In großen menschlichen Adern wie der Aorta können Turbulenzen auftreten, wie sie aus der Aerodynamik von Flugzeugen und Autos bekannt sind. In der Medizin ist das ein bekanntes Phänomen, doch die genauen Vorgänge sind nach wie vor wenig verstanden, obwohl verschiedene gesundheitliche Folgen damit verknüpft sind. Ein Team um den Physiker Björn Hof untersucht nun in einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt genauer, welche Turbulenzen in pulsierenden Strömungen wie dem Blutfluss auftreten können. Dabei entdeckte man eine neue Art der turbulenten Strömung, die auch in kleineren Blutgefäßen vorkommen kann.
Dass Turbulenz in Blut bisher noch wenig untersucht ist, liegt daran, dass diese chaotische Form der Strömung zu den komplexesten Phänomenen der Physik gehört. Weil Turbulenzen großen Einfluss auf den Strömungswiderstand von Gasen und Flüssigkeiten haben, ist ihr Verständnis für viele technische Anwendungen wichtig, etwa in der Luftfahrt oder beim Bau von Pipelines. Auch in einfachen Rohren oder Schläuchen treten chaotische Strömungen auf, aber ob das geschieht, ist von einer Reihe von Faktoren abhängig, etwa von der Größe des Rohres und der Zähigkeit der Flüssigkeit.
„In der Aorta, dem größten Blutgefäß des Menschen, sind die Geschwindigkeiten durchaus hoch genug, dass Turbulenzen auftreten, wie sie auch in einem Gartenschlauch oder einer Wasserleitung zu erwarten sind“, erklärt Hof. Das sei auch in der Medizin bekannt. Allerdings bewegt sich das Blut im Körper nicht gleichmäßig, sondern in Schüben, die von der Pumpbewegung des Herzens herrühren. Es gibt exotischere Arten von Instabilitäten und Verwirbelungen, die speziell mit pulsierenden Strömungen in Verbindung stehen und die sich auch in kleineren Blutgefäßen bilden könnten. Der Nachweis eines solchen Phänomens gelang Hof nun im Rahmen des vom FWF geförderten und noch bis 2022 laufenden Projekts am Institute of Science and Technology Austria.
Instabil beim Abbremsen
Dazu unternahm Hofs Team Strömungsexperimente mit Wasser in Rohren. In das Wasser wurden winzige reflektierende Partikel gemischt, um die Strömungen sichtbar zu machen und mit Kameras analysieren zu können. Das Forschungsteam pumpte das Wasser dabei nicht gleichmäßig durch das Rohr, sondern pulsierend. Es zeigte sich, dass an kleinen Störstellen wie Krümmungen oder Abzweigungen rotierende, helixförmige Strömungen auftreten, die bisher in Blutgefäßen nicht bekannt waren. „Das Besondere an der Instabilität, die wir gefunden haben, ist, dass sie bei der Abbremsung auftritt und bei der Beschleunigung wieder verschwindet“, erklärt Hof.
Der Nachweis des neuen Effekts gelang mit Wasser, doch das war der Forschungsgruppe um Hof nicht genug. „Blut ist wesentlich komplexer. Es besteht zu 40 Prozent aus roten Blutkörperchen, die großen Einfluss auf die Eigenschaften der Flüssigkeit haben“, erklärt der Forscher. Die Experimente wurden daher mit Schweineblut wiederholt. Der Nachweis der Turbulenzen war hier schwieriger, weil Blut undurchsichtig ist. Doch über die Messung von Druckverteilungen am Rand der Flüssigkeit gelang es auch hier, die neue Form der Strömung nachzuweisen.
„Das hat uns überzeugt, dass die neue Instabilität tatsächlich auch in menschlichen Blutgefäßen auftreten kann. Sie unterscheidet sich wesentlich von den bisher bekannten Turbulenzen, die wir aus Gartenschläuchen oder Pipelines kennen“, sagt Hof. Für die Medizin ist dieses Ergebnis interessant, weil Turbulenzen zu Scherspannungen an den Gefäßwänden führen, wo sie Entzündungen und in Folge Thrombosen verursachen können. Dazu kommt, dass Störstellen in Blutgefäßen Turbulenzen überhaupt erst auslösen – ein Henne-Ei-Problem, wie Hof erklärt. In weiteren Untersuchungen wollen sich Hof und sein Team nun ansehen, wie sich turbulente Strömungen auf das Epithel, die innerste Zellschicht von Blutgefäßen, auswirken.
Schwierige Experimente
Bei seiner Arbeit vertraut Hof vorwiegend auf Experimente. Gerade Rohre lassen sich sehr effizient am Computer simulieren, aber realistische Situationen zu simulieren ist aufwendiger und damit empfindlich teurer. „In echten Blutgefäßen gibt es komplexe Fluideigenschaften, elastische Wände, die sich ausdehnen und zusammenziehen“, zählt der Physiker die Herausforderungen auf. Und die Versuche mit echtem Blut hätten auch die experimentellen Grenzen aufgezeigt, so der Wissenschaftler: „Da lässt sich nicht mehr die ganze Komplexität der Strömung simulieren, und auch die Experimente werden deutlich schwieriger.“
Mit den zur Verfügung stehenden Messmethoden könne man nicht ins Blut hineinsehen, sondern nur einzelne Blutkörperchen an den Rändern beobachten. Zwar sei es gelungen, die im Wasser gesehenen Turbulenzen indirekt auch im Blut nachzuweisen, doch: „Es gibt viele Dinge, die wir leider noch nicht wissen, und wir erhoffen uns, aus der Kombination von Modellrechnungen und Experimenten die richtigen Schlüsse zu ziehen.“ Das Projekt, das seit 2019 läuft und auf drei Jahre ausgelegt ist, erfolgt in Zusammenarbeit mit Partnern aus Deutschland und der Schweiz. Hof, der das Projekt mit den deutschen Partnern initiiert hat, leitet die österreichische Arbeitsgruppe.
Warum nicht mehr Turbulenzen auftreten
Nach der Entdeckung der neuen, helixförmigen Turbulenzen bleibt vor allem ein Rätsel, das Hofs Team beschäftigt: Gefäße wie die Aorta sind eigentlich groß genug, um auch die herkömmliche Art der Turbulenz zu erlauben, die nicht nur bei gepulsten Strömungen auftritt. Das scheint aber nicht in dem Ausmaß zu geschehen, wie man das bei den vorherrschenden Geschwindigkeiten erwarten würde – warum, ist unklar. „Wir wollen untersuchen, ob die Wellenform der pulsierenden Geschwindigkeit es wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher macht, dass normale Turbulenz in großen Blutgefäßen auftritt“, kündigt Hof an. Dazu gibt es bereits neue Ergebnisse, die Hof gerade zur Publikation vorbereitet.
Duo Xu, Atul Varshney, Xingyu Ma, Baofang Song, Michael Riedl, Marc Avila, Björn Hof: Nonlinear hydrodynamic instability and turbulence in pulsatile flow, in: PNAS, Mai 2020
Quelle: FWF, 14.06.2021
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