COVID-19: Wie hoch ist das Risiko einer Übertragung im Krankenhaus?

Infektiologie
Hardy-Thorsten Panknin, Stefan Schröder
Risiko im Krankenhaus
Nach der Krankenhausaufnahme von Patienten besteht auch ein erhebliches Risiko, dass sich Mitpatienten sekundär anstecken. © Christoph Burgstedt - stock.adobe.com
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Seit Januar 2020 hat sich das neue Virus SARS-CoV-2 von Ostasien aus über die gesamte Welt ausgebreitet. Fast alle Nationen sind von Infektionsfällen betroffen. Von den weltweit gemeldeten 18.316.072 Patienten sind 694.715 verstorben. Allein in Deutschland sind 9.162 Patienten verstorben, woraus sich eine aktuelle Mortalität von 4,32 Prozent errechnet (Zahlen der Johns-Hopkins-Universität, Stand 04.08.2020).

Obwohl die Mehrzahl der Infektionen außerhalb von Gesundheitseinrichtungen im ambulanten Bereich erworben wird, besteht nach der Krankenhausaufnahme von Patienten auch ein erhebliches Risiko, dass sich Mitpatienten sekundär anstecken. Auch Mitarbeiter in Krankenhäusern sind in erhöhtem Maße ansteckungsgefährdet. Bisher liegen nur wenige wissenschaftliche Daten vor, die eine Einschätzung erlauben, wie hoch das Risiko einer nosokomialen Übertragung genau ist.

Eine Autorengruppe der Lanzhou-Universität in Lanzhou, China, hat daher die bisher zu dieser Frage publizierten Studien zusammenfassend ausgewertet. Um das Risiko einordnen zu können, analysierten die Autoren parallel entsprechende Studien zu SARS-1 (das ältere SARS-Virus) und zum Middle East Respiratory Virus (MERS) [1].

Methodik der Studie

Die Autoren führten eine Literaturrecherche in internationalen medizinischen Datenbanken durch. Eingeschlossen wurden Arbeiten ab dem ersten Auftreten der genannten Viren bis zum 31. März 2020. Als Suchworte wurden die Bezeichnungen SARS-CoV-2, SARS, MERS und COVID-19 sowie die ausgeschriebenen Versionen dieser Virusbezeichnungen eingegeben. Außerdem wurde nach den englischen und chinesischen Begriffen für

  • Kreuzübertragung,
  • nosokomiale Übertragung und Infektion,
  • krankenhauserworbene Infektion und
  • Gesundheitssystem-erworbene Infektion gesucht.

Nur Arbeiten, in denen beide Arten von Suchbegriffen gleichzeitig vorkamen, wurden weiterverfolgt. Primärer Endpunkt der Studie war die angegebene Rate sekundärer oder nosokomialer Infektionen nach der Aufnahme von Indexpatienten ins Krankenhaus. Sekundärer Endpunkt war die Verwendung von Schutzausrüstung.

Ergebnisse

Nach Analyse aller aufgefundenen 2.626 Arbeiten wurden letztlich 40 Publikationen ausgewählt, die im Detail auf die Fragestellung eingingen. Vier Studien untersuchten SARS-CoV-2, 25 Studien SARS-1 und 11 Studien MERS. Gemessen an objektivierbaren wissenschaftlichen Punkte-Scores war die wissenschaftliche Qualität aller Studien allerdings nur mäßig (8 von 11 Qualitätspunkten). Vom Studientyp her handelte es sich um Fallserien, Kohortenstudien und Fall-Kontrollstudien.

Die 4 Studien zu SARS-CoV-2 stammten aus Wuhan und aus Hubei, also den primär in China betroffenen Regionen. In diesen Studien wurden insgesamt 788 Fälle von Patienten mit bestätigter COVID-19-Infektion beschrieben. Der Anteil der nosokomialen, also sekundär im Krankenhaus erworbenen, Infektionen betrug im Mittel 44 %. Im Vergleich dazu lag diese Rate bei den Studien mit SARS-1 bei 36 % (Mittelwert aus 25 Studien) und bei MERS bei 56 % (Mittelwert aus 11 Studien).

Bei SARS-CoV-2 betrafen fast alle Sekundärfälle Krankenhausmitarbeiter. Betroffen waren 30% Ärzte, 56% Pflegekräfte und 11% andere Mitarbeiter wie zum Beispiel Reinigungskräfte und sonstiges patientennahes Personal. Nur 2% der Sekundärfälle betrafen andere Patienten oder Besucher. Bei Letzteren war allerdings eine Infektion außerhalb des Krankenhauses nicht auszuschließen.

Für die anderen untersuchten Viren war die Verteilung der Sekundärfälle auf medizinisches Personal, anderes Krankenhauspersonal und andere Patienten im Mittel fast identisch. Der Gebrauch von persönlicher Schutzausrüstung in den Studien war sehr variabel. Im Mittel wurden in 5 entsprechend auswertbaren Studien nur von 37% der Mitarbeiter Schutzkittel getragen und nur von 42% Einmalhandschuhe. Immerhin trugen 93% der Mitarbeiter persönliche Schutzmasken. Unter Letzteren waren aber auch Personalmitarbeiter vertreten, die keine FFP-Masken, sondern gewöhnliche Textilmasken trugen.

Schlussfolgerung der Autoren

Die Autoren führen kritisch aus, dass die Ergebnisse kaum verallgemeinert werden können. Die Studien zu SARS-CoV-2 stammen nur aus China und nur vom Beginn der Epidemie. In dieser frühen Phase herrschte noch eine erhebliche Unsicherheit bezüglich notwendiger Schutzausrüstung. Benötigte Materialien standen teilweise nicht zur Verfügung, sodass improvisiert werden musste. Inzwischen sind die Hygienemaßnahmen auch in China professionalisiert worden. Immerhin kann als Ergebnis der Studie festgestellt werden, dass das MERS-Virus (Middle East Respiratory Virus), welches sich vor einigen Jahren aus dem Mittleren Osten kommend ausbreitete, mit einem circa 12% höheren Risiko einer Ansteckung im Krankenhaus assoziiert war.

Kommentar

Die Forschung läuft auf Hochtouren zur Entwicklung eines Impfstoffs zum Schutz gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Es werden vorhandene Medikamente gegen das Virus erprobt und neue entwickelt. Allerdings existiert aktuell noch keine wirksame in der Breite einzusetzende medikamentöse Therapiemöglichkeit, sodass lediglich eine symptomatische Behandlung COVID-19-positiver Patienten erfolgt. Vor diesem Hintergrund lässt sich folgern, dass gerade der Infektionsprävention eine besondere Rolle zukommt. Dabei gilt, dass zum größtmöglichen Schutz vor einer Infektion mit dem neuen Coronavirus die gleichen präventiven Maßnahmen eingehalten werden wie bei der jährlichen Grippewelle, das heißt: Minimierung der Chance einer Tröpfcheninfektion und konsequente Händedesinfektion. Coronaviren werden nach bisherigen Erkenntnissen durch Tröpfchen übertragen. Es gibt jedoch neue Forschungsergebnisse, die auch eine aerogene Übertragung möglich erscheinen lassen und zu Vorsichtsmaßnahmen raten [2, 3]. Untersucht wurde zum Beispiel auch der COVID-19-Ausbruch auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess Anfang 2020 [4]. Dabei zeigte sich, dass das Einatmen von Aerosolen wahrscheinlich der Hauptverursacher der COVID-19-Übertragung unter Passagieren an Bord des Schiffes gewesen sein dürfte. Zu einer klassischen Tröpfcheninfektion kommt es, wenn Sekrettröpfchen aus dem Respirationstrakt beim Sprechen, Niesen oder Husten auf die Schleimhäute der oberen Atemwege und Augen-Bindehaut einer anderen Person gelangen. Aufgrund ihrer Masse und Größe sinken die Tröpfchen unter Innenraumbedingungen schnell ab und legen meist nur Strecken von weniger als einem Meter zurück. Bei einer Kontaktübertragung erfolgt die Ansteckung zum Beispiel durch das Berühren von Mund, Nase oder Augen mit den Händen, an denen das Coronavirus haftet. Damit können die Händehygiene und die Vermeidung von Berührungen im Gesicht die Ansteckungsgefahr reduzieren. Diese Maßnahmen sind bei einer COVID-19-Infektion angezeigt, da es als gesichert gilt, dass das Virus auch durch Kontakt mit den Händen übertragen wird. Deshalb ist in Einrichtungen des Gesundheitswesens wie Kliniken und Arztpraxen ein Desinfizieren der Hände unabdingbar, um vor allem die immungeschwächten Patienten vor Infektionen zu schützen – und selbstverständlich auch sich selbst als Arzt oder Pflegender. Dabei ist darauf zu achten, dass die eingesetzten alkoholischen Einreibepräparate auch viruzid wirken. Neben der Wirksamkeit ist ebenfalls wichtig, dass in allen Bereichen überhaupt ausreichende Gelegenheiten zur Händedesinfektion zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus schützt ein nach bestimmten Qualitätsnormen hergestellter Mund-Nasen-Schutz (MNS) vor einer Tröpfchenübertragung. Zahlreiche Arbeiten mit geschultem Personal im klinischen Bereich haben gezeigt, dass ein MNS, der auch als OP-Maske bezeichnet und als Einmalmaterial verwendet wird, den Träger zusammen mit einer Schutzbrille vor Tröpfcheninfektionen anderer Personen schützt. Umgekehrt schützt ein MNS auch vor Infektionen durch die Tröpfchen des Trägers. Eine wesentliche Rolle kommt der Logistik mit der Beschaffung ausreichender MNS und Desinfektionsmittel sowie der zügigen Verteilung im Gesundheitswesen zu, sodass bei korrekter Anwendung die Ausbreitung der COVID-19-Infektion derartig verlangsamt werden kann, um Kapazitäten und Zeit zur Patientenbehandlung (Abbildung 1) sowie zur Entwicklung eines Impfstoffs und von wirksamen Medikamenten zu gewinnen.

Literatur

  1. Zhou Qi, Gao Y, Wang X et al. Nosocomial infections among patients with COVID-19, SARS and MERS: a rapid review and meta-analysis. Ann Transl Med 2020;8 (10):629 (online).
  2. Joshua L. Santarpia, Vicki L. Herrera, Danielle N. Rivera, et al.: The Infectious Nature of Patient-Generated SARS-CoV-2 Aerosol. medRxiv preprint, DOI: doi.org/10.1101/2020.07.13.20041632. This version posted July 20, 2020.
  3. Joshua L. Santarpia, Danielle N. Rivera, Vicki L. Herrera, et al.: Aerosol and surface contamination of SARS-CoV-2 observed in quarantine and isolation care. Scientific Reports, volume 10, Article number: 12732 (2020).
  4. Parham Azimi, Zahra Keshavarz, Jose Guillermo Cedeno Laurent, Brent R. Stephens, Joseph G. Allen: Mechanistic Transmission Modeling of COVID-19 on the Diamond Princess Cruise Ship Demonstrates the Importance of Aerosol Transmission. medRxiv, July 15, 2020, DOI: doi.org/10.1101/2020.07.13.20153049.

Autoren

HARDY-THORSTEN PANKNIN
Badensche Straße 49
D-10715 Berlin
Kontakt: ht.panknin@berlin.de

PROF. DR. MED. STEFAN SCHRÖDER MHBA
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin,
Notfallmedizin und Schmerztherapie
Krankenhaus Düren gem. GmbH
Roonstr. 30
D-52351 Düren
Kontakt: stefan.schroeder@krankenhaus-dueren.de

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