Das Megathema im Hintergrund: Hygiene in der Radiologie

Update vom RöKo und der DEGRO-Jahrestagung
Mirjam Bauer
Das Megathema im Hintergrund: Hygiene in der Radiologie
MTA Jacqueline Sonnabend © M. Bauer
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Das Thema ist ein Stiefkind in Diagnostik, Intervention und Strahlentherapie: Schon auf dem Weltkongress der Radiologen, dem RSNA in Chicago, hatten wir 2016 große Mühe, Vorträge und Sessions zur Hygiene in der Radiologie zu identifizieren.

Deutsche Veranstalter rücken inzwischen dieses Thema mit seiner Tragweite endlich höher auf ihre Agenda. Der Deutsche Röntgenkongress in Leipzig und die DEGRO-Jahrestagung in Berlin boten Fachvorträge und Firmenpräsentationen mit relevanten Inhalten.

So bestätigte in Leipzig Jessica Siegel, dass die Hygiene im Medizinstudium und auf Branchenveranstaltungen deutlich zu wenig Beachtung erhält. Dabei führen in der Radiologie „nicht aseptisch eingehaltene Arbeitsweisen“, so die Hygienefachkraft des Klinikums Dortmund, zu maßgeblichen Infektionsrisiken und nosokomialen Erkrankungen. Ziel müssen die Durchsetzung der hygienischen Händedesinfektion und der korrekte Umgang mit den Medizinprodukten auf Basis von entsprechenden Gebrauchsanweisungen sein.

Eine herausragende Rolle spielt in diesem Zusammenhang eine weitgehende Unschärfe in Bezug auf den Umgang mit Einweg- und auch Mehrwegprodukten. Die dadurch entstehende branchenweite Unwissenheit und Unsicherheit bei der Arbeit im Kontext von Injektoren führen zu einem risikobehafteten Einsatz beispielsweise von Gefäßkathetern. So wird durch eine Mehrfachentnahmekanüle („Minispike“) aus einem Eindosisbehältnis ohne Konservierungsstoffe kein Mehrdosenbehälter. Minispikes dienen lediglich als Entnahmehilfe und schützen nur bedingt vor Kontamination. Ferner muss das Gummiseptum der Glasampullen mit alkoholischem Hautdesinfektionsmittel bei circa 15 Sekunden Einwirkzeit behandelt werden – es sei denn, der Hersteller garantiert die Sterilität des Septums. Auch Stopfen müssen steril sein und dürfen nicht wiederverwendet werden. In Leipzig engagierte sich einer der Anbieter – Ulrich Medical – mit Fortbildungsangeboten zur Minimierung solcher Risiken.

Siegel erläuterte die Konsequenzen, die sich für die Patienten, für die Mitarbeiter und für das Krankenhaus beziehungsweise die ambulante Einrichtung ergeben: Patienten erleiden durch mangelnde Hygiene potenziell Folgeerkrankungen und werden gegebenenfalls arbeitsunfähig beziehungsweise versterben. Mitarbeiter haben sich vor Gericht zu verantworten, wenn Komplikationen ihrer Nichteinhaltung von Hygieneregeln zugeschrieben werden, und verlieren eventuell ihren Arbeitsplatz. Gesundheitseinrichtungen erfahren einen wirtschaftlichen Schaden und erheblichen Imageverlust durch die Veröffentlichung in der Presse.

Wie lassen sich Risiken minimieren?

Vorgaben kennen, verstehen und umsetzen – eigentlich liegt diese angemessene Vorgehensweise für Mitarbeiter auch in der Radiologie auf der Hand. Das Infektionsschutzgesetz, das dem Patientenschutz dient, steht hier an oberster Stelle. Wichtig sind dabei auch dessen Novellierung 2011 sowie die Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) des Robert Koch-Instituts. Mitarbeiter sollten sich an die vorgeschriebenen internen Hygienepläne und Arbeitsanweisungen halten und die TRBA 250 (Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) beachten. Aseptisches Verhalten dient ihrem eigenen Schutz – dazu gehören die Hände- und Flächendesinfektion sowie die Nutzung von Schutzkleidung insbesondere im Patientenkontext mit aerogenen Keimen.

Als weiteres Beispiel hierzu nannte Siegel die Manipulation und Antisepsis an Hubs und Zuspritzstellen: Vor jeder Aktion sind Basishygieneregeln wie Händedesinfektion vorzunehmen (Kategorie IA). Die Stopfen müssen steril sein und dürfen nicht weiterverwendet werden. Jedes Gerät, also Katheterhub, Dreiwegehahn oder nadelfreies Konnektionsventil (NFC), ist vor Gebrauch zu desinfizieren (Kat IB).

Videolink: tinyurl.com/yb52rywp

Hygiene in der Strahlentherapie

Auf der DEGRO-Jahrestagung erläuterte Dr. Martina Fromm die besonderen Hygienetechniken bei Patienten in der Palliativversorgung. In der Strahlentherapie ist der Schutz vor Infektionen besonders wichtig. So steigt die Anzahl von Patienten mit Abwehrschwäche oder Immunsuppression beispielsweise durch gestörte unspezifische Schutzfunktionen – da Haut- und Schleimhautbarrieren nicht mehr wie bei Gesunden funktionieren – und durch veränderte gastrointestinale Motilität oder verlängerte Wundheilung. Ferner treten Infektionen häufig als Komplikation der Erkrankung, der Therapie oder auch nach Stammzelltransplantation auf; sie können das Leben der immunsupprimierten Patienten gefährden. Da die Röntgendiagnostik, Strahlentherapie und Nuklearmedizin sämtlichen Abteilungen eines Krankenhauses und häufig auch ambulanten Patienten zur Verfügung stehen, droht eine erhöhte Gefahr der Verbreitung von Krankheitserregern. Geräte, Tische, Auflagen, Sitze, Umkleidekabinen und diagnostische Hilfsmittel können mikrobiell kontaminiert sein. Bei unzureichender Desinfektion sind sie Ausgangspunkt für Infektionsverbreitung. Ferner entstehen durch vielfältige Kontakte von Patienten mit Ärzten und medizinisch-technischem Personal zwangsläufig Keimübertragungen. Strahlentherapeutische Behandlungen setzen bei Patienten die natürlichen Abwehrmechanismen herab und erhöhen dadurch die Infektionsanfälligkeit.

Dr. Martina Fromm | © M. Bauer

Angepasste Hygieneschutzstufen

Zum Schutz vor nosokomialen Infektionen durch parenteral übertragbare Virusinfektionen haben viele Krankenhäuser angepasste Hygieneschutzstufen aufgestellt. Gefährliche parenteral übertragbare Virusinfektionen stellen in der Regel im alltäglichen klinischen Umgang kein Problem dar. Große Relevanz für mögliche im Krankenhaus erworbene Infektionen haben dagegen multiresistente gramnegative Stäbchenbakterien (MRGN), Noroviren oder auch Tbc. Für alle an der Behandlung Beteiligten ist es jedoch wichtig zu wissen, um welche Erreger mit welchen Übertragungseigenschaften und Übertragungswegen es sich handeln kann: parenteral, durch direkte oder indirekte Kontaktübertragung, Tröpfchen oder aerogen. Zudem spielt auch die Infektionslokalisation – also Wunde/Haut, endobronchial oder urogenital – eine Rolle. Daraus ergeben sich gegebenenfalls erweiterte Schutzmaßnahmen.

Die Basishygiene zur Prävention nosokomialer Infektionen heißt Händehygiene, dazu kommen Barrieremaßnahmen und Flächendesinfektion. Wichtige Indikationen zur Handhygiene ergeben sich vor und nach direktem Patientenkontakt, vor aseptischen Tätigkeiten, nach erfolgter Kontamination – also Kontakt mit Blut, Sekreten, Exkreten – sowie nach dem Ablegen der Einmalhandschuhe. Barrieremaßnahmen sind Schürzen und Schutzkittel, Mund-Nasen- und gegebenenfalls Augenschutz sowie die bereits genannten Einmalhandschuhe. Die Umgebungsflächen und Gegenstände des alltäglichen Lebens sollten flächendesinfiziert werden. Sinnvoll ist auch die Organisation: Infizierte Patienten sollten nicht am Tagesanfang behandelt werden. Wenn es nicht anders möglich ist, müssen Pausen zum Einwirken des Desinfektionsmittels eingehalten werden. Patienten sollten in den Räumen der Strahlentherapie nicht lange warten müssen – und der Kontakt zu anderen Erkrankten soll vermieden werden.

Unabdingbar ist die Hygieneschulung des gesamten Personals, auch Patienten und Angehörige sollten informiert werden: durch Merkblätter – in verschiedenen Sprachen – und direkte Gespräche. Wichtig ist es hier, die Psyche des Patienten zu beachten. Er fühlt sich durch nosokomiale Infektionen bedroht und empfindet die Isolation als weitere Einschränkung seiner Lebensqualität. Zusammenfassend erfordert die Lebenssituation der Palliativpatienten also mehr Aufwand und besondere Zuwendung.

Vorbildliche Hygieneregeln am Universitätsklinikum

Ebenfalls auf der DEGRO beleuchtete Jacqueline Sonnabend, Medizinisch-technische Assistentin der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Universitätsklinikum Leipzig, die Hygieneordnung und Organisation in ihrem Haus. Getreu der Aussage von Max von Pettenkofer, „Die Kunst zu heilen, kann viele Leiden lindern. Doch schöner ist die Kunst, die es versteht, die Krankheit am Entstehen zu hindern.“, geht das Klinikum vorbildlich mit Hygienethemen um. Leipzig hält einen der insgesamt acht Lehrstühle für Hygiene und Krankenhaushygiene in Deutschland inne.

Jessica Siegel | © M. Bauer

EFFECT-Studie für Intensivpatienten

So startete die erste große klinische Studie zur Krankenhaushygiene in Deutschland im Januar 2017 auf 45 Intensivstationen unter anderem im Leipziger Universitätsklinikum. Die auf drei Jahre angelegte und mit fast 2,5 Millionen Euro geförderte EFFECT-Studie prüft die Wirksamkeit spezieller Waschungen auf Intensivstationen. Untersucht wird der Einsatz mit dem Desinfektionsmittel Octenidin getränkter Waschhandschuhe. Octenidin wird bisher hauptsächlich zur Desinfektion von kleineren Körperbereichen und Ganzkörperwaschungen bei Patienten mit multiresistenten Erregern verwendet. Die tägliche Ganzkörperwaschung mit Octenidin-Waschhandschuhen wird bisher nur vereinzelt in einigen Krankenhäusern in Deutschland angewendet.

„Die Studie ist dahingehend ein Novum, dass es bisher keine systematischen, prospektiven Untersuchungen zu einem generell routinemäßigen Einsatz dieses Wirkstoffs für die Waschung von Patienten gibt“, erläuterte Prof. Iris Chaberny, Direktorin des Instituts und Leiterin der deutschlandweiten Studie. Der Vorteil des Mittels gegenüber bisher üblichen besteht unter anderem darin, dass keine allergischen Reaktionen oder sonstigen Nebenwirkungen bekannt sind. „Gleichzeitig gibt es auch noch keine Resistenzen gegenüber diesem Wirkstoff, sodass wir uns Schutzeffekte auch gegenüber den multiresistenten Erregern versprechen, die uns am meisten Sorgen machen“, so Chaberny. Gemeint sind gramnegative Darmbakterien, die seit Jahren gegenüber den erfolgreich zurückgedrängten MRSA auf dem Vormarsch sind (Quelle: Deutsches Register Klinischer Studien/EFFECT-Studie UKL-Institut für Hygiene/Krankenhaushygiene).

Spezielle Hygiene in Strahlentherapie und Radioonkologie

Neben der Standardhygiene – der Händedesinfektion, des Tragens von Schutzkleidung und korrekter Desinfektion – ist die jährliche Teilnahme an Hygieneschulungen im gesamten Universitätsklinikum Grundlage für jeden Mitarbeiter. Ferner werden alle Abteilungen durch Begehungen der Hygienefachkräfte regelmäßig kontrolliert. Es gibt besonders anfällige Geräte in der Strahlentherapie, die richtig eingeschätzt werden müssen, ferner fordert die Einführung neuer komplizierter Techniken oft angepasste Hygieneregeln. Als Beispiele wurden hier das Atemgating, die kranielle Stereotaxie und die Bodystereotaxie genannt.

Fazit

Es tut sich in der Radiologie endlich etwas beim unliebsamen Thema Hygiene. Hoffentlich wird es auch weiter Dauerthema auf vielen Kongressen – und kommt vor allem in den Köpfen der Verantwortlichen an. Die Berufe Hygienefachkraft und Hygienemanager sind in vielen Kliniken noch Fremdworte. Künftigen Gefahren durch Prävention aus dem Weg zu gehen, ist sicher sinnvoller, als ständig neue Antibiotika und immer aggressivere Desinfektionsmittel einzusetzen.

Entnommen aus MTA Dialog 12/2017

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