BPI und Kassen: Geplantes Arznei-Engpass-Gesetz greift nicht
„Nach aktuellem Stand löst das ALBVVG (Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz) nach wie vor die Lieferengpassprobleme für über 98 Prozent der Arzneimittel der Grundversorgung nicht“, beklagte Dr. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) vor der Anhörung am Montag im Gesundheitsausschuss. „Wir halten es für schwer erklärbar, dass nur Antibiotika und Kinderarzneimittel in den Fokus rücken. Viele andere Arzneimittel für teils chronisch kranke Patientinnen und Patienten sind durch den Gesetzesentwurf nicht erfasst, zum Beispiel Onkologika. Doch der Preisdruck existiert auch und gerade bei anderen Therapien, die sich ebenfalls in Lieferengpässen befinden oder davon bedroht sind“, so Joachimsen.
Neue Preisstrukturen gefordert
„Globale Herausforderungen brauchen umfassende Antworten. Warenströme, Lieferketten und Kosten haben sich dramatisch verändert. Es braucht daher dringend neue Preisstrukturen, mit denen in Europa produzierende Unternehmen Kosten kompensieren können, ohne dass sie parallel mit Nachteilen im internationalen Wettbewerb rechnen müssen. Oberstes Ziel muss es sein, die weitere Abwanderung zu verhindern und den heimischen Pharmastandort zu fördern. Eine zielführende Maßnahme wäre unter anderem die Streichung der automatischen Substitution biotechnologischer Arzneimittel in der Apotheke. Zudem vermissen wir im ALBVVG einen umfassenden Inflationsausgleich für alle vom Preisstopp betroffenen Arzneimittel, eine Inflationsbereinigung des Festbetragsmarktes und weitere Incentivierungsmodelle im Bereich der Reserveantibiotika“, sagte Joachimsen.
Ausschreibungspraktik bei Rabattverträgen erneuern
„Um die Versorgung langfristig zu sichern, brauchen wir aber auch eine neue Ausschreibungspraktik bei Rabattverträgen der Krankenkassen für alle Arzneimittel der Grundversorgung. Nicht nur der günstigste Hersteller sollte zum Zuge kommen, sondern die Zuverlässigkeit der gesamten Produktionskette und Lieferung muss eine Rolle spielen. Seit langem empfehlen wir, sofern man in diesem kritischen Marktumfeld überhaupt an Rabattverträgen festhalten will, diese erst bei mindestens vier Anbietern im Markt zuzulassen. Im Rahmen eines verpflichtenden Mehrpartnermodells sollten mindestens drei Zuschläge vergeben werden unter denen mindestens zwei Unternehmen von zwei unterschiedlichen Lieferanten Wirkstoffe beziehen und von denen mindestens ein Hersteller maßgeblich in Deutschland oder Europa produziert.
„4-3-2-1-Modell“
Dieses „4-3-2-1-Modell“ einer verpflichtenden Mehrfachvergabe wäre ein erster Schritt in Richtung Standortförderung und Versorgungssicherheit. Für versorgungskritische Arzneimittel darf es zudem keine Rabattverträge mehr geben. Das Ganze würde das Risiko von Liefer- und Versorgungsengpässen deutlich reduzieren“, unterstrich Joachimsen. Komme es dennoch zu unterbrochenen Lieferketten – zum Beispiel, wenn Vorprodukte ausfielen – lasse sich das Problem leichter beheben, wenn mehrere Anbieter im Markt vertreten seien und flexibel reagieren könnten. „Erweiterte Melde- und Bevorratungspflichten hingegen – wie im ALBVVG vorgesehen – bedeuten letzten Endes nur noch mehr Bürokratie, Ineffizienz und zusätzliche Kosten. Versorgungsengpässe löst man damit nicht“, sagt Joachimsen.
Kassen gegen finanzielle Anreize für Industrie
Gegen die mit dem Gesetz geplanten finanziellen Anreize für die Industrie wenden sich der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse (TK), Dr. Jens Baas und die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Dr. Carola Reimann, Baas: „Pauschale Preiserhöhungen sind aber ein vollkommen ungeeignetes Mittel, um Lieferengpässe zu beseitigen. Wenn die Versichertengemeinschaft mehr für Medikamente zahlt, müssen daran auch verpflichtende Maßnahmen für die Hersteller geknüpft sein, die die Liefersicherheit von Medikamenten auch tatsächlich stabilisieren“. Reimann verwies darauf, dass Lieferengpässe kein deutsches, sondern ein globales Problem seien.Höhere Kosten für die Versichertengemeinschaft seien daher der falsche Weg.
Quellen: BPI, AOK-Bundesverband, Techniker Krankenkasse
Artikel teilen