Daisy Roulland-Dussoix (1936–2014)

R/M-System und Restriktionsenzyme
Christof Goddemeier
Foto von Daisy Roulland-Dussoix
© André Dussoix (brother and heir), public domain, via Wikimedia Commons
Newsletter­anmeldung

Bleiben Sie auf dem Laufenden. Der MT-Dialog-Newsletter informiert Sie jede Woche kostenfrei über die wichtigsten Branchen-News, aktuelle Themen und die neusten Stellenangebote.


* Pflichtfeld

Zwischen 1960 und ’64 war Daisy Dussoix als Doktorandin wichtigste Mitarbeiterin des Schweizer Mikrobiologen und Genetikers Werner Arber (geb. 1929). Ihre Arbeiten mit Arber über das Restriktions-Modifikationssystem (R/M-System) legten 1962 den Grundstein für die Entdeckung der „Restriktionsenzyme“, unentbehrliche Werkzeuge in der Gentechnologie.

Doch den Nobelpreis erhielt Roulland-Dussoix nicht – die Auszeichnung für Physiologie oder Medizin für die „Entdeckung der Restriktionsenzyme und ihre Anwendung auf Probleme der Molekulargenetik“ ging 1978 an ihren Doktorvater Arber, Hamilton O. Smith und Daniel Nathans. Manche sagen, Roulland-Dussoix hätte für ihre Arbeit mehr Anerkennung bekommen müssen. Unter der Überschrift „Sexuelle Diskriminierung“ stellte etwa die US-amerikanische Mikrobiologin Esther Zimmer-Lederberg Roulland-Dussoix’ Verdienste heraus. Und anlässlich des Gedenkgottesdienstes für Lederberg 2006 zitierte der Mikrobiologe Stanley Falkow einen namentlich nicht genannten Professor mit den Worten: „Martha Chase, Daisy Roulland-Dussoix und Esther Lederberg sind Frauen, die an wesentlichen wissenschaftlichen Entdeckungen beteiligt waren. (…) Doch jede dieser Entdeckungen wird oft den männlichen Mitgliedern des Teams zugeschrieben (Al Hershey, Werner Arber beziehungsweise Joshua Lederberg).“

Enttäuschung über fehlende Ehrung

Am 8. November 1978 schrieb Daisy an ihren Bruder André und ihre Schwägerin: „Werner [Arber] hat gerade den Nobelpreis erhalten und ich bin sehr wütend, weil er anscheinend nicht einmal meinen Namen genannt hat und ich die Hälfte der Arbeit, für die er den Preis erhalten hat, gemacht habe. Ich frage mich, ob André Journalisten kennt oder ob eine Journalistin besser wäre, denn ich finde es ekelhaft, wie Frauen in der Schweiz behandelt werden. Natürlich hätten sie mich nie für den Nobelpreis vorgeschlagen, denn das wäre ein zu großer Skandal gewesen, wie sie mich nicht nur in der Schweiz, sondern auch in San Francisco behandelt haben.“ In seiner Nobel-Vorlesung vom 8. Dezember 1978 über den Austausch genetischen Materials in lebenden Organismen erwähnte Arber Roulland-Dussoix mehrmals als Co-Autorin gemeinsamer Arbeiten. Erste Ergebnisse ihrer gemeinsamen Phagenforschung hatten darauf hingewiesen, dass der Wirt, das Bakterium Escherichia coli, in der Lage ist, die Übernahme von DNA (Desoxyribonukleinsäure) des eindringenden Phagen Lambda zu kontrollieren beziehungsweise abzuwehren. In seiner Biografie auf der Nobelpreis-Seite schrieb Arber, er habe sich nicht vorstellen können, dass ihn das Thema viele Jahre faszinieren würde, als er begann, die Mechanismen der wirtkontrollierten DNA-Modifikation zu erforschen.

Grete Kellenberger-Gujer (1919–2011) hatte bereits beobachtet, dass bestrahlte Phagen-DNA, die man in ein Wirtsbakterium injizierte, dort rasch abgebaut wurde. Darauf aufbauend benutzte man Phagen-DNA, um herauszufinden, was mit fremder DNA in Bakterienstämmen passiert. Das war Thema der Doktorarbeit von Daisy Dussoix, die laut Arber „sehr sorgfältig nicht nur den Abbau der Phagen-DNA (...) studierte, sondern auch versuchte, Parallelen zwischen dem Schicksal unmodifizierter DNA unter Restriktionsbedingungen und bestrahlter DNA in normalen Wirtszellen zu identifizieren“. Dussoix und Arber fanden, dass auch DNA abgebaut wurde, welche die spezifische wirtsabhängige Restriktionsmodifikation durchlaufen hatte. Zugleich wurde deutlich, dass Restriktion und Modifikation Eigenschaften der Bakterien sind, die nicht nur die Phagen-DNA, sondern auch die Wirts-DNA betreffen. Arber zufolge „wurden diese Ergebnisse von mir und Daisy Dussoix (…) zum ersten Mal beim ersten internationalen Kongress für Biophysik in Stockholm im Sommer 1961 vorgestellt“. Ein Jahr später wurden sie in zwei Artikeln im „Journal of Molecular Biology“ publiziert. Eine ausführlichere Version reichte Arber als Habilitationsschrift an der Universität Genf ein und erhielt dafür den Plantamour-Prévost-Preis der Universität.

Wieder kein Nobelpreis

Auch bei einer weiteren bahnbrechenden Publikation ging Roulland-Dussoix „leer“ aus. 1978 wies sie mit anderen nach, dass RNA (Ribonukleinsäure) des Enzyms Tyrosinkinase „Src“, das ursprünglich im Rous-Sarkom-Virus gefunden worden war, auch in Zellen exprimiert wird, die nicht mit dem Rous-Sarkom-Virus infiziert sind. „src“ ist eins von vier Genen des Rous-Sarkom-Virus und kodiert die Tyrosinkinase. Es ist ein sogenanntes Protoonkogen, das heißt eine Vorstufe eines potenziell krebsauslösenden Genprodukts. Src-Inhibitoren kommen zum Beispiel in der Behandlung von Tumorerkrankungen zum Einsatz. Für ihre Erkenntnisse zum „zellulären Ursprung retroviraler Onkogene“ erhielten die Mitautoren J. Michael Bishop und Harold Varmus 1989 den Nobelpreis.

Der Entdeckung des Restriktions-Modifikationssystems und der Restriktionsenzyme gingen in relativ kurzer Zeit zahlreiche Schritte voraus. Das „Gen“ als Träger der Vererbung führte der dänische Botaniker Wilhelm Johannsen 1909 in die Wissenschaft ein. Bakterielle Viren beschrieb als Erster Frederick Twort 1915. Felix d’Herelle entdeckte sie zwei Jahre später wieder, als er während des ersten Weltkriegs in Frankreich den Ausbruch der Shigellen-Ruhr bei einer Reiterschwadron untersuchte. Warum wurden manche Patienten wieder gesund, andere aber nicht? Er fand, dass der Stuhl von Patienten, denen es wieder besser ging, neben dem Bakterium Shigella etwas Winziges enthalten musste, das er „Bakteriophage“ (= Bakterienfresser) nannte. In den folgenden Jahren entdeckte man weitere Bakteriophagen oder kurz Phagen und fand, dass jeder auf eine bestimmte Bakterienart ausgerichtet ist. Dabei sind Phagen die mit großem Abstand häufigsten biologischen Gebilde auf der Erde, auch weitaus häufiger als Bakterien, die sie infizieren können. Sie kommen überall vor, ihre Zahl wird auf eine Eins mit 31 Nullen geschätzt: „Ein einziger Teelöffel voll Meerwasser enthält fünfmal so viele Phagen wie es Menschen in New York gibt.“ (Jennifer Doudna)

Grundstein für die Bakteriengenetik

Mit der Elektronenmikroskopie war es ab Anfang der 1940er-Jahre möglich, Phagen sichtbar zu machen. In ihrer Arbeit „Mutationen in Bakterien von Virussensitivität zu Virusresistenz“ (1943) zeigten Max Delbrück und Salvador Luria, dass Mutationen in Bakterien spontan und zufällig auftreten und keine Anpassung der Bakterien an ihre Umgebung darstellen. Wie Gregor Mendel die Genetik begründete, legten Delbrück und Luria damit den Grundstein für die Bakteriengenetik, aus der später die Molekularbiologie hervorging. Allmählich verstand man die Rolle der DNA immer besser. 1952 fanden Al ‧Hershey und Martha Chase, dass nur die Phagen-DNA in das Bakterium gelangt, während das Phagen-Protein außen verbleibt. Damit war klar, dass die DNA die gesamte genetische Information enthalten musste. Ein Jahr später beschrieben James Watson und Francis Crick die Doppelhelixstruktur der DNA.

Daisy Dussoix wurde 1936 in Genf geboren. Sie besuchte zunächst die Handelsschule und schloss 1958 ihr Chemie- und Biologiestudium an der Universität Genf ab. Im folgenden Jahr begann sie am dortigen Institut für Biophysik mit ihrer Doktorarbeit. 1964 wurde sie promoviert und ging mit einem Postdoc-Stipendium in die USA, wo sie zunächst an der Stanford University, Palo Alto, dann an der University of California in San Francisco mit Herbert Boyer zur DNA-Restriktion und -Modifikation forschte. Hier wurde sie auch zur Assistenzprofessorin ernannt. Sie heiratete Daniel Roulland, Chefkoch eines Restaurants in San Francisco, und wechselte später an die University of California in Berkeley. Ab 1980 arbeitete sie am Institut Pasteur in Paris, wo sie 1987 die Leitung des Mykoplasmenlabors in der Abteilung für virale Onkologie von Luc Montagnier übernahm, einem der Entdecker des AIDS hervorrufenden HI-Virus. Hier beschäftigte sie sich damit, Mykoplasmen und Mykobakterien genetisch und molekular zu charakterisieren, und entwickelte Tests, um sie nachzuweisen. 1996 erkrankte sie schwer an Malaria, von der sie sich nicht mehr vollständig erholte. Nach dem Tod ihres Mannes 2006 holte ihr Bruder sie zurück nach Genf, wo sie ihre letzten Lebensjahre verbrachte.

Mit der Phagenforschung nahm auch die molekularbiologische Forschung an Fahrt auf. Als man sich fragte, mit welchem Immunsystem Bakterien sich gegen Phagen, die sie infizieren, zur Wehr setzen, fand man die Restriktionsenzyme oder -endonukleasen – Enzyme, die jede DNA zerschneiden, der eine schützende Maskierung fehlt. Damit werden Phagengene, denen es gelungen ist, die Zellwand der Bakterien zu passieren, erfolgreich beseitigt. Restriktionsendonukleasen schützen also die Bakterienzelle vor fremder DNA. Man hat inzwischen Restriktionsenzyme von mehreren Hundert Bakterienarten isoliert. Daneben können Bakterien aber auch verhindern, dass Phagen-DNA überhaupt in die Zelle gelangt, etwa indem sie Löcher, die die Phagen in die Zellwand bohren, wieder verschließen.

Wie arbeiten Restriktionsenzyme?

Im Unterschied zu anderen DNA spaltenden Enzymen spalten sie sequenzspezifisch und innerhalb des DNA-Stranges. Sie erkennen spezifisch Sequenzen der DNA, die vier bis acht Basenpaare lang sind (sogenannte Restriktionsschnittstellen) und schneiden anschließend beide Stränge der DNA an genau dieser Stelle. Das Resultat sind mehr oder weniger lange, exakt definierte DNA-Fragmente. Diese Eigenschaft hat sie zu unentbehrlichen Werkzeugen in der Gentechnologie gemacht, vor allem bei der Klonierung und Sequenzierung von DNA. Dabei gibt es neben den Genannten zwei weitere Klassen von Restriktionsenzymen, bei denen Erkennungssequenz und Schnittstellen weit voneinander entfernt im DNA-Strang liegen können (bis zu mehr als 1.000 Basenpaare). In der Regel enthält die Bakterien-DNA auch Schnittsequenzen für ihre eigenen Restriktionsenzyme. Doch Methylierung maskiert diese Schnittstellen, sodass sie von den Enzymen nicht erkannt werden können. Die Methylierung (= Modifikation) wird von sogenannten Modifikationsenzymen durchgeführt. Methylierendes System und Restriktionsendonukleasen bilden zusammen das Restriktions-Modifikationssystem, das Wirts-DNA schützt und fremde DNA abbaut. Dieser Schutzmechanismus wird jedoch durchbrochen, wenn Fremd-DNA vorher in Wirtszellen des gleichen Bakterienstamms repliziert (zum Beispiel als Plasmid bei der bakteriellen Konjugation oder im Rahmen gentechnologischer Experimente) und dabei ebenfalls an den Schnittstellen methyliert wurde. Denn damit ist sie resistent gegenüber den Restriktionsenzymen des Wirts. Ein sehr kleiner Teil der Fremd-DNA „entkommt“ den Restriktionsenzymen des Wirts zudem durch schnelle Methylierung und wird künftig als zelleigene DNA repliziert.

Daisy Roulland-Dussoix’ Arbeit beschränkt sich nicht auf die drei bahnbrechenden Arbeiten 1962 und 1978 – bei weiteren Entdeckungen spielte sie eine wesentliche Rolle. Auch wenn ihr die höchste Auszeichnung dafür nicht zuteil wurde: In der Geschichte der Naturwissenschaft ist ihr ein bleibender Platz sicher.


Literatur (Auswahl)

1.    Arber W: Nobel Lecture. Promotion and Limitation of Genetic Exchange. In: The Nobel Prize, 8. Dezember 1978 (online).

2.    Dussoix D, Arber W: Host specificity of DNA produced by Escherichia coli. II. Control over acceptance of DNA from infecting phage lambda. J Mol Biol 1962; 5: 37–49.

3.    Doudna J: Eingriff in die Evolution. Berlin: Springer Verlag 2018.

4.    Lexikon der Biologie – Spektrum der Wissenschaft. www.spektrum.de.

5.    Loenen W: Restriction Enzymes. A History. Leiden: Leiden University Medical Center 2019.

6.    Zimmer Lederberg E: Gender Discrimination: Daisy Roulland Dussoix. In: Esther M. Zimmer Lederberg Memorial Website (online).


 

Entnommen aus MT im Dialog 4/2023

Artikel teilen

Online-Angebot der MT im Dialog

Um das Online-Angebot der MT im Dialog uneingeschränkt nutzen zu können, müssen Sie sich einmalig mit Ihrer DVTA-Mitglieds- oder Abonnentennummer registrieren.

Stellen- und Rubrikenmarkt

Möchten Sie eine Anzeige in der MT im Dialog schalten?

Stellenmarkt
Industrieanzeige