„Bisher haben wir einzelne RNA-Thermometer immer nur nach langwieriger Suche gefunden und mühsam eines nach dem anderen untersucht“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Franz Narberhaus von der Ruhr-Universität Bochum. Die Ergebnisse wurden gerade erst veröffentlicht.
Gefaltete RNA als Thermometer
Seit einigen Jahren ist bekannt, dass bestimmte Darmbakterien, wie die hier untersuchte Yersinia pseudotuberculosis – ein naher Verwandter des Pest-Erregers –, ihren warmblütigen Wirt an der Körpertemperatur erkennen. Hierzu verwenden die Bakterien gefaltete RNA-Strukturen, die ab einer bestimmten Temperatur aufschmelzen und dabei vorher unzugängliche Gensequenzen freilegen. Diese können dann in Proteine übersetzt werden, welche den Krankheitsverlauf steuern.
Neue Methode etabliert
Um solche Zell-Thermometer aufzuspüren, setzte das Team eine Kombination aus biochemischer RNA-Strukturkartierung und Hochdurchsatz-Sequenzierung ein. Damit entschlüsselten die Wissenschaftler die über 1.750 in der Bakterienzelle enthaltenen RNA-Strukturen gleichzeitig. Sie führten das Experiment bei drei verschiedenen Temperaturen durch und erhielten jeweils einen Schnappschuss der RNA-Vielfalt.
„So konnten wir die dynamischen Veränderungen der RNA-Strukturen bei einem Temperaturanstieg zum Beispiel von 25 auf 37 Grad Celsius beobachten“, erläutert Francesco Righetti, der für dieses Projekt verantwortliche Doktorand am Bochumer Lehrstuhl für Mikroorganismen.
„Die von uns eingesetzte Technik ist aufwendig“, so der Braunschweiger Forscher Dr. Aaron Nuss. „Sie hat aber riesiges Potenzial für alle, die an der biologischen Funktion von RNA-Strukturen interessiert sind.“ Dabei spiele es keine Rolle, ob man mit Bakterien, Pflanzen, Tieren oder menschlichen Zellen arbeite. Die Methode sei universell einsetzbar.
Viele temperaturabhängige Gene
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine überraschend große Anzahl von Genen des Durchfallerregers Yersinia pseudotuberculosis direkt auf die Körpertemperatur des Wirtes reagiert“, sagt Franz Narberhaus. Die Forscher wählten 20 Gene für Folgeexperimente aus; davon waren 16 tatsächlich temperaturabhängig reguliert. Sie gehören verschiedenen funktionellen Gruppen an. Einige sind zum Beispiel an der Antwort des Bakteriums auf oxidativen Stress beteiligt.
„Es ist sinnvoll, solche Prozesse direkt nach dem Befall des Wirtes anzustoßen, um sich gegen die Abwehrmechanismen im menschlichen Magen-Darmtrakt zu rüsten“, erklärt Prof. Dr. Petra Dersch, Infektionsbiologin aus Braunschweig.
Ob die neu identifizierten RNA-Strukturen bei der Infektion eine entscheidende Rolle spielen, sollen derzeit laufende Untersuchungen zeigen. Darüber hinaus wollen die Wissenschaftler klären, ob es Wirkstoffe gibt, die das Aufschmelzen von RNA-Thermometern verhindern können. Diese könnten den Infektionsprozess hemmen. (idw, red)
Francesco Righetti, Aaron M. Nuss, Christian Twittenhoff et al.: Temperature-responsive in vitro RNA structurome of Yersinia pseudotuberculosis. PNAS, 2016, DOI: 10.1073/pnas.1523004113
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