Beatmung: Lässt sich akutes Lungenversagen verhindern?

Gibt es Marker für das ARDS-Risiko?
lz
Professor Dr. Lars Knudsen
Professor Dr. Lars Knudsen demonstriert mit Luftballons, wie ein kollabiertes Lungenbläschen seine Nachbarn überdehnt (links) im Vergleich mit stressfrei entfalteten Alveolen (rechts). © Karin Kaiser/MHH
Newsletter­anmeldung

Bleiben Sie auf dem Laufenden. Der MT-Dialog-Newsletter informiert Sie jede Woche kostenfrei über die wichtigsten Branchen-News, aktuelle Themen und die neusten Stellenangebote.


Ein Forschungsteam hat bei künstlicher Beatmung mikroskopisch kleine Cluster geschädigter Lungenbläschen als Ursache für einen massiven Ausfall der Lungenfunktion identifiziert.

Kürzlich hatte die Meldung über die hohen Sterberaten bei künstlicher Beatmung in Deutschland für Aufsehen gesorgt. Eigentlich soll die künstliche Beatmung Leben retten, doch sie belastet gleichzeitig das Lungengewebe. Ist bspw. die Lunge vorgeschädigt, kann die Druckbeatmung sogar unerwünschte Effekte haben. Das betrifft vor allem Patienteninnen und Patienten mit akutem Lungenversagen (Acute Respiratory Distress Syndrome, ARDS). Denn beim Versuch, die Lunge offen zu halten und den Gasaustausch weiter zu ermöglichen, kann der Druck wegen einer Überdehnung noch intakter Lungenareale einen zusätzlichen Schaden setzen. Aber auch weniger vorgeschädigte Lungen, bei denen eine kleinere Menge an Lungenbläschen in sich zusammengefallen und nicht mehr funktionstüchtig ist, können anfällig auf die mechanische Beatmung reagieren. In diesen kollabierten Alveolen findet dann kein Gasaustausch von Sauerstoff und Kohlendioxid zwischen der einströmenden Luft und dem venösen Blut mehr statt. Die Medizin spricht bei diesen Mini-Schäden von Mikro-Atelektasen. Sie führen dazu, dass die eingeatmete Luft nicht gleichmäßig auf alle Lungenbläschen verteilt werden kann. Dadurch werden die benachbarten Alveolen übermäßig belastet.

Die Cluster wachsen

Ein Forschungsteam um Professor Dr. Lars Knudsen, Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie am Institut für Funktionelle und Angewandte Anatomie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) fand nun heraus, dass sogar bereits klinisch nicht fassbar kleine Ansammlungen aus kollabierten Alveolen ausreichen, um unter künstlicher Beatmung ein ARDS auszulösen. Darüber hinaus zeigten die Forschenden zum ersten Mal, dass der unter der Beatmung auftretende Schaden in unmittelbarer Nachbarschaft der existierenden Cluster aus kollabierten Alveolen auftritt. Die Folge: Die Cluster wachsen und werden so erst klinisch bedeutsam.

Mechanischer Stress wird weiter erhöht

Wenn wir einatmen, strömt Luft in unsere Lunge bis in die Lungenbläschen hinein. Dabei nehmen Alveolen an Größe zu, indem sie ihre Form verändern und sich entfalten. In einem Gasaustausch gelangt der Sauerstoff aus der Atemluft in die Blutbahn und Kohlenstoffdioxid aus dem Blut wird wieder ausgeatmet. Im Idealfall entfalten sich alle Alveolen gleichmäßig und stressfrei. Sind einige Lungenbläschen durch Erkrankung oder eine Verletzung geschädigt, kollabieren sie und fallen aus. Weil die Lungenbläschen wie eine Art schlaffer Luftballon aus vielen Falten bestehen und ähnlich wie ein feines Netz aus Gummibändern miteinander verbunden sind, üben die geschrumpften Alveolen auf ihre Nachbarn Zugkräfte aus und dehnen sie übermäßig. „Dieser mechanische Stress wird offenbar bei künstlicher Beatmung weiter erhöht und schädigt die nur wenige tausendstel Millimeter dünnen Wände der Lungenbläschen nachhaltig“, erklärt Knudsen.

Einsatz des Mausmodells

Das Forschungsteam arbeitete mit dem Mausmodell, um den experimentellen Nachweis erbringen zu können, dass die Cluster aus kollabierten Alveolen eine entscheidende Triebfeder für das Entstehen eines beatmungsinduzierten ARDS sind. „Wir haben im Tiermodell einen leichten Lungenschaden gesetzt“, erläutert Knudsen. Die Tiere seien klinisch unauffällig gewesen, hatten eine normale Sauerstoffsättigung und eine unauffällige Lungenfunktion. „Der einzig auffällige Befund war, dass am Ende der Ausatemphase rund 30 Prozent der Lungenbläschen kollabiert waren“, stellt der Mediziner fest. Diese kollabierten Alveolen bildeten Cluster mit einem Radius von etwa 50 bis 60 Mikrometern, vergleichbar mit der Dicke eines menschlichen Haares.

Lungenfunktion sehr rapide verschlechtert

Um die zusammengefallenen Lungenbläschen wieder zu öffnen, seien sehr hohe Drücke nötig gewesen, die normalerweise beim Beatmen nicht eingesetzt werden. Sei nun in Vollnarkose eine Beatmung dieser Lungen mit einem üblichen Atemzugvolumen erfolgt, hätten die Tiere zunächst eine relativ stabile Lungenfunktion gehabt. Nach vier bis sechs Stunden Langzeitbeatmung habe sich die Lungenfunktion dann aber sehr rapide verschlechtert, und es sei vereinzelt zum Lungenversagen gekommen. „Wir konnten im Mikroskop erkennen, dass die Cluster aus kollabierten Alveolen größer geworden waren und ihren Radius fast verdoppelt hatten“, sagt der Pneumologe. Die Lungen hätten durch den fortschreitenden Alveolarkollaps in der Nähe bestehender Mikro-Atelektasen im Durchschnitt nochmal mehr als ein Viertel an offenen Lungenbläschen eingebüßt.

Gibt es Marker für das ARDS-Risiko?

„Unsere Daten belegen, dass Alveolen in der Nähe von Mikro-Atelektasen instabil werden und kollabierte Lungenbläschen als Keimzentren dafür sorgen, dass sich die Schäden im Alveolarepithel weiter ausbreiten“, sagt Knudsen. Diesen Schaden frühzeitig zu erkennen sei schwierig, da er sich nicht in den üblichen Lungenfunktionsmessungen widerspiegele. Als nächstes wollen die Forschenden daher mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) alle gemessenen Daten nach möglichen Markern durchforsten, die auf ein Risiko für einen fatalen Verlauf unter der Beatmung hinweisen. Da sowohl der Aufbau der Mäuselunge als auch die Mechanismen der Atmung Parallelen mit der menschlichen Lunge aufweisen, sollen sich die Ergebnisse übertragen lassen. Offen bleibe aber noch die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine künstliche Beatmung die Lunge am wenigsten schädige.

Literatur:
Zimmermann R, Roeder F, Ruppert C, Smith BJ, Knudsen L: Low-volume ventilation of preinjured lungs degrades lung function via stress concentration and progressive alveolar collapse. Am J Physiol Lung Cell Mol Physiol. 2024 Jul 1;327(1): L19-L39, DOI: 10.1152/ajplung.00323.2023. Epub 2024 May 7.

Quelle: idw/MHH

Artikel teilen

Online-Angebot der MT im Dialog

Um das Online-Angebot der MT im Dialog uneingeschränkt nutzen zu können, müssen Sie sich einmalig mit Ihrer DVTA-Mitglieds- oder Abonnentennummer registrieren.

Stellen- und Rubrikenmarkt

Möchten Sie eine Anzeige in der MT im Dialog schalten?

Stellenmarkt
Industrieanzeige