Alexander Graham Bell – ein Leben für die Gehörlosen
In dieser kleinen Episode zeigte sich der Eigenwille des jungen Aleck schon sehr früh. Seine Kindheit war geprägt von Privatunterricht zusammen mit seinen beiden Brüdern durch seine schwerhörige Mutter, durch die er auch seine Begeisterung für das Klavierspielen entdeckte. Später besuchte er eine Privatschule in seinem Heimatort. In Fächern, die ihn interessierten, überzeugte er durch seine Brillanz und Lernbegierigkeit. Andere Fächer, wie Latein, Griechisch oder Mathematik langweilten ihn grenzenlos, sehr zum Missfallen seines Vaters Alexander Melville. Denn sowohl er, als auch Großvater Bell waren Lehrer für Sprachen und es wurde von Aleck erwartet, dass auch er diesen Weg einschlagen würde. Ihn faszinierten aber nur Pflanzen und Tiere. Seine Neugierde und Expeditionen führten ihn bisweilen in nicht ungefährliche Situationen.
Ab seinem 14. Lebensjahr wohnte er bei seinem Großvater in London, besuchte die dortige Schule und musste sich mit Regeln und gesellschaftlichen Konventionen auseinandersetzen. Neben seinem enormen Pensum an Lernstoff – an sechs Tagen in der Woche – fand Aleck es überaus spannend, an den Sprachlektionen seines Großvaters für Schwerhörige teilzunehmen. In seiner Freizeit durfte er sich alleine durch London bewegen und er fand oft den Weg zur Bibliothek. Die Zeit in London verwandelte Aleck vom neugierigen Kind zu einem zielstrebigen Gentleman. Dort lernte er Sir Charles Wheatstone kennen und seine Erfindung: eine sprechende Box.
Wieder zurück in Edinburgh ermunterte der Vater seine Söhne, sich an einer ähnlichen Erfindung zu versuchen. Von da an keimte in Aleck die Idee einer übertragbaren Sprache. Auch sein Vater, inzwischen Professor für Rede- und Vortragskunst, war nicht untätig und entwickelte eine „visible Speech“: das erste universale phonetische Alphabet.
Aleck unterrichtete nun an der Western House Academy. Während dieser Zeit begann er mit seinen ersten selbstständigen Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Akustik. Er lernte den deutschen Physiker und Physiologen Hermann von Helmholtz kennen, der ihn mit seinem 1863 erschienenen Werk „Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik“ wesentlich beeinflusste.
1867 und 1870 starben seine beiden Brüder an Tuberkulose und auch Alecks Gesundheit litt. Die Eltern beschlossen, nach Kanada auszuwandern. 1871 ging Aleck als Gehörlosenlehrer an die in Northampton eingerichtete spätere „Clarke School“. Er blieb für den Rest seines Lebens Mitglied des Aufsichtsrats der Schule. An dieser Schule lernte er auch Mabel, seine spätere Frau, kennen. Von 1873 bis 1877 war er Professor für Sprechtechnik und Physiologie der Stimme an der Universität Boston. Der prominente Bostoner Rechtsanwalt und gleichzeitige Direktor der „Clarke School for the Deaf“, Gardiner Greene Hubbard, und der wohlhabende Geschäftsmann Thomas Sanders, dessen tauben Sohn George Aleck unterrichtete, erfuhren von Bells Experimenten und bewegten ihn, die Entwicklung am Harmonischen Telegraphen voranzutreiben, an der Aleck seit 1873 arbeitete. Durch die Verwendung von mehreren isolierten musikalischen Tonlagen sollte es möglich sein, Nachrichten zu verschicken. 1874 führte Aleck akustische Experimente zur Aufzeichnung von Schallwellen durch. Er konstruierte damit den „Phonautografen“, ein Gerät, das die Vibrationen des Schalls auf einem berußten Zylinder aufzeichnete.
Die drei unterzeichneten eine Vereinbarung, nach der Aleck finanzielle Unterstützung erhielt, im Gegenzug für spätere Beteiligung von Hubbard und Sanders an den Erträgen. Hubbards gehörlose Tochter Mabel wurde als Druckmittel eingesetzt. Aleck durfte sie erst 1877 heiraten, nachdem er seine Erfindung fertiggestellt hatte. Mabels Hochzeitswunsch war es, dass Aleck auf das K im Namen verzichtete, da sich sein Name so amerikanischer schriebe. Das Paar bekam zwei Töchter, Elsie May und Marian (Daisy) Bell und die Söhne Edward und Robert, die aber beide im Kindesalter verstarben.
Doch auch andere Erfinder widmeten sich der Erforschung der Kommunikation und deren Übermittlung. Am 14. Februar 1876 reichte sein zukünftiger Schwiegervater den Patentantrag ein, nur zwei Stunden bevor ein anderer Amerikaner Gleiches tun konnte. Die Ironie daran war, dass dessen Erfindung funktionierte, die von Bell aber noch nicht. Dieser von Hubbard eingereichte Antrag löste einen langwierigen Rechtsstreit aus, an dessen Ende die Bell Telefone Company, die er mit Sanders und Hubbard unter Einschluss seines Mechanikers Thomas Watson 1877 gründete, zum rechtmäßigen Gewinner erklärt wurde.
Zusammen mit seinem Mechaniker Thomas A. Watson verbesserte Alec seine Erfindung. Am 10. März 1876 soll der erste deutliche Satz übertragen worden sein: „Watson, come here. I need you.“ Bell soll sich aus Versehen Säure über die Kleidung geschüttet und nach Watson gerufen haben. Dieses Telefon war nicht alltagstauglich, aber Alec forschte weiter. 1881 entstand sein erstes gebrauchsfähiges Telefon.
1876 baute Alec für seine schwerhörige Frau ein Hörgerät mit einem Kohlemikrofon und einer Batterie. 1882 erhielt er die Staatsbürgerschaft in den USA. Bis zu seinem Tode 1922 beschäftigte sich Alec vor allem mit weiteren Entwicklungen und Erfindungen auf zahlreichen technischen Gebieten sowie auch mit Untersuchungen zur Eugenik der Taubheit. 1890 half er bei der Gründung der American Association to Promote the Teaching of Speech to the Deaf (AAPTSD), die heutige Alexander Graham Bell Association for the Deaf and Hard of Hearing.
Alec sah sich weniger als Geschäftsmann, sondern in erster Linie als Erfinder mit dem Ziel, ertaubte Menschen zu fördern. In Washington D.C. gründete er sein eigenes Labor und experimentierte mit Lautheit. Im Rahmen seiner Forschungen erfand er das Audiometer und ihm zu Ehren wurde die dimensionslose Maßeinheit für logarithmische Verhältnisse, mit dem auch Schallpegel gemessen werden, mit Bel benannt. Sein Schwiegervater Hubbard gründete 1888 die noch heute anerkannte National Geographic Society, dessen zweiter Präsident Alec wird.
Er starb am 2.8.1922 in Kanada. Ihm zum Gedenken ruhten an diesem Tag für eine Minute alle Kommunikationswege. Eine Ironie der Geschichte ist, dass Bell, dessen Lebensziel es war, taube Menschen zu fördern, mit dem Telefon ein System verbreitete, das zum Standard-Instrument im Beruf und Alltag wurde, aber für Gehörlose fast ein Jahrhundert lang noch nicht benutzbar war. Die jüngsten technischen Entwicklungen wie digitale Hörgeräte oder das CI ermöglichen jedoch auch heute gehörlosen Menschen die Benutzung des Telefons.
Literatur
1. Who was Alexander Graham Bell?, Bonnie Bader
2. Alexander Graham Bell und die Erfindung des Telefons, Brockhaus
3. Alexander Graham Bell Laborarory Notebook 1875-1876
Entnommen aus MTA Dialog 07/2015
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