können, die kardiovaskulären Begleiterkrankungen zu reduzieren und den durch die immunsuppressive Therapie beschleunigten Abbau von Knochendichte und Muskulatur entgegenzutreten, erhalten die Patienten im Institut für Sportmedizin eine Belastungs- und Leistungsdiagnostik und eine darauf abgestimmte persönliche Trainingstherapie. „Das Training der Patienten wird durch eine Trainings-App telemedizinisch gesteuert und regelmäßig an die Belastbarkeit des einzelnen Patienten angepasst“, sagt Uwe Tegtbur, Direktor des Instituts für Sportmedizin. Über die telemedizinische Plattform sind auch Trainingssprechstunden per Video möglich.
Damit transplantierte Kinder und Jugendliche während der Pubertät und beim Eintritts ins Erwachsenenleben lernen, die nötigen Medikamente regelmäßig einzunehmen, gehört ein Transitionsprogramm zum Projekt, das den Übergang der Betreuung vom Kinder- zum Erwachsenen-Nephrologen begleitet. Die Integration von Patienten aller Altersklassen ist ein einzigartiger Aspekt des Projekts.
Quelle: idw/Medizinische Hochschule Hannover,16.01.2017
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