Die freiwillige vergütete Blutspende – (un)ausweichlich?

Marcus Bülau
Titelbild zum Beitrag über freiwillige Blutspenden
© MG Bülau
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Jede/r von uns kann geplant oder unvorhergesehen in die Situation kommen, Blutprodukte zu benötigen, aber lediglich 3,7 % der spendenfähigen Bevölkerung Deutschlands haben 2019 im Zuge einer Vollblutspende (450 bis 500 ml Blut [± 10%] aus einer Armvene entnommen) ihr Blut zur Verfügung gestellt, um lebensrettende oder -erhaltende Maßnahmen zu gewährleisten.

Dies klingt nach einer geringen Anzahl an Spender/-innen und tatsächlich ist die Zahl der Vollblutspenden seit 2011 von einem kontinuierlichen Rückgang geprägt. Auf der anderen Seite nehmen die durchgeführten Transfusionen von Blutprodukten zu. Trotzdem wird die freiwillige unentgeltliche Abgabe von Blut vollmundig proklamiert. Dieser Widerspruch von rückläufigen Blutspenden, unvergüteter Abgabe und gesteigerter Nachfrage gaben Anlass für die Frage: „Wie würde sich eine zwingende Aufwandsentschädigung für die Vollblutspende auf die Verfügbarkeit von Erythrozytenkonzentraten in Deutschland auswirken?“ Dies wurde in einer Facharbeit, welche im Rahmen der Qualifikation Biomedizinische Analytik (DIW-MTA) entstanden ist, versucht zu klären.

Die aktuelle Situation stellt sich wie folgt dar: Vollblutspenden sind zwischen 2011–2019 um 23,8 % zurückgegangen. Der Verbrauch von Erythrozytenkonzentraten (EK) steigt hingegen an. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung führt der fortschreitende medizinische Fortschritt dazu, dass der Bedarf an Blut jährlich um mindestens 2 % steigt. Würde man diese 2 % auf die tatsächlichen Bluttransfusionen anwenden, könnte schon heute der Bedarf an EK nicht gedeckt werden. Doch keine Sorge, derweilen wird mehr Blut gespendet als transfundiert. Anders wäre es auch gar nicht möglich, da sich der Verbrauch zwingend an den vorhandenen Präparaten orientieren muss. Wiederkehrende Schlagzeilen in diversen Print- und Onlinemedien, wie dieses Beispiel aus der Südwest-Presse: „In Ulm fehlt Blut: Reserven immer knapper – Spender dringend gesucht“, lassen Zweifel daran aufkommen, ob der Bedarf tatsächlich gedeckt wird.

Mehrfachspender: Mit 73 Jahren ist Schluss

Blutspendeeinrichtungen, vornehmlich jene, die keine Aufwandsentschädigung zahlen, tun sich schwer damit, neue Spender/-innen zu gewinnen und treue langjährige Mehrfachspender/-innen fallen weg, da sie das maximal spendenfähige Alter überschreiten. Dieses wurde bereits 2005 auf 72 Jahre angehoben. Ein zaghafter Versuch, die mit Abstand größte Population der Blutspender/-innen zu halten. Dieser Trend ist Fachgesellschaften bewusst. So warnt die Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI) seit mehreren Jahren vor einer kommenden Unterversorgung. So heißt es in der Pressemitteilung des DGTI aus 2020: Die Zahl der möglichen Blutspender zwischen 18 und 65 Jahren nimmt konstant ab. Gleichzeitig gibt es immer mehr ältere Menschen, die einen höheren Bedarf an Blutprodukten haben [1].

Auch das Robert Koch-Institut (RKI) erhebt seit 2005 detaillierte Daten zur demografischen Verteilung der Blutspendepopulationen, was durch eine Novellierung des TFG (Transfusionsgesetz) im besagten Jahr möglich wurde. Vornehmlich seien hier die Veröffentlichungen von S. Ritter und R. Offergeld et al. erwähnt, welche ebenfalls einen bedrohlichen Trend ableiten und postulieren, dass Maßnahmen eingeleitet werden müssten, um einer zukünftigen Unterversorgung entgegenzuwirken [2]. Dass Deutschland ein großes Reservoir an potenziellen Spender/-innen besitzt, zeigt eine Studie aus 2005, in welcher 55,8 % angaben, grundsätzlich bereit zu sein, Blut zu spenden. Diese Zahl ist zweifelsfrei mit Vorsicht zu genießen, stellt aber trotz nüchterner Betrachtung einen klaren Gegensatz zu dem aktuellen Spender/-innenaufkommen dar.

Rechtlich sind die Weichen für eine Aufwandsentschädigung in Deutschland gestellt. Der Gesetzgeber lässt in § 10 TFG diese zu und auch der Arbeitskreis Blut sprach sich bereits 1993 dafür aus. Allgemein werden 20–25 Euro als angemessen betrachtet. Bei einer Einführung muss zwingend das Deutsche Rote Kreuz (DRK) bedacht werden, was die finanzielle Machbarkeit angeht. Mit einem Anteil von 75,63 % der gesammelten Vollblutspenden 2019 und einer über Jahrzehnte aufgebauten Infrastruktur des Blutspendewesens, mit all seinen Bestandteilen, ist das DRK nicht wegzudenken und ein Wegfall würde zwangsläufig zu einer Unterversorgung führen. Die öffentlich einzusehenden Bilanzen der einzelnen Blutspendedienste (BSD) des DRK lassen den Schluss zu, dass trotz einer Aufwandsentschädigung keine bedrohliche Lage für das DRK entstehen würde. Ein Blick auf andere Einrichtungen wie der Häma AG als größter privater Blutspendedienst Deutschlands zeigt ebenfalls, dass Wirtschaftlichkeit und Aufwandsentschädigung vereinbare Konzepte sind. Auch andere Einrichtungen wie Unikliniken mit eigener Herstellung können Blutprodukte günstiger selbst herstellen als sie vom DRK zu kaufen und dennoch ihren Spendern/-innen eine Aufwandsentschädigung zahlen. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass Spendeeinrichtungen, welche bereits jetzt eine Aufwandsentschädigung zahlen, es schaffen, deutlich jüngere Spender/-innen zu rekrutieren. Jene Population, welche dringend benötigt wird.

Zwangsläufig kommt man beim Debattieren der Thematik auf den Aspekt Blutproduktsicherheit. Blutprodukte sind in Deutschland so sicher wie nie zuvor. Anforderungen an Transfusions- und Blutspendewesen sind in Deutschland so hoch wie in keinem anderen Land der Europäischen Union [3]. Laut Votum 26 des Arbeitskreises Blut ist es wissenschaftlich nicht nachgewiesen, dass eine Aufwandsentschädigung die Sicherheit von Blut- oder Plasmaprodukten in Deutschland beeinträchtigt. Nach Aussage von R. Burger (ehemaliger Präsident des RKI) ist jedoch ein Restrisiko bei einem Produkt wie Blut, welches aktuell nicht synthetisch hergestellt werden kann, nicht völlig auszuschließen. Auch die Sicherheit der Spender/-innen, welche durch finanzielle Anreize motiviert werden könnten, zu häufig Blut zu spenden, ist durch die Richtlinien Hämotherapie gegeben, indem dort die Anzahl der möglichen Blutspenden geregelt wird.

 


Fazit

Expertinnen und Experten warnen vor einer kommenden Unterversorgung mit Blutprodukten. Eine gesetzlich vorgeschriebene Aufwandsentschädigung für alle BSD in Deutschland wäre ein Erfolg versprechendes Mittel, um dieser Notsituation entgegenzusteuern. Umfragen und Studien zeigen, dass ein Anreiz, sei es finanziell oder in Form von nicht finanziellen Vorteilen, Menschen motivieren würde, Blut zu spenden. Besonders junge Menschen, die es gilt als Langzeitspender/-innen zu gewinnen, scheinen dadurch motiviert werden zu können. So haben BSD, die eine Entschädigung anbieten, bereits jetzt einen hohen Anteil junger, regelmäßiger Spender/-innen. Wohingegen BSD, die eine Aufwandsentschädigung ablehnen, mit immer älter werdenden Spendern/-innen bis hin zum Wegfall dieser zu kämpfen haben. Auch die Ansicht, dass bezahlte Blutspenden nicht sicher seien, lässt sich nicht belegen. Bluttransfusionen sind so sicher wie nie zuvor. Entstehende Kosten für die anfallende Aufwandsentschädigung könnten anhand der Recherchen wahrscheinlich erfolgreich gestemmt werden. Zumindest lassen dies positiv ausfallende Jahresbilanzen, Aufwandsentschädigung ablehnender BSD und das erfolgreiche Bestehen von Aufwandsentschädigung befürwortender BSD erahnen. Zum Beispiel könnten Ausgaben für Spenderrekrutierung durch Werbemaßnahmen reduziert werden, welche einen hohen Anteil der Blutspende ausmachen, zumindest für die Organisationen, die keine Aufwandsentschädigung zahlen. Eine gesetzlich vorgeschriebene Aufwandsentschädigung könnte sehr wahrscheinlich einer Unterversorgung entgegenwirken und dies, ohne die Sicherheit von Blutprodukten negativ zu beeinflussen. Es ist an der Zeit zu überlegen, ob die überholten Gründe der unentgeltlichen nicht vergüteten Blutspende, die sich maßgeblich auf Werke aus den anfänglichen 1970er-Jahren stützen, noch zeitgemäß sind, um dem prognostizierten Blutproduktemangel entgegenzusteuern. Alle gewonnenen Erkenntnisse beziehen sich auf das in Deutschland vorzufindende Transfusions- und Blutspendewesen. Für andere Länder muss eine individuelle Prüfung vorgenommen werden.

Marcus G. Bülau
Biomedizinischer Analytiker (DIW-MTA)
Kontakt: m.buelau@protonmail.com

 

Weiterbildung am DIW-MTA

Das DIW-MTA bietet im Rahmen der Weiterbildung „Immunhämatologie und Transfusionsmedizin“ die Kurse BIT 1 „Spezielle Immunhämatologie“ und BIT 2 „Transfusionsmedizin und Blutspendewesen“ an. Die Anmeldung zu den Kursen erfolgt wie immer über unsere Kommunikationsplattform Stud.IP (studip.diw-mta.de/), auf der Sie sich kostenfrei registrieren können. Bei weiteren Fragen kontaktieren Sie uns gerne unter info@diw-mta.de oder telefonisch unter 030 33844064 zu unseren Geschäftszeiten.

 

Literatur

1. Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie e.V.: DGTI: Demografischer Wandel gefährdet Blutversorgung – Blutspendenrückgang durch Corona-Krise verstärkt. In: Pressemitteilung DGTI 2020; 1–2. [online] www.dgti.de/fileadmin/pdf/presse/stellungnahmen/2020/DGTI_PM_Weltblutspendetag.pdf.

2. Ritter S, Offergeld R: Ageing society-ageing donors. Developments in demography and donation activity of blood donors in Germany. In: Transfusion Medicine and Hemotherapy 2017; 44: 34–5. doi.org/10.1159/000481444.

3. von Auer F: 15 Jahre Transfusionsgesetz – eine Erfolgsgeschichte. Transfusionsmedizin 2013; 3: 49–51, [online] https:// docplayer.org/ 81107958–15-jahre-transfusionsgesetz-eine-erfolgsgeschichte.html.

 

Entnommen aus MTA Dialog 3/2022

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