Corona-Pandemie: Antikörper-Tests und ihre Grenzen

Unstatistik Mai
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Corona-Antikörpertests
Aussagekraft der Corona-Antikörpertests H_Ko, stock.adobe.com
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Die Unstatistik Mai ist keine übliche Unstatistik. Vielmehr erklärt sie wichtige statistische Konzepte, die helfen, die Ungewissheiten in der Corona-Zeit besser zu verstehen. Ist man nach einem positiven Antikörper-Test mit Sicherheit oder wenigstens mit hoher Wahrscheinlichkeit immun, wenn der Test eine hohe Sensitivität und Spezifität besitzt?

Manch einer denkt, vielleicht habe ich das Virus bereits gehabt – war da nicht vor Wochen ein Fieber oder ein Hustenreiz? Ein Antikörper-Test soll darauf eine Antwort geben. Es gibt sie als Labortests und Schnelltests, welche ein Ergebnis in weniger als einer halben Stunde liefern.

Fragen zur Immunität

Wenn man nun positiv getestet ist, ist man dann auf Jahre hin immun und braucht sich nicht vor einer Ansteckung zu fürchten? Nein, das wäre eine Illusion der Gewissheit. Erstens besteht die medizinische Unsicherheit, ob eine durchgemachte Infektion dauerhaft zur Immunität führt. Zweitens ist kein Test absolut sicher. Die britische Regierung musste dafür Lehrgeld bezahlen, als sie Ende März 3,5 Millionen Tests von verschiedenen Firmen bestellte und erst im Nachhinein bemerkte, dass keiner der Tests sicher genug war (s. Mallapaty, 18. April 2020, Nature). Selbst PCR-Tests liefern bei infizierten Patienten nicht immer ein positives Ergebnis. Die Frage ist nun, wie sicher sind aus statistischer Sicht die Diagnosen mit Hilfe von Antikörper-Tests?

Sensitivität und Spezifität zeigen die Sicherheit von Antikörper-Tests

Oft hört man, dass ein Antikörper-Test zu 95 Prozent sicher sei. Das ist irreführend vieldeutig, so die Wissenschaftler. Jeder Test könne zwei Fehler machen: Er kann eine Infektion übersehen oder eine nicht-infizierte Person als infiziert klassifizieren. Ersteres ist ein falsch-negatives, letzteres ein falsch-positives Ergebnis. Um die Güte eines Tests zu beurteilen brauche man daher immer zwei Angaben: die Wahrscheinlichkeit, dass ein Infizierter richtig positiv getestet (Sensitivität oder Trefferrate) und die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nicht-Infizierter fälschlicherweise positiv getestet (Falsch-Positiv-Rate) wird. Die Gegenwahrscheinlichkeit zur Falsch-Positiv-Rate ist die häufig zitierte Spezifität; sie ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nicht-Infizierter auch als solcher erkannt wird.

Sind die Tests also nicht doch bereits sehr gut?

Ein falsch-positives Ergebnis kann beispielsweise dadurch zustande kommen, dass ein Test die Antikörper gegen einen anderen Erreger mit denjenigen gegen SARS-CoV-2 verwechselt. Sensitivität und Spezifität der Tests werden meist recht hoch angegeben, in der „Heinsberg-Studie“ zum Beispiel mit 99,1 und 90,9 Prozent. Sind die Tests also nicht doch bereits sehr gut? Das ist derzeit nicht einfach zu beantworten. Wegen der Pandemie können in der EU und weltweit die Hersteller ihre Produkte weitgehend selbst zertifizieren, ohne dass deren Verlässlichkeit unabhängig überprüft wird. Bei 11 kommerziell verfügbaren Antikörper-Tests schwankte etwa die Sensitivität laut Wissenschaftler zwischen 45 und 100 Prozent und die Falsch-Positiv-Rate zwischen 0,0 und 9,4 Prozent (die Schnelltests schnitten dabei etwas schlechter ab als die Labortests). Alle Angaben stammten von den Herstellern (EvaluateMedTech & company websites). Eine Falsch-Positiv-Rate von 0,0 würde bedeuten, dass Falsch-Positive nie vorkommen, was kaum zu glauben sei. Dieser Wert komme vermutlich daher, dass einige der Hersteller nur wenige nicht-infizierte Personen getestet hatten. Wenn man nur wenige gesunde Menschen testet, wird man kaum falsch-positive Ergebnisse finden. Eine Analyse von 14 Antikörper-Tests durch unabhängige Wissenschaftler zeigte, dass die Falsch-Positiv Rate im Schnitt bei 5 Prozent lag.

Abhängigkeit vom Bevölkerungsanteil der Erkrankten

Ist man also nach einem positiven Antikörper-Test mit Sicherheit oder wenigstens mit hoher Wahrscheinlichkeit immun, wenn der Test eine hohe Sensitivität und Spezifität besitzt? Das zu glauben wäre ein großer Irrtum, wenn das Ergebnis falsch-positiv ist. Und ein gefährlicher Irrtum dazu, wenn die Person mit dem positiven Test in der Hand glaubt, keine Distanz mehr halten zu müssen und auf andere Vorsichtsmaßnahmen verzichten zu können. Bevor man Immunitäts-Pässe ausstellt, die dem Besitzer erlauben, mit allen anderen Menschen uneingeschränkt zu interagieren, müsse man zuerst einen Eindruck über die absolute Zahl der Falsch-Positiven gewinnen.

Positiver Vorhersage-Wert

Angenommen, Sie erinnern sich vage, dass Sie Anfang März einmal einen Hustenreiz hatten, und Sie lassen sich nun auf Antikörper testen. Ihr Test ist sehr verlässlich und hat (nach Angabe des Herstellers) eine Trefferrate von nahe 100 Prozent und eine Falsch-Positive Rate von nur 1 Prozent. Sie testen positiv. Wie hoch ist die Chance, dass Sie wirklich infiziert waren? Die Antwort ist weder 100 Prozent noch 1 Prozent. Sie hängt von der Prävalenz der Infektion ab, d.h. dem Anteil der Erkrankten in der Bevölkerung. Angenommen, diese ist ein Prozent, das heißt, dass ein Prozent der Bevölkerung die Infektion bereits durchgemacht haben. Denken Sie an 100 zufällig ausgewählte Personen, die wie Sie den Test machen. Von diesen erwarten wir, dass eine infiziert ist und richtig positiv testet (100 Prozent Sensitivität). Von den 99 nicht-infizierten erwarten wir, dass ebenfalls eine Person positiv testet (1 Prozent Falsch-Alarm Rate). Also, von je zwei Personen die positiv testen, ist eine infiziert und eine ist es nicht. Wie bei einem Münzwurf. Die Chance, dass Sie infiziert sind, wenn sie positiv testen, liegt also bei 50 Prozent. Dieser Wert hat den Namen „positiver Vorhersage-Wert“.

Prävalenz nur grob geschätzt

Aufgrund der unsicheren Datenlage kann die Prävalenz nur grob geschätzt werden, da die tatsächliche Anzahl der an COVID-19 erkrankten Personen unbekannt ist und möglicherweise deutlich höher liegt als die Zahl der gemeldeten Fälle. Für Deutschland insgesamt ist derzeit etwa von einer Prävalenz von knapp 3 Prozent auszugehen. Damit würde der positive Vorhersage-Wert bei dem oben unterstellten guten Test rund 75 Prozent betragen. In München, wo die aktuelle Studie des Tropenmedizinischen Instituts auf eine Prävalenz von rund 5 Prozent hinweist, läge sie bei 84 Prozent und in Heinsberg mit einer Prävalenz von 15 Prozent bei 95 Prozent.

Begrifflichkeiten sind selbst medizinischem Personal oft nicht klar

Sensitivität, Falsch-Positiv-Rate und der positive Vorhersage-Wert werden immer wieder durcheinandergebracht, selbst von medizinischem Personal. Mehr als ein Drittel der Medizinstudenten der Charité versteht am Ende des Studiums laut einer Studie nicht, was diese drei Begriffe bedeuten, und die meisten können den positiven Vorhersage-Wert nicht bestimmen. Prozente verwirren viele Menschen, aber wenn man diese in „natürlichen Häufigkeiten“ erklärt, wie es oben getan wurde, kann es jeder besser verstehen. Noch ein Übungsbeispiel: Der Antikörper-Schnelltest BioMedomics COVID-19 hat (nach Angaben des Herstellers) eine Sensitivität von 89 Prozent und eine Falsch-Positive Rate von 9 Prozent. Würde man mit diesem Test alle Personen in Deutschland testen, was hätte das für Folgen? Die Antwort hängt wiederum von der Prävalenz ab. Liegt diese bei 3 Prozent, dann kann man sich 1.000 Personen vorstellen, von denen 30 infiziert sind und 27 davon richtig positiv getestet werden. Unter den nicht-infizierten Personen sind etwa 87 (9 Prozent von 970) zu erwarten, die falsch positiv getestet werden. Damit wäre die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person wirklich infiziert ist, wenn sie positiv getestet wird, nur 27 von 114, also etwa 24 Prozent. Das bedeutet: bei flächendeckendem Testen wären nach wie vor die meisten Personen, die positiv testen, tatsächlich falsch-positiv.

Negatives Testergebnis ist vergleichsweise sicher

Solange nicht sichergestellt ist, dass ein Antikörper-Test eine deutlich kleinere Falsch-Positiv Rate besitzt, ist ein positives Testergebnis mit hoher Unsicherheit belastet, wenn die Prävalenz niedrig ist. Ein negatives Testergebnis ist dagegen vergleichsweise sicher. Im Allgemeinen gilt, je größer die Prävalenz, desto höher der positiver Vorhersage-Wert. Je niedriger die Prävalenz, desto geringer wird dieser Wert. Daraus folgt, dass Tests zu diagnostischen Zwecken bei Personen mit Symptomen oder in Risikogruppen zu empfehlen sind, da dort die Prävalenz höher ist. Nur dann ist ein Testergebnis im individuellen Fall sicher genug. Zu statistischen Zwecken, also zur Feststellung der Prävalenz und der Letalität, sind repräsentative Tests allerdings durchaus brauchbar, denn wie gezeigt wurde, lassen sich die falsch-positiven und falsch-negativen Fälle „herausrechnen“.

Mit flächendeckenden Testungen warten

Die Antwort auf die Frage, ob wiederholte Tests in repräsentativen Panel-Stichproben sinnvoll sind, ist laut Wissenschaftler deshalb ein klares „Ja.“ Wenn die wirkliche Trefferrate und Falsch-Positiv-Rate in Zweifel stehen, könne man zum Vergleich auch mit etwas schlechteren Werten rechnen, um den Einfluss auf das Ergebnis zu prüfen. Dies sei in der „Heinsberg-Studie“ geschehen. Die Frage, ob in Deutschland flächendeckend getestet werden soll, etwa zur Ausstellung von „Immunitäts-Nachweisen“, könne man jedoch nur sinnvoll beantworten, wenn man die wirkliche Trefferrate und Falsch-Positiv Rate genau kennt. Bei einer Falsch-Positiv Rate von 1 Prozent und 78,5 Millionen Personen, die nicht infiziert sind, müsse man erwarten, dass etwa 785.000 Menschen falsch positiv testen; bei einer Falsch-Positiv Rate von 9 Prozent wären es sogar 7,1 Millionen. Diese große Zahl an Personen genauer zu untersuchen und deren Kontakte zu ermitteln, würde zu einer immensen Belastung unseres Gesundheitssystems führen. Daher sollte man derzeit Tests besser an Personen durchführen, die schon Symptome zeigten. Mit flächendeckenden Testungen sollte man warten, bis es Tests gibt, von denen man mit Sicherheit weiß, dass sie eine äußerst niedrige Falsch-Positiv Rate haben.

Trügerisches Gefühl von Immunität

Mitte März hat der Generaldirektor der WHO empfohlen: „Testen, testen, testen.“ Aber solange man nicht weiß, wie verlässlich die Tests sind, kann Testen bei Nicht-Risiko-Gruppen zu vielen falschen Ergebnissen und einem trügerischen Gefühl von Immunität führen. Also empfehlen die Wissenschaftler: Nicht nur testen, testen, testen, sondern die Tests testen!

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen.


Quelle: idw/RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

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