Kinder und Jugendliche leiden unter den aktuellen Bedingungen der Pandemie. Das Recht der nachwachsenden Generation auf eine möglichst geringe Beeinträchtigung ihrer Lebensbedingungen muss in den politischen Entscheidungen berücksichtigt werden, fordern deshalb die DGKJ sowie der BVKJ. Testverfahren zur COVID-19-Diagnostik könnten dazu beitragen, infizierte Personen zu identifizieren und zu isolieren. Aktuell seien in verschiedenen Bundesländern Massentestungen an Schülern und Schülerinnen und Lehrpersonal geplant, um Ausbreitungen an Schulen zu verhindern. Dieses Konzept einer anlasslosen flächendeckenden regelmäßigen Testung an Schulen könne potenziell zur Verhinderung von Infektionsausbreitungen an Schulen beitragen, eine durchdachte umfassende Teststrategie mit Folgeabschätzung sei dabei aber unabdingbar, so die Fachgesellschaften.
Testverfahren
In der Stellungnahme heißt es: „Der PCR-Test weist genetisches Material (RNA) des Virus nach, ist empfindlich, zuverlässig und gilt als Goldstandard für den Nachweis einer Infektion. Schnellteste erkennen Eiweißbestandteile des Virus, sind aber weniger zuverlässig und empfindlich. Ein positiver Schnelltest muss immer durch einen PCR-Test bestätigt werden. Für beide Testverfahren gilt: Je höher die Viruskonzentration (Viruslast) in der untersuchten Probe, umso verlässlicher ist das Testergebnis. Die Viruslast an der Rachen-/Nasenhinterwand ist am höchsten und steigt in den ersten Tagen nach der Infektion rasch an. Ein tiefer Nasen-/Rachenabstrich sollte durch medizinisches Personal durchgeführt werden.“
Die auch durch geschulte Laien durchführbaren Nasenvorhof-/Speichel-/Spuck-/Gurgelteste sind den Pädiatern zufolge für Kinder deutlich angenehmer. Um aber eine ausreichende Viruslast im Untersuchungsmaterial zu erreichen, müssten bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehörten das Schnäuzen vor dem Nasentest, das Räuspern vor dem Gewinnen von Material aus dem Mundraum (Material aus dem hinteren Nasen-/Rachenbereich gelangt in den Nasenvorhof beziehungsweise vorderen Mund), Nüchternheit (Essen setzt Viruslast herab), kein Zähneputzen, Verwendung von Mundwasser etc. Die Herstellerangaben müssten genauestens beachtet werden inklusive der Anleitung zur Aufbereitung des Untersuchungsmaterials und der Ablesezeit. Untersuchungsmaterialien außer dem tiefen Nasenabstrich oder dem Rachenabstrich seien nur unzureichend in unabhängigen Studien evaluiert und die Verlässlichkeit der Ergebnisse sei vor allem für Kinder bisher nicht gesichert.
Prätest-Strategie
Die Organisation von Schnelltesten in Schulen/Kitas sei zwar denkbar, aber zeitaufwendig. Sie müsse dokumentiert werden, sei datenschutzrechtlich nicht unbedenklich und es bestehe eine erhöhte theoretische Infektionsgefahr des anleitenden Lehrpersonals. Ein Vorteil gegenüber Schnelltesten im häuslichen Umfeld (Selbstteste) sei auf der anderen Seite die vorgeschriebene Dokumentation, die zur wissenschaftlichen Evaluation der Infektionsinzidenz an Schulen/Kindertagesstätten genutzt werden könne. Dazu sei allerdings die Verknüpfung der Schnelltestergebnisse mit denen der erforderlichen PCR-Nachtestungen bei positivem Ergebnis notwendig. „Selbstteste zu Hause vor der Schule bergen das Risiko nicht adäquat durchgeführter Testungen und sind nicht dokumentationspflichtig.“ Selbsttestungen durch die Kinder halten die Kinderärzte für nicht praktikabel und auch nicht für sicher.
Testgenauigkeit
Ein Test sollte einerseits eine Person mit Infektion korrekt erkennen und nicht fälschlicherweise negativ einstufen (Sensitivität). Andererseits sollte der Test eine Person ohne Infektion korrekt erkennen und nicht fälschlicherweise positiv einstufen (Spezifität). „Kein Test ist zu 100% zuverlässig. Die nach den Vorgaben des Paul- Ehrlich-Instituts zugelassenen Schnellteste müssen bei symptomatischen Patienten eine Sensitivität von mindesten 80 % und eine Spezifität von 97 % aufweisen. Das bedeutet, dass 20 % der Infizierten durch einen Schnelltest nicht als infiziert erkannt werden. In einem aktuellen Cochrane Review beträgt die Rate falsch-negativer Schnelltests bei asymptomatischen Patienten sogar mehr als 40 %,“ so die Stellungnahme. „Diese Patienten wiegen sich in einer falschen Sicherheit, die Gefahr, dass sie die Hygieneregeln (AHA-L) nicht konsequent befolgen, ist hoch.“
Ein zusätzliches Problem könne die Spezifität sein. „Wenn wir von einer tatsächlichen Inzidenz von 100/100.000 ausgehen, sind 9.990 von 10.000 Personen nicht infiziert. Von diesen 9.990 haben 9.790 bei einer Spezifität des Schnelltestes von 98% 9790 ein richtig-negatives Testergebnis, während 200 Personen ein falsch-positives Testergebnis haben, obwohl sie nicht infiziert sind. Alle positiven Testergebnisse müssen durch PCR-Kontroll-Teste bestätigt werden. Bis dahin müssen die Personen (und ihre Kontaktpersonen der ersten Kategorie) mit entsprechendem Aufwand für die Familien umgehend isoliert werden. in unserem Beispiel werden 208 Personen positiv getestet, von denen nur 8 (3,85%) tatsächlich infiziert sind.“ Die aktuell mediale Kommentierung von Schnelltesten lasse dieses Problem völlig außer Acht. Nur bei einer hohen Prätestwahrscheinlichkeit steige die Rate der richtig-positiv Getesteten. Die Prätestwahrscheinlichkeit lasse sich steigern, indem nur anlassbezogene Teste (Testen von symptomatischen Patienten, Testen im Rahmen von regionalen oder lokalen Ausbruchssituationen) durchgeführt werden.
Posttest-Strategie
Es muss eine umfangreiche verlässliche Posttest-Logistik zur Verfügung stehen mit definierten PCR-Test-Anbietern, die in der Lage sind, Kontroll-Testergebnisse innerhalb kurzer Zeit zu liefern, zuverlässig zu kommunizieren und dokumentieren, fordert die Stellungnahme. Der Verweis nach einem positiven Schnelltest - „gehen Sie zum Hausarzt oder rufen 116117 oder das Gesundheitsamt an“ - lasse die Getesteten beziehungsweise die Einrichtung, die den Test veranlasst hat (Schule, Kita), mehr oder weniger hilflos zurück.
„Bei 12 Millionen Schülerinnen und Schülern und 780.000 Lehrerinnen und Lehrern in Deutschland, die regelmäßig zwei Mal in der Woche getestet werden, ergibt sich bei einer Spezifität von 98 % eine Summe von 51.1000 falsch-positiv getesteten Personen in einer Woche, die in ein Posttest-Verfahren eingeschleust werden müssen und bis zum Ergebnis des PCR-Kontrolltestes isoliert werden müssen (inklusive Kontaktpersonen der ersten Kategorie). Wenn die Posttest-Logistik dann nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung steht, wird das Vertrauen der Bevölkerung in die Schnellteste sehr rasch verloren gehen.“
Bei einer Wahrscheinlichkeit von über 96 % zwar im Schnelltest positiv zu sein, im PCR-Kontrolltest aber negativ zu sein, sei eine umfassende Aufklärung über diese Limitationen der Schnellteste vorher zwingend notwendig, bevor man anlasslose Massenschnellteste in Schulen/Kindertagesstätten einführt, fordern die Kinderärzte.
Quelle: BVKJ/DGKJ, 26.03.2021
Artikel teilen