Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz. In Deutschland sind rund 1,6 Millionen Menschen betroffen. Sie ist eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung, die in der Regel erst nach dem 65. Lebensjahr auftritt und bei der die genetische Komponente eine große Rolle spielt. In den meisten Fällen wird sie auf ein Zusammenwirken verschiedener genetischer Dispositionen mit Umweltfaktoren zurückgeführt. Die nun veröffentlichten Ergebnisse bringen neue Erkenntnisse über die beteiligten biologischen Mechanismen und könnten neue Wege der Behandlung und Diagnose aufzeigen. Die Gruppe um Prof. Dr. Alfredo Ramirez von der Uniklinik Köln und der Medizinischen Fakultät war federführend zuständig für die Etablierung und Testung des Risiko-Scores, der die genetische Belastung für die Alzheimer-Krankheit widerspiegelt.
Zusammenfassung in einem Score
„Der Artikel in Nature Genetics ist das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung des größten europäischen Konsortiums für die Alzheimer-Krankheit, der Europäischen Alzheimer DNA Biobank (EADB). In dieser Studie konnten wir die Anzahl der genetischen Regionen verdoppeln, die das Risiko der Alzheimer-Krankheit modulieren. Damit haben wir nun 75 Regionen, die Varianten tragen, die das Risiko einer Alzheimer-Demenz erhöhen. Wir zeigen in dieser Veröffentlichung, dass, wenn diese 75 genetischen Regionen in einem Score zusammengefasst werden, der die genetische Belastung für die Alzheimer-Krankheit widerspiegelt, Personen mit einem höheren Score eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, in das Endstadium der Alzheimer-Krankheit, das heißt das Demenzstadium, zu gelangen. Schließlich haben wir mehrere molekulare Signalwege identifiziert, die mit dem Alzheimer-Risiko in Verbindung stehen und die ein interessantes Ziel für zukünftige Interventionen darstellen“, erklärt Prof. Ramirez
Neue Therapieziele formulieren
Auch wenn die Krankheit immer besser verstanden wird, gibt es derzeit keine Heilmethode. Die gängigen Medikamente zielen im Wesentlichen darauf ab, den kognitiven Abbau zu verlangsamen und bestimmte Verhaltensstörungen zu reduzieren. Um der Entstehung der Krankheit weiter auf den Grund zu gehen, besteht eine der Hauptaufgaben der Forschung darin, die genetischen Risikofaktoren durch die Identifikation der beteiligten pathophysiologischen Prozesse genauer zu kennzeichnen und in der Folge neue Therapieziele zu formulieren.
Aufzeigen pathologischer Vorgänge
Für die Alzheimer-Demenz sind zwei charakteristische pathologische Vorgänge bereits gut dokumentiert: zum einen die Akkumulation von Beta-Amyloid-Peptiden, zum anderen die Veränderung des Tau-Proteins und dessen Aggregation in den Neuronenzellen. Diesbezüglich bestätigten die Wissenschaftler die Bedeutung dieser pathologischen Prozesse. Ihre Analysen der verschiedenen Genomregionen bestätigen, dass einige davon an der Produktion des Peptids Amyloid und der Funktion des Tau-Proteins beteiligt sind.
Dysfunktion der Immunantwort
Des Weiteren zeigen die Analysen auch, dass bei der Alzheimer-Krankheit eine Dysfunktion der angeborenen Immunantwort und der Mikroglia (Immunzellen im zentralen Nervensystem, die als „Müllabfuhr“ Giftstoffe beseitigen) vorliegt. Schließlich zeigt die Studie erstmals, dass die Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α)-abhängige Signaltransduktion an der Erkrankung beteiligt ist.
Diese Ergebnisse bestätigen und erweitern das Wissen über die an der Krankheit beteiligten pathologischen Prozesse und sollen der Therapieforschung neue Wege öffnen. Beispielsweise bestätigen sie den Nutzen der Durchführung klinischer Studien mit Therapien, die auf das Amyloid-Precursor-Protein abzielen, die Fortsetzung der vor einigen Jahren begonnenen Erforschung der Bedeutung von Mikrogliazellen und die gezielte Beeinflussung der TNF-α-Signaltransduktion.
Genetischer Risiko-Score
Auf der Grundlage seiner Ergebnisse erstellte das Forschungsteam einen genetischen Risiko-Score für eine bessere Einschätzung des Fortschreitens in eine Alzheimerdemenz bei Patienten mit leichten kognitiven Störungen innerhalb von drei Jahren. „Obwohl dieses Instrument noch nicht für den Einsatz in der klinischen Praxis vorgesehen ist, könnte es aber bei der Erstellung von Therapiestudien sehr nützlich sein, um die Teilnehmer nach ihrem Risiko zu kategorisieren und die Bewertung der getesteten Medikamente zu verbessern“, so Prof. Ramirez.
Forschung soll fortgesetzt werden
Um die Ergebnisse zu validieren und auszuweiten, möchte das Team seine Forschung nun mit einer noch breiter angelegten Gruppe fortführen. Über die vollständige Charakterisierung der genetischen Faktoren bei Alzheimer hinaus arbeitet das Team auch an der Entwicklung zahlreicher zell- und molekularbiologischer Ansätze zur Bestimmung ihrer Beteiligung an der Entwicklung der Krankheit.
Da die genetische Forschung bislang primär in Populationen mit europäischer Abstammung durchgeführt wurde, wird für die Zukunft außerdem erwogen, den gleichen Studientyp in anderen Gruppen durchzuführen, um festzustellen, ob die Risikofaktoren von Population zu Population gleich sind, was ihre Bedeutung für den pathophysiologischen Prozess untermauern würde.
Quelle: idw/Uniklinik Köln
Artikel teilen