Insbesondere Krankheiten des Nervensystems, wie Alzheimer, Parkinson oder Amyotrophe Lateralsklerse (ALS) sind auf solche Proteinaggregate zurückzuführen. Die Zellen können die Aggregate nicht mehr auflösen, wodurch sie absterben. Eine Gruppe von Forschern der ETH Zürich um Prof. Matthias Peter und Reinhard Dechant führten hierzu eine Studie bei Hefezellen durch. Als Beispiel für ein Protein, das zusammenklumpt, entdeckten die Forscher das Enzym Cdc19.
Cdc19 stellt für die Zelle Energie bereit. Bei Stress wie Nahrungsentzug oder Hitze klumpt es jedoch zusammen. Bei dem Entzug von Glucose zerfällt Cdc19 also in seine vier Untereinheiten, die ihre ursprüngliche Form verändern und sich mit weiteren Molekülen wie der Ribonukleinsäure und anderen Enzymen zu Aggregaten zusammenlagern. Solche Klumpen werden von den Forschern Stresskörperchen genannt. In ein solches Aggregat eingebunden, wird Cdc19 inaktiv und kann keinen Brennstoff mehr für die Zelle erzeugen. Die Zelle kann in dieser Zeit weder wachsen noch sich vermehren.
Doch dieser Vorgang ist umkehrbar. Ist der Stress vorbei, lösen sich die Stresskörperchen auf, die vier Untereinheiten von Cdc19 können sich wieder zusammenlagern und das Enzym nimmt wieder seine gewohnte Arbeit im Zuckerstoffwechsel auf. Die Klumpen haben also einen klaren Zweck. „Die Hefezelle benutzt Aggregate als eine Art Lagerstätte für wichtige Enzyme, damit diese in Stresssituationen nicht abgebaut und nach überlebtem Stress sofort reaktiviert werden können“, so Peter. Die Aggregate schützen die Moleküle vor dem Abbau durch die zelleigene Entsorgungsmaschinerie. Es würde die Zelle viel Zeit und Energie kosten, müsste sie diese Verbindungen nach jeder Stresssituation neu aufbauen.
In der Struktur einer Cdc19 Untereinheit entdeckten die Forscher einen kurzen, ungefalteten und einfach aufgebauten Teilbereich – in der Fachsprache „Low Complexity Regions“ (LCR) genannt. Sie kommen auch in anderen aggregatbildenden Proteinen weiterer Organismen vor, unter anderem auch beim Menschen. „Die LCR werden durch den Zerfall des Enzymkomplexes exponiert und lösen die Aggregation aus“, weiß Peter. „Für uns war es deshalb wichtig, eine solche Sequenz bei Cdc19 ausfindig zu machen. Das bestätigt einen allgemeinen Mechanismus.“ Im Normalzustand ist die LCR von Cdc19 bei der Hefe versteckt oder trägt mehrere Phosphatgruppen, die die LCR „handlungsunfähig“ machen. Erst bei Ernährungsstress tritt die LCR hervor und die Phosphatgruppen werden entfernt – erst dann können sich Aggregate bilden.
Wichtige Erkenntnis für die Forschung
In der Forschung sorgte diese Erkenntnis für Aufbruchstimmung, so Reinhard Dechant, Gruppenleiter am Institut für Biochemie, der die Studie gemeinsam mit Peter leitete. Bisher galten solche Aggregate als krankmachende Partikel, da man in Patienten immer nur das Ergebnis des Vorgangs – die unauflösbaren Proteinaggregate – sehe. „Unsere Arbeit beleuchtet auch den Anfang der Aggregatbildung und deren Verlauf“, so Dechant. „Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass sowohl die Bildung als auch die Auflösung von Aggregaten ein wichtiger Mechanismus von Zellen ist.“
Schon in vorherigen Forschungsgruppen der ETH Zürich erlangte man ähnliche Erkenntnisse bei der Untersuchung von Hefezellen. Andere ETH-Wissenschaftler konnten bereits zeigen, dass Klumpen aus entarteten Proteinen wie ein Gedächtnis funktionieren und den Zellen helfen, vergangene (negative) Erfahrungen abzuspeichern. Die funktionelle Aggregation von bestimmten Proteinen scheint daher ein weitverbreiteter Regulationsmechanismus zu sein. (idw, red)
Saad S, Cereghetti G, Feng Y, Picotti P, Peter M, Dechant R: Reversible protein aggregation is a protective mechanism to ensure cell cycle restart after stress. Nat Cell Biol. 2017 Oct; 19 (10): 1202-1213. DOI: 10.1038/ncb3600. Epub 2017 Aug 28.
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