Diskussionen über Impfpflichten könnten kurzfristig nicht helfen, so Spahn. Auch das Verlegen von Intensivpatienten aus den betroffenen Regionen sei nur Symptombekämpfung. Dies könne zudem nicht unbegrenzt oft gemacht werden. Die Welle werde auch gen Westen und Norden ziehen. Die Welle müsse gestoppt werden, sonst drohe zum ersten Mal eine Überlastung des Gesundheitswesens. Es brauche jetzt ein Zusammenstehen aller Verantwortlicher, forderte Spahn eindringlich. „Je stärker wir aktuell auf die Bremse treten, umso besser ist es später“. Gleichzeitig beunruhigt auch Spahn und Wieler die neu aufgetauchte Coronavariante B.1.1.529. Noch seien viele Fragen offen. Eventuell gebe es aber eine höhere Transmission, betonte Wieler. Die Einführung einer Quarantänepflicht für Einreisende aus Südafrika gelte jedoch nicht für die am Freitagmorgen gelandeten Passagiere, musste Spahn zugeben. Es gehe darum, diese Passagiere „zu bitten, zu Hause zu bleiben“.
Empfehlungen zur Priorisierung und Triage
Wie dramatisch die aktuelle Lage ist, zeigt sich auch daran, dass die DIVI am Freitag kurzfristig zu einer Pressekonferenz zur Vorstellung der Aktualisierung der klinisch-ethischen Empfehlungen zur Priorisierung und Triage bei COVID-19 eingeladen hatte. Prof. Uwe Janssens, Prof. Jan Schildmann, Arzt und Medizinethiker und Prof. Georg Marckmann, Medizinethiker und Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin, schilderten die neue Version der Empfehlungen. Der Einsatz werde zunehmend realistischer, so Janssens. Der Leiter der DIVI- Arbeitsgruppe Ethik sprach von einer „geplanten Katastrophe“ in den Intensivstationen. Durch den vorhandenen zeitlichen Rahmen könne man aber differenzierter beurteilen im Vergleich zur klassischen Triage im Krieg oder bei Unfällen. Die drei Experten reagierten damit auch auf Stimmen, die lauter werden, wenn es darum geht, ICU-Plätze für Geimpfte und Genesene vorrangig zur Verfügung zu stellen. Marckmann stellte klar, dass dies nicht gehe. Die ärztliche Hilfspflicht gelte unabhängig vom Verhalten der Betroffenen. Wenn priorisiert werden müsse, gelten weiter die klinischen Erfolgsaussichten. Dies sei nach wie vor das richtige Kriterium, um möglichst viele Menschen zu retten. Der Impfstatus dürfe kein Kriterium sein.
Behandlung von Nicht-Corona-Intensivpatienten
Schildmann ging auf das ethische Problem ein, dass auch alle anderen Fälle wie Tumorbehandlungen oder Herzinfarkte beachtet werden müssten. Auch Patienten, die nicht unmittelbar bedroht seien, aber deren verzögerte Behandlung sie später zu dringlicheren Patienten mache, müssten in die Betrachtung einbezogen werden. Entscheidungen zur Priorisierung dürften nicht einseitig zum Nachteil von Nicht-COVID-Patienten getroffen werden. Sollten diese Priorisierungsentscheidungen getroffen werden müssen, fordert Marckmann Rechtssicherheit und die klare Rückendeckung von der Politik. Janssens appellierte an die Politik, schnellste Entscheidungen für ganz Deutschland zu treffen. „Wir können es uns nicht leisten abzuwarten“. Es müsse endlich durchgreifend gehandelt werden.
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