Atherosklerose: Kommunikation zwischen Blutgefäß und Gehirn
Weltweit forschen viele Wissenschaftler an der Erkrankung Atherosklerose. Doch ihr Augenmerk liegt hauptsächlich auf atherosklerotischen Plaques. Die Ablagerungen aus Cholesterin, faserigem Gewebe und Immunzellen bilden sich im Inneren von Arterien. Sie engen das Lumen der Blutgefäße immer weiter ein, und weniger Sauerstoff gelangt in Körpergewebe. Bekannte Folgen sind der Herzinfarkt, der Schlaganfall oder das Raucherbein.
Verbindung zwischen Arterie und Gehirn?
„In den letzten Jahrzehnten hat niemand gefragt, ob es eine direkte Verbindung zwischen der Arterie und dem Gehirn gibt. Der Grund dafür ist offenbar, dass atherosklerotische Plaques nicht innerviert sind“, sagt Dr. Sarajo K. Mohanta vom LMU-Institut für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten. Genau diese Verbindung konnte er zusammen mit Professor Dr. Andreas Habenicht vom LMU-Institut für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten, Prof. Dr. Christian Weber, Direktor des Instituts, und einem internationalen Team jetzt nachweisen. Wichtige Ergebnisse wurden auch von Professor Dr. Daniela Carnevale und Professor Dr. Giuseppe Lembo von der Universität La Sapienza in Rom erarbeitet. Zentrale Teile der Studie wurden auch vom LMU Exzellenzcluster SyNergy und vom DFG Sonderforschungsbereich 1123 gefördert.
Kontakt bisher nicht untersucht
Die Forscher berichten über Signale, die vom Blutgefäß mit Plaques über Nerven zum Gehirn geleitet werden. Nach der Verarbeitung gelangen weitere Signale zurück zum Blutgefäß. Zum Hintergrund: Die Wand von Arterien besteht aus drei Komponenten, einer äußeren, mittleren und inneren Schicht. Plaques sind im Inneren zu finden. Sie werden nicht von Nervensträngen durchzogen, was schon lange bekannt ist. „Deshalb ist bisher niemand auf die Idee gekommen, zu untersuchen, ob das periphere Nervensystem bei Atherosklerose mit Blutgefäßen in Kontakt tritt“, sagt Habenicht.
Rezeptoren haben eine zentrale Rolle
Habenichts Arbeitsgruppe erforscht seit 2004, was bei Atherosklerose an der Außenwand von Arterien passiert. „Atherosklerose ist eben mehr als nur ein Plaque; vielmehr geht es um die Entzündung der Arterie selbst, und zwar auch an deren Außenseite“, ergänzt Mohanta, der federführend die Experimente durchgeführt hat. Auf solche Entzündungen reagiert das periphere Nervensystem. Das Habenicht-Team fand heraus, dass molekulare Fühler (Rezeptoren), eine zentrale Rolle haben. Sie befinden sich an der Außenwand der Gefäße. Rezeptoren erkennen, wo sich Plaques befinden und wo Gefäße entzündet sind, indem sie Botenstoffe der Entzündung identifizieren. Anschließend senden sie elektrische Signale über die Nervenbahnen bis in das Gehirn. Das Gehirn verarbeitet die Signale und sendet ein Stresssignal zurück bis in das entzündete Blutgefäß. Dadurch wird die Entzündung negativ beeinflusst, und die Atherosklerose verschlechtert sich.
Kausale Therapie der Atherosklerose?
Dieser bislang unbekannte elektrische Kreislauf zwischen den Arterien und dem Gehirn hat perspektivisch eine immense Bedeutung. Im Tierexperiment durchtrennte Carnevale die elektrische Verbindung zwischen einer erkrankten Arterie und dem Gehirn. Acht Monate später verglich sie behandelte Mäuse mit Tieren ohne diesen Eingriff. Bei Nagern mit der experimentellen Therapie war die Atherosklerose tatsächlich weniger ausgeprägt als bei den Kontrollen. „Langfristig hoffen wir, dass Atherosklerose endlich kausal therapiert werden kann“, sagt Mohanta, „doch das kann noch dauern“.
Weitere Untersuchungen geplant
Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herausfinden, wie das periphere Nervensystem genau organisiert ist – und welche Rolle weitere Rezeptoren spielen. Viel deutet auch darauf hin, dass die Schnittstelle zwischen Gehirn und erkrankten Blutgefäßen durch Stress reguliert wird. Deshalb plant Habenicht, neurobiologische Aspekte zu untersuchen: Welche Zellen im Gehirn reagieren auf Signale aus erkrankten Blutgefäßen? Und mit welchen Regionen im Gehirn stehen diese Zellen wiederum in Verbindung?
Quelle: idw/LMU
Artikel teilen