COVID-19: Thrombosegefahr bei schwer Erkrankten

Störer im Gerinnungssystem gefunden
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Erythrozyt, aktivierter Thrombozyt und Leukozyt
Von links nach rechts: Erythrozyt (rotes Blutkörperchen), aktivierter Thrombozyt und Leukozyt (weißes Blutkörperchen) im Rasterelektronenmikroskop NCI, Frederick, public domain
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Tübinger Forscher fanden die Ursache für die gefährliche Aktivierung der Blutgerinnung bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten. Dabei stehen Antikörper, die unkontrolliert Blutplättchen aktivieren, im Fokus.

Bereits in der ersten Corona-Pandemiewelle kam es bei COVID-19-Patienten mit einem schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf zu schweren Störungen des Gerinnungssystems mit Komplikationen wie tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien bis hin zu Organversagen und Tod. Experten schätzen, dass rund 20 Prozent der COVID-19-Patienten als Begleiterkrankung schwere Gerinnungsstörungen mit der Folge venöser Thromboembolien aufweisen. Den Grund für die häufige Thrombosebildung bei COVID-19-Patienten vermuten Mediziner in einer übermäßigen Gerinnbarkeit des Blutes, der Hyperkoagulation, die sie auf eine Entzündungsreaktion im Zuge der COVID-19-Erkrankung zurückführen. Die Gefäßverschlüsse können auch zu Komplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall führen.

Beginn vier Tage nach Aufnahme

Eine gesteigerte Aktivierung des Gerinnungssystems bei COVID-19-Patienten beginne in aller Regel vier Tage nach stationärer Aufnahme, wie Mediziner am Tübinger Universitätsklinikum berichten. „In Blutanalysen von intensivpflichtigen Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion haben wir gesehen, dass bei ihnen die Blutgerinnselbildung kürzere Zeit benötigt und die Gerinnungsfaktoren stärker aktiviert werden als bei anderen stationären Patienten“, berichtet Prof. Dr. med. Tamam Bakchoul, Ärztlicher Direktor des Instituts für Klinische und Experimentelle Transfusionsmedizin (IKET) am Universitätsklinikum Tübingen in einem Forschungs-Videobeitrag der Herzstiftung.

Tübinger Studie zur Gerinnungsstörung

Im Rahmen des von der Deutschen Herzstiftung mit 101.000 Euro geförderten Forschungsvorhabens „Tübinger Studie zur Gerinnungsstörung bei COVID-19-Patienten“ haben Forscher um Bakchoul und seinen Kollegen Prof. Dr. med. Peter Rosenberger, Ärztlicher Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin in Tübingen, mehr Klarheit in die Krankheitsmechanismen von Veränderungen im Gerinnungssystem schwer erkrankter COVID-19-Patienten, die zu den Komplikationen führen, bringen können. Auch konkreten Therapieansätzen zum Schutz vor Thromboembolien sind die Forscher nähergekommen. „Standardtherapien mit Blutverdünnern wie Acetylsalicylsäure, kurz ASS, alleine können diesen prothrombotischen Zustand bei intensivpflichtigen COVID-19-Patienten nicht hemmen“, so Gerinnungsexperte Bakchoul.

Indirekter Weg geht über die Antikörper?

Die Forscher sind u. a. zu dem Ergebnis gekommen, dass SARS-CoV-2-Viren die Thrombozyten mindestens über einen indirekten Weg im Blut der Patienten aktivieren. „Dieser indirekte Weg geht über die Antikörper, die im Zuge einer massiven Immunantwort auf SARS-CoV-2 in viel zu hoher Zahl freigesetzt werden. Diese binden nicht an das Coronavirus, sondern an die Blutplättchen und aktivieren sie“, betont Bakchoul. Die Forschungsergebnisse der Tübinger Mediziner sind insbesondere für Menschen mit Herz- und Gefäßleiden, die per se ein erhöhtes thromboembolisches Risiko aufweisen, von enormer Bedeutung. „Die Erkenntnisse der Tübinger Mediziner könnten dazu beitragen, Risikogruppen bei COVID-19-Erkrankung etwa durch Thromboseprophylaxe frühzeitig vor Komplikationen besser zu schützen“, sagt der Kardiologe und Intensivmediziner Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung.

Erhöhtes thromboembolisches Risiko

Das Risiko für Thrombosen sei bei stationären COVID-19-Patienten besonders erhöht, da beim dauerhaften Liegen der Patienten das Blut in den Gefäßen langsamer fließe. Und bei den kardiovaskulär vorerkrankten COVID-19-Patienten seien die Gefäße zum Teil vorgeschädigt. „Allein dadurch überwiegt der Anteil der prothrombotischen Faktoren gegenüber den antithrombotischen“, erläutert der Arzt und Forscher Bakchoul. Das Tübinger Forscherteam untersuchte bestimmte Laborwerte, darunter Thrombose-Marker wie das D-Dimer, das gebildet wird, wenn sich in den Blutgefäßen Gerinnsel gebildet haben und bei der körpereigenen Auflösung von Blutgerinnseln. Auch untersuchten sie Marker für den Zelltod von Blutplättchen. Dazu analysierten sie Blut von 21 intensivpflichtigen (ICU) COVID-19-Patienten und verglichen die Proben mit dem Blut von 18 Gesunden in der Kontrollgruppe und vier nicht-intensivpflichtigen COVID-19-Patienten. Im Ergebnis zeigte sich insbesondere, dass durch den Antikörper-vermittelten Zelltod von Blutplättchen im Blut von ICU-COVID-19-Patienten deren thromboembolisches Risiko erhöht ist.

„Helfer“ außer Kontrolle?

Die Tübinger Forscher stellten im Rahmen ihrer Untersuchungen auch fest, dass bei schweren COVID-19-Verläufen das Immunsystem der Patienten mit einer überschießenden Immunantwort (Zytokinsturm) auf das Entzündungsgeschehen reagiert (Thrombo-Inflammation): der Körper produziere unkontrolliert Abwehrstoffe (Antikörper) gegen das SARS-CoV-2-Virus. Viele der Antikörper seien ohne klare Bindungsstelle. „Wir vermuten, dass Antikörper eine ähnliche Bindungsstelle an die Oberfläche von Thrombozyten wie an die Oberfläche von SARS-CoV-2-Viren haben.“ Binden die Antikörper an die Blutplättchen, lösen sie dort komplexe Veränderungen aus, sodass es bei einem Teil der Blutplättchen zum Zelltod (Apoptose) komme. Beim anderen Teil veränderten die Thrombozyten ihre Zelloberfläche so, dass sie gerinnungsfördernde Faktoren freisetzen und Thrombosen fördern. „Je stärker also die Immunreaktion auf SARS-CoV-2 ausfällt, desto höher ist das Risiko der Thrombozyten-Aktivierung“, erklärt Bakchoul.

Thrombose-Prophylaxe per Spritze?

Mit ihren neuen Erkenntnissen erhoffen sich die Tübinger Mediziner, neue Therapien zur Prävention von Thrombosen besonders bei intensivpflichtigen COVID-19-Patienten zu entwickeln. Dabei bauen Bakchoul und Kollegen auf bereits für andere Erkrankungen zugelassenen Substanzen auf, mit denen sich die Freisetzung von Blutplättchen und dadurch die COVID-19-vermittelte Gerinnungsaktivierung unterbinden lassen. „Unser Ziel ist es, COVID-19-Patienten bereits auf der Normalstation auf Gerinnungsparameter und Thrombozytenmarker zu untersuchen und mit entsprechender Dosierung prophylaktisch mit gerinnungshemmenden Medikamenten zu behandeln.“

Ein Video-Clip „Gefahr durch verstärkte Blutgerinnung bei COVID-19-Patienten“ mit dem Tübinger Forscher Prof. Tamam Bakchoul ist abrufbar unter youtu.be/7adJdF7E-mA 

Literatur:

Althaus K, et al.: Antibody-induced procoagulant platelets in severe COVID-19 infection. Blood (2021) 137 (8): 1061–1071. DOI: doi.org/10.1182/blood.2020008762.

Quelle: idw/Deutsche Herzstiftung e.V./Deutsche Stiftung für Herzforschung

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