Unter dem Begriff Eierstockkrebs oder auch Ovarialkarzinom werden bösartige Tumoren der Eierstöcke zusammengefasst, die von verschiedenen Geweben ausgehen können. Diese Krebsart gehört zu den häufigsten gynäkologischen Tumoren und verursacht pro Jahr weltweit rund 200.000 Todesfälle. Hierzulande erkrankt laut Krebsregister etwa eine von 76 Frauen im Laufe ihres Lebens an Eierstockkrebs. Symptome treten häufig erst spät im Krankheitsverlauf auf, sodass das Ovarialkarzinom in vielen Fällen erst in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert werden kann. Auch bedingt durch die häufig erst späte Diagnose (76 Prozent im Stadium III/IV) sind die Überlebensaussichten von Patientinnen mit Eierstockkrebs relativ schlecht. Das relative 5-Jahres-Überleben liegt laut Krebsregister derzeit bei 42 Prozent. Wird die Erkrankung dagegen früh erkannt, liegen die relativen Überlebensraten bei 88 Prozent im Stadium I bzw. bei 79 Prozent im Stadium II.
Oft Rezidive zu beobachten
Im Normalfall umfasst die Behandlung des Ovarialkarzinoms eine chirurgische Entfernung des Tumors, auf die eine platinbasierte Chemotherapie folgt. Trotz eines üblicherweise guten anfänglichen Ansprechens auf die Behandlung kommt es bei etwa zwei Dritteln der Patientinnen zu Rezidiven, also dem Wiederauftreten des Tumors, und zur Entwicklung erworbener Chemoresistenzen. Forscherinnen und Forscher der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, und weiterer Institute der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) untersuchen daher intensiv die Ursachen der Resistenzbildungsmechanismen gegen Chemotherapeutika beim Ovarialkarzinom.
Leichtere Metastasenbildung durch Aszites
Späte Krankheitsstadien und insbesondere Rezidive nach zunächst erfolgreicher Behandlung sind häufig durch das Auftreten eines sogenannten Aszites gekennzeichnet. Dies sind Flüssigkeitsansammlungen in der Bauchhöhle, die unter anderem lebensfähige Krebszellen enthalten. Die Flüssigkeit erleichtert deren Transport innerhalb des Körpers und kann so zur Metastasenbildung beitragen. Obwohl es in der Behandlung des Ovarialkarzinoms in den vergangenen Jahren einige therapeutische Fortschritte gegeben hat, stellen Rezidive und Resistenzen nach wie vor massive Probleme für die Therapie dar.
Freisetzung extrazellulärer Vesikel aus Krebszellen
In einer neuen Studie haben die Forscherinnen und Forscher im Rahmen des Kiel Oncology Networks (KON) an der CAU nun eine bestimmte Ursache der Resistenzbildung gegen Chemotherapeutika beim Ovarialkarzinom identifiziert. Dabei entdeckten sie einen bislang unbekannten Mechanismus, der auf der Freisetzung sogenannter extrazellulärer Vesikel (EV) aus Krebszellen beruht. EV sind eine heterogene Gruppe von Zellbestandteilen ohne Replikationsfähigkeit, die im gesunden und kranken Zustand an zellulären Transportmechanismen beteiligt sind. Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die auch im Universitären Cancer Center Schleswig-Holstein (UCCSH) aktiv sind, gelang es, als Reaktion auf die Gabe von Chemotherapeutika die Freisetzung der sogenannten Metalloprotease ADAM17 auf den EV von Ovarialkarzinomzellen und deren Beteiligung an der Resistenzbildung nachzuweisen. Diese Ergebnisse veröffentlichte das Forschungsteam unter anderem gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Immunologie am UKSH, Campus Kiel, und dem Anatomischen Institut der CAU.
Chemotherapeutikabehandlung aktiviert Metalloprotease ADAM17
Aus früheren Forschungsarbeiten war bereits bekannt, dass die Zellkommunikation mittels EV von Krebszellen gewissermaßen gekapert werden kann und es dabei zu einer im Vergleich mit gesunden Zellen erhöhten EV-Freisetzung kommt. Beim Ovarialkarzinom sind EV in der Aszites-Flüssigkeit reichlich vorhanden, insbesondere im Falle von Rezidiven. Bereits 2018 konnte die Forschungsgruppe zeigen, dass die Chemotherapeutikabehandlung von Krebszellen die Metalloprotease ADAM17 aktiviert. Dabei handelt es sich um ein Enzym, das an der Zelloberfläche eine Vielzahl von Proteinen abspalten und in eine lösliche Form überführen kann. Dieser Mechanismus ist an einer Vielzahl von gesunden und pathologischen Prozessen beteiligt, zum Beispiel dem Wachstum von Geweben oder der Immunreaktion aber auch der Tumor- und Metastasenbildung.
Welche Rolle spielt ADAM17?
Um einen Zusammenhang zwischen der Aktivität von ADAM17 und der Resistenzbildung nachzuweisen, haben die Forscherinnen und Forscher mithilfe der CRISPR/Cas9-Technologie Zellen erzeugt, die kein ADAM17 aufwiesen und sehr empfindlich auf platinbasierte Chemotherapeutika reagierten. In einer Reihe von innovativen Experimenten untersuchte das Forschungsteam anschließend, ob sich bei diesen Zellen die Resistenz wiederherstellen ließ. Dazu übertrugen sie EV aus der Aszites-Flüssigkeit von Ovarialkarzinom-Patientinnen auf diese ADAM17-defiziente Zelllinie. „In der Folge stieg in diesen Zellen auch die durch ADAM17 vermittelte Freisetzung von Wachstumsfaktoren wie Amphiregulin (AREG) an, die nachgeschaltete Signalwege aktivieren und somit Resistenzeigenschaften übertragen können“, betont Dr. Nina Hedemann, Letztautorin der Studie und Gruppenleiterin innerhalb der Arbeitsgruppe Translationale Gynäkologische Onkologie von Professor Dirk Bauerschlag. „Anschließend zeigten sich durch die Übertragung der aus dem Aszites stammenden EV auch in dieser Zelllinie Resistenzen. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass ADAM17 auf den EV von Ovarialkarzinomzellen tatsächlich bei der Übertragung von Chemoresistenzen eine wichtige Rolle spielt“, so Hedemann weiter.
Validierung mit „NORD-Patient Avatar-3D“-Netzwerk
Insgesamt konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler damit wertvolle neue Erkenntnisse über die Zusammenhänge von Extrazellulären Vesikeln, der ADAM17-Aktivierung und ihrem Zusammenwirken bei der Resistenzbildung im Ovarialkarzinom sammeln. Künftig wollen die Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiter erforschen, wie sich aus diesen Ergebnissen perspektivisch neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten entwickeln lassen. Dabei spielt zunächst die Übertragung in eine patientennahe Situation eine wichtige Rolle, um zum Beispiel in 3D-Modellen die beobachteten Effekte bestätigen zu können. Dazu kommen beispielsweise dreidimensionale Zellmodelle zum Einsatz, um eine realistischere Nachbildung bestimmter Strukturen im Körper zu erreichen, etwa die Komplexität von Tumorgeweben. Daran arbeitet an CAU und UKSH das „NORD-Patient Avatar-3D“-Netzwerk, in dessen Rahmen unter anderem die Validierung dieser neuen Forschungsergebnisse angestrebt wird.
Lassen sich die Prognosen beim Eierstockkrebs verbessern?
Weiterhin ergeben sich möglicherweise neue diagnostische Ansätze, die es künftig erlauben könnten, das Wiederauftreten der Krankheit früher als bisher feststellen zu können. „Beim ersten Auftreten von Ovarialkarzinomen sind zunächst meist geringere Mengen an EV nachweisbar. Wenn es zu einem Rezidiv kommt, kann die Ausschüttung von EV in einigen Fällen stark ansteigen. Tritt ein solcher Anstieg der Vesikel bei Patientinnen auf, könnte man ihn künftig frühzeitig messen und damit möglicherweise effizienter als bisher auf das Wiederauftreten des Tumors reagieren“, blickt Hedemann voraus. In weiterführenden Studien wollen die Kieler Krebsforschenden diese Zusammenhänge noch detaillierter untersuchen, um in Zukunft die Versorgung von Eierstockkrebs-Patientinnen Stück für Stück zu optimieren und damit die Prognosen bei dieser gravierenden Krankheit deutlich zu verbessern.
Quelle: idw/CAU
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