3-D-Modelle menschlicher Synapsen

Forschungszentrum Jülich
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3-D-Modelle menschlicher Synapsen
Prof. Dr. Joachim Lübke Forschungszentrum Jülich/Ralf-Uwe Limbach
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Jülicher Forscher haben erstmals quantifizierbare Modelle von Synapsen in der menschlichen Großhirnrinde veröffentlicht. Es zeigte sich: Zwischen Mensch und Tier, aber auch zwischen Mann und Frau gibt es deutliche Unterschiede.

Seit vielen Jahren verfolgt Prof. Joachim Lübke vom Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-10), das Ziel, hochaufgelöste 3-D-Modelle der Synapsen im menschlichen Gehirn zu erstellen. Die winzigen Kontaktstellen zwischen Nervenzellen ließen sich lange Zeit nur im Tiermodell untersuchen. Nun hat der Hirnforscher gemeinsam mit seinem Team und Kooperationspartnern erstmals quantifizierbare Modelle von Synapsen in der menschlichen Großhirnrinde veröffentlicht. Es zeigte sich: Zwischen Mensch und Tier, aber auch zwischen Mann und Frau gibt es deutliche Unterschiede.

 

„Eine der großen Fragen der heutigen Forschung an Synapsen ist, ob sich die Ergebnisse, die tierexperimentell gewonnen wurden und werden, eins zu eins auf den Menschen übertragen lassen. Denn das meiste, was wir über Synapsen wissen, stammt aus Studien an verschiedenen Tiermodellen und Tierspezies“, erklärt Lübke. Die Forscher in Joachim Lübkes Arbeitsgruppe haben es sich zum Ziel gesetzt, den Aufbau dieser Kontaktstellen bis ins kleinste Detail zu erfassen. Die Strukturen sind so winzig, dass sie sich nicht mehr mit dem Licht-, sondern nur noch mit dem Elektronenmikroskop abbilden lassen.

Vom Tiermodell hin zur Erforschung menschlicher Synapsen

„Wenn man Synapsen aus verschiedenen Gehirnregionen und Schichten oder sogar von verschiedenen Spezies vergleicht, stößt man auf frappierende Unterschiede. Synapsen bilden sich nicht einfach irgendwie aus, sondern sind in ihrem Aufbau perfekt an ihre jeweilige Aufgabe in einem gegebenen Netzwerk im Gehirn angepasst“, konstatiert der Jülicher Hirnforscher.

Ein wichtiger Schritt vom Tiermodell hin zur Erforschung menschlicher Synapsen gelang ihm vor acht Jahren. Damals konnten sie das Universitätskrankenhaus in Bonn und später in Bochum als Kooperationspartner gewinnen. Die dortigen Neurochirurgen halfen ihnen, an frische Gewebeproben für ihre Forschung zu gelangen. Die Proben stammen entweder von Tumorpatienten, die operiert werden, oder Menschen, die unter Epilepsie leiden. Wenn keine Chemotherapie oder Medikamente mehr helfen, ist der chirurgische Eingriff die einzige Möglichkeit, die erkrankten Teile des Gehirns zu entfernen. Bei der Epilepsiechirurgie wird zunächst der epileptische Fokus bestimmt. Sind tieferliegende Gehirnstrukturen wie der Hippocampus betroffen, wird zuerst das darüberliegende Gehirngewebe der Großhirnrinde gezielt entfernt, um einen Zugang zu schaffen. Dieses entnommene Gewebe ist es, das Joachim Lübke – bei Einwilligung des Patienten – für seine Forschung nutzen kann.

Nachbildung einer kortikalen Kolumne

Für die nächsten Jahre steht nun eine detaillierte Nachbildung einer kortikalen Kolumne im menschlichen Temporallappen auf dem Plan. Die Hirnregion spielt eine wichtige Rolle für die unterschiedlichen Prozesse der Sinneswahrnehmung. Sie wird unter anderem mit dem Hören und Sehen, aber auch mit dem Gedächtnis in Verbindung gebracht. Eine kortikale Kolumne ist das kleinste funktionelle Modul in diesem sensorischen Areal, das sich typischerweise über alle sechs Schichten der Großhirnrinde erstreckt.

Zwei dieser Schichten – die Schichten 4 und 5 – haben die Jülicher Hirnforscher nun analysiert und aus Hunderten rekonstruierten Synapsen repräsentative 3-D-Modelle erstellt. Die Ergebnisse wurden in den renommierten Fachzeitschriften Cerebral Cortex und eLife sowie in einem Übersichtsartikel in Neuroforum Ende letzten Jahres veröffentlicht.

Unterschiedliche Struktur der Synapsen

„Ein überraschendes Ergebnis war, dass sich Synapsen in der Großhirnrinde des Menschen neben einigen Gemeinsamkeiten in einigen strukturellen Parametern wesentlich von ihren ‚Verwandten‘ im Tiermodell unterscheiden. In den Hirnbereichen, die wir bisher untersucht haben, sind die aktiven Zonen und die Organisation der Pools synaptischer Vesikel, die für die Signalübertragung entscheidend sind, beim Menschen ungefähr doppelt so groß wie zum Beispiel bei einer Ratte oder Maus“, erklärt Joachim Lübke.

Dazu kommt: Auch die Synapsen des Menschen in verschiedenen Schichten des Neocortex unterscheiden sich elementar. Die vierte Schicht wird gemeinhin als Eingangsschicht angesehen, die Signale aus der sensorischen Peripherie empfängt und in andere Schichten der kortikalen Kolumne weiterleitet. Die fünfte Schicht gilt dagegen als wichtigste Ausgangsschicht, von der aus Signale in die sensorische Peripherie weitergeleitet werden. Entsprechend unterschiedlich fällt auch die Struktur der Synapsen aus, wie die Forscher nun zeigen konnten.

„Krankhafte“ Veränderungen von Synapsen

Auch zwischen den Geschlechtern scheint es Unterschiede zu geben. Schon seit längerem gibt es Anzeichen dafür, dass die Gehirne von Frauen im Schnitt nicht so voluminös, dafür aber dichter vernetzt sind als die von Männern. Beobachtungen von Joachim Lübke und seinem Team zur Synapsendichte liefern nun einen weiteren Beleg für diese These. Sie fanden heraus, dass die Synapsen in der Großhirnrinde von Frauen zweieinhalbmal dichter gepackt sind als in der von Männern.

Im Fokus der Forschung stehen aber eigentlich ganz andere Fragen. Denn wenn Signale im Gehirn fehlerhaft übertragen werden, können die Folgen gravierend sein. Alle neurologischen und neurodegenerativen Erkrankungen wie zum Beispiel Schizophrenie, Autismus, Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson lassen sich letztlich auf massive „krankhafte“ Veränderungen von Synapsen zurückführen. Und aufgrund der Alterung der Bevölkerung nimmt die Verbreitung dieser Krankheiten beständig zu.

Neue, grundlegende Erkenntnisse zur Struktur der Synapsen könnten einen Ansatz für künftige Therapien liefern. Doch noch ist einige Vorarbeit nötig. „Um krankhafte Veränderungen von Synapsen zu verstehen, ist es zwingend notwendig, erst einmal deren „Normalzustand“ zu verstehen. Momentan sind wir immer noch weit davon entfernt, wirklich zu begreifen, wie Struktur und Funktion von Synapsen zusammenhängen. Wir sind gespannt, welche Überraschungen wir noch erleben werden“, erklärt Joachim Lübke.

Literatur:

Joachim H. R. Lübke, Astrid Rollenhagen: Synapses: Multitasking Global Players in the Brain. Neuroforum (5 December 2019), doi: 10.1515/nf-2019-0015

Rachida Yakoubi, Astrid Rollenhagen, Marec von Lehe, Dorothea Miller, Bernd Walkenfort, Mike Hasenberg, Kurt Sätzler, Joachim HR Lübke: Ultrastructural heterogeneity of layer 4 excitatory synaptic boutons in the adult human temporal lobe neocortex. eLIFE (20 November 2019), doi: 10.7554/eLife.48373

Quelle: Forschungszentrum Jülich, 16.01.2020

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