„Weltwärts“ in Togo

Als MTA in einem kleinen Tropenkrankenhaus
Carolin Specht
Tropenkrankenhaus in Togo
MTLA Carolin Specht in Togo © Carolin Specht
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MTLA Carolin Specht verbrachte neun Monate im Rahmen eines Freiwilligendienstes in einem kleinen Tropenkrankenhaus am Fuße der Agou-Berge in Togo. Eindrucksvoll beschreibt sie, wie bereichernd der unentgeltliche Einsatz im Ausland sein kann.

Es ist heiß. Der Schweiß läuft in Strömen, der Ventilator steht wie so oft wieder einmal still. Wir haben Stromausfall, wie fast jeden Tag in Kpalimé. Eine junge Mutter kommt mit ihrer zweijährigen Tochter zu uns ins Centre Médico Social (CMS) Solidarité. Das kleine Mädchen, das in einem bunten Stofftuch am Rücken seiner Mutter hängt, hat 39,8 °C Fieber und ist lethargisch.

Die Mutter kramt ihre letzten Münzen zusammen, um die „Consultation“, die ärztliche Untersuchung, von 500 CFA-Franc (circa 75 Cent) an der Kasse zu bezahlen. Der Arzt untersucht das Kind und verordnet drei Laboranalysen: Hämoglobinwert, Leukozytenzahl und einen Dicken Tropfen. Gleichzeitig verschreibt er Infusionen. Die Frau muss noch einmal zur Kasse, um die Laboruntersuchungen und Medikamente zu bezahlen, bevor sie sich in der Schlange vor dem Labor einreiht. Nach etwa eineinhalb Stunden ist das Laborresultat erstellt. Der Dicke Tropfen zeigt eine Plasmodiendichte von 150.000 Plasmodium falciparium/μl, das Hämoglobin liegt bei 8,9 g/dl, die Leukozytenzahl bei 6.700/μl. Das kleine Mädchen liegt mittlerweile im Kinderzimmer am Tropf; die Mutter beruhigt ihre Tochter. Ein typischer Fall einer fortgeschrittenen Malaria tropica.

Das ist eine Geschichte von vielen, die ich fast täglich während meines „weltwärts“-Freiwilligendienstes in Togo erlebt habe. Neun Monate lang war ich in der kleinen Tropenklinik Centre Médico Social Solidarité in Kpalimé, circa 120 km von der Hauptstadt Lomé, am Golf von Guinea, Teil des medizinischen Fachpersonals.

Raus aus dem Alltag, rein in die Welt

Schon lange stand für mich fest, dass ich mich eines Tages in einem Entwicklungsland im medizinischen Bereich engagieren wollte. Eine große, professionell arbeitende Hilfsorganisation, wie zum Beispiel „Ärzte ohne Grenzen“, kam für mich jedoch zu diesem Zeitpunkt aufgrund meiner mangelnden Berufserfahrung noch nicht infrage, so dass ich mich für einen „weltwärts“-Freiwilligendienst entschied, bei dem berufliche Erfahrungen zwar von großem Vorteil sind, aber nicht ausdrücklich verlangt werden. Dass ich meinen Freiwilligendienst letztendlich im westafrikanischen Togo absolviert habe, war eher ein Zufall und hauptsächlich meinen guten Französischkenntnissen geschuldet. Beworben hatte ich mich für ein Klinikprojekt im Süden von Ghana.

Togo ist eines der ärmsten Länder der Welt und belegt beim Weltentwicklungsindex Platz 166 von 187 gelisteten Staaten. Die Armut insbesondere der Landbevölkerung ist groß. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung Togos verfügen über weniger als 1,25 US-Dollar und ungefähr 70 Prozent über weniger als zwei US-Dollar am Tag.

Im September 2015 ging es dann nach einem Einführungsseminar in Lomé und Kpalimé endlich los mit meiner Arbeit als Medizinische Assistentin in der Klinik. Mein Dienstplan sah vor, dass ich alle Abteilungen der kleinen Klinik für ein bis zwei Monate durchlaufen sollte, um dann am Ende meines Aufenthalts im Labor mitzuhelfen. So verbrachte ich die erste Woche am Empfang in der Patientenaufnahme, wo jeder Patient gewogen und der Blutdruck sowie die Körpertemperatur gemessen wird, was wir dann in einem kleinen blauen „Carnet de Santé“ (Gesundheitsheft) dokumentiert haben. Laborresultate, Diagnosen und Therapien werden immer in diesem Carnet dokumentiert, so dass der Arzt auch Behandlungsverläufe, die in anderen Kliniken durchgeführt wurden, nachvollziehen kann. Während der „Consultation“ entscheidet der Arzt dann über die Laboruntersuchungen und medikamentöse Behandlung.

Das gesamte Gesundheitssystem funktioniert in Togo nur über Vorkasse, lediglich ein geringer Anteil der Bevölkerung ist krankenversichert, hauptsächlich Beamte. Das bedeutet, dass ein Patient nur die Leistung erhält, die er auch bezahlen kann. Der notorisch leere Geldbeutel der Patienten zwingt die Ärzte oftmals, mit minimalsten Mitteln eine Diagnose zu stellen und eine Behandlungsempfehlung zu geben. Die gängigsten Laboruntersuchungen sind aus diesem Grund lediglich die Bestimmung des Hämoglobinwerts und der Leukozytenzahl sowie der Dicke Tropfen zur Malariadiagnostik, auch wenn weitere Untersuchungen im Labor technisch möglich wären.

Das CMS Solidarité besteht aus einer Allgemeinmedizin, der Geburtshilfe, einer Krankenhausapotheke und dem Labor. Nach einer Woche Patientenaufnahme war ich zwei Monate in der Allgemeinmedizin und Krankenpflege tätig und anschließend zwei Monate in der Geburtshilfe, bevor ich im Labor mithalf. Alle Bereiche sind 24 Stunden besetzt, und die Klinik mit ihren 20 Betten ist stets gut besucht. Die Klinik liegt in einem der ärmsten Viertel der Stadt, einem muslimischen Viertel, ohne funktionierendes Wasser- und Abwassersystem und oftmals ohne Strom.

Wenn ein Patient in die Klinik kommt, wird er stets von mindestens einem Familienangehörigen begleitet, der sich um sein Wohlergehen kümmert. So ist zum Beispiel die Versorgung mit Essen und Trinken sowie die eigentliche Pflege Aufgabe der Familie. Die Krankenschwestern und -pfleger kümmern sich ausschließlich um die medizinische Versorgung.

Große Blutbilder und diverse klinisch-chemische Parameter

Vier Kollegen teilen sich die Dienste im Labor und sind sowohl für die Präanalytik als auch die Analytik in zwei getrennten Räumen zuständig. Im Entnahmeraum führen sie die venösen und kapillaren Blutentnahmen durch, entnehmen die Vaginalabstriche und bereiten die Stuhl- und Urinproben zur Nativmikroskopie vor. Im Analysenzimmer werden dann die Blutausstriche und Dicke Tropfen nach der Pappenheim-Färbung mit den Farbstoffen May-Grünwald und Giemsa entsprechend gefärbt und beurteilt sowie alle anderen Proben so schnell wie möglich bearbeitet. Laut Aussage meiner vier Kollegen sind in Togo fast nur Männer im Labor tätig, die Frauen würden sich zu sehr vor dem ganzen Kram ekeln, so die gängige Meinung.

Die Hämoglobinkonzentration wird photometrisch bestimmt und die Leukozytenzahl in der Malassez-Zählkammer gezählt. Das Blut für diese drei Parameter wird kapillar entnommen. Für die Bestimmung der Hämoglobinkonzentration, der Leukozytenzahl und die Malariadiagnostik mittels Dicken Tropfen müssen die Patienten umgerechnet 2,70 Euro zahlen. Bei Patienten, die sich eine aufwendigere Diagnostik leisten können, wird meistens ein großes Blutbild am Automaten erstellt.

Neben großen Blutbildern, die an einem Blood Cell Counter ausdifferenziert werden, können an einem Photometer auch diverse klinisch-chemische Parameter gemessen werden, wie Glukose, Kreatinin, Bilirubin, Calcium und Magnesium, oder ein Leberstatus und Lipidstatus angefertigt werden. Im Bereich Serologie stehen HIV- und Hepatitis-B-Tests im Vordergrund. Sie werden anhand von Teststreifenmethoden durchgeführt. Eine differenziertere Diagnostik wäre technisch und auch finanziell nicht möglich.

Im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen in der Geburtshilfe der Klinik bespricht die Hebamme bei jedem Vorsorgetermin mit der Schwangeren, wie sie es finanzieren kann, um nach und nach alle empfohlenen Laboruntersuchungen bis zur Geburt durchführen zu lassen. Dazu zählen ein HIV-Test, ein Hepatitis-B-Test, ein großes Blutbild, ein Dicker Tropfen, parasitologische Stuhluntersuchung, ein TPHA-Test und eine Blutgruppenbestimmung.

Die Blutgruppenbestimmung wird meistens zuerst durchgeführt, um Rhesus-negative Mütter im Vorfeld schon über eine eventuell nötige Anti-D-Prophylaxe zu informieren. Diese ist nämlich so teuer, dass die werdenden Eltern während der gesamten Schwangerschaft schon für die Prophylaxe, die hier nur mit einer einmaligen Injektion nach der Entbindung verabreicht wird, sparen müssen. Im Labor werden das AB0-Merkmal und der Rhesusfaktor dann auf einer Tüpfelplatte in einer Einfachbestimmung bestimmt.

Meine persönliche Vorliebe galt der Parasitologie, in der ich täglich mikroskopiert habe. Da wir von fast jedem Patienten einen Dicken Tropfen angefertigt haben, konnte ich viel über die Malariadiagnostik lernen, ein Fachbereich, der mich schon während meiner Ausbildung sehr fasziniert hat.

Leider mangelte es aber in meiner Schule oder während meiner Praxisanleitung im Labor immer an guten Präparaten. Schnell habe ich begriffen, dass das Augenmerk nicht in der Bestimmung der Plasmodienspezies, sondern in der Bestimmung der Parasitendichte lag. Da in Togo fast ausschließlich Plasmodium falciparum, der Erreger der klassischen Malaria tropica, endemisch auftritt, wurde meist gar kein Blutausstrich angefertigt, um die genauen Formen zu untersuchen, sondern so schnell wie möglich die Parasitendichte im Dicken Tropfen bestimmt. Die gezählten Trophozoiten werden dann in Relation zu den weißen Blutzellen gesetzt und so die Parasitendichte errechnet. Die Parasitendichte gibt dem Arzt dann Auskunft über die Schwere der Malaria sowie die benötigte Medikamentendosis und Behandlungsdauer.

In Deutschland gilt als Goldstandard in der Malariadiagnostik der Antigen-Schnelltest, der Blutausstrich und der Dicke Tropfen, alle drei Tests in Kombination. Der Antigenschnelltest, der in Togo nur für die Spezies Plasmodium falciparum spezifisch ist, wird vom togoischen Gesundheitsministerium und der Weltgesundheitsorganisation unentgeltlich in jeder Krankenstation im ganzen Land angeboten und richtet sich an die ärmsten Patienten. Modernste Malariadiagnostik zum Beispiel mittels PCR, wie sie in Deutschland mittlerweile bei Reiserückkehrern üblich ist, könnte sich fast niemand leisten.

Stromausfälle machen das Leben schwer

Stromausfälle sind in Kpalimé an der Tagesordnung und machen den Menschen das Leben schwer. Dass wir im Krankenhaus auf Elektrizität für die Beleuchtung, die Laborgeräte und die Ventilatoren angewiesen waren, liegt auf der Hand. Dank einer Solaranlage auf dem Klinikdach gibt es in der gesamten Klinik eine Notbeleuchtung in den wichtigsten Zimmern und eine Notfallstromversorgung für die Mikroskope und Geräte im Labor. Fließendes Wasser steht in einem der Laborräume, im Krankenpflegezimmer und im Kreißsaal zur Verfügung. Der Rest des Krankenhauses wird mit Brunnenwasser versorgt. Unser tägliches Arbeiten war stets auf absolute Sparsamkeit und einen verantwortungsbewussten Umgang mit allen technischen Geräten ausgerichtet.

Neben der Malariadiagnostik wurde in der Klinik viel Stuhldiagnostik betrieben. Zahlreiche Patienten erreichen das Solidarité mit schweren Magen-Darm-Infektionen, aufgrund der schlechten hygienischen Verhältnisse. Gemeinsam mit meinen erfahrenen Kollegen habe ich viele Erreger im nativen Stuhl, die ich bis dato nur aus dem Lehrbuch kannte, live vor das Objektiv bekommen. Die häufigsten Parasiten waren dabei Entamoeba histolytica, Entamoeba coli, Trichomonas intestinalis, Giardia lamblia, Schistosoma mansoni im Stuhl, Schistosoma haematobium im Urin und andere Hinweise auf schwere gastro-intestinale Infektionen wie Erythrozyten, Leukozyten und abgeschilferte Darmepithelien. Charcot-Leyden-Kristalle, als Indiz für Fadenwürmer, waren ebenfalls weit verbreitet, was den Betroffenen oftmals schwere Bauchkrämpfe verursacht hat.

„Des einen Freud ist des anderen Leid“

Während wir Labormitarbeiter uns über außergewöhnliche Parasitenfunde immer gefreut haben und uns ausgiebig beratschlagen konnten, wartete der leidende Patient oft ungeduldig vor dem Labor auf seinen Befund. Der enge Patientenkontakt hat in diesem Fall den Vorteil, dass man sich mit dem Patienten über seine Krankheitsgeschichte auch als nicht-ärztliches Personal austauschen kann und so interessante Geschichten zum Beispiel über die Krankheitsentstehung erfährt.

Spermiozytogramme wurden mehrmals pro Woche von Labormitarbeitern angefertigt, da die Fruchtbarkeit eines Mannes an oberster Stelle steht und Kinder in Togo eine Art Altersvorsorge darstellen. 60 Prozent der Bevölkerung sind unter 25 Jahre, 42 Prozent davon unter 15 Jahre jung. Die ältere Generation setzt ihre ganze Hoffnung in die junge Generation, auf dass es endlich zu einem sozialen Aufstieg und positiven Wandel in allen Lebensbereichen kommt. Reich ist, wer viele Kinder hat. Ob ein Familienvater aber auch die Lebenshaltungskosten und Krankenhausrechnungen seiner ganzen Kinder zahlen kann, ist eine andere Frage.

Im Großen und Ganzen war ich sehr froh, dass ich mich mit dem Klinikpersonal und dem Großteil der Patienten auf Französisch, der offiziellen Amtssprache Togos, unterhalten konnte. Ältere Menschen oder Erwachsene, die nicht zur Schule gegangen sind, haben oftmals nur Stammessprachen wie Ewe oder Kotokoli gesprochen. Aber auch das war kein Problem, da ich einige Redewendungen auf Ewe schnell gelernt hatte und meine netten und überaus hilfsbereiten Kolleginnen und Kollegen jederzeit um Hilfe bitten konnte.

Auch das mangelnde medizinische Fachvokabular auf Französisch habe ich in der Praxis letztlich schnell gelernt. Das weitaus größere Dilemma war für mich, immer wieder mit Patienten konfrontiert zu werden, die kein Geld für die Behandlung hatten. Die meisten von diesen Sozialfällen, wie sie bei uns genannt wurden, bleiben zu Hause und sterben. Diejenigen, die trotz ihres leeren Geldbeutels zu uns kommen, werden dank der Gelder eines Sozialfonds des Vereins „Hilfe für Togo e.V.“, von der schwäbischen Alb, grundlegend medizinisch versorgt.

Eine große Bereicherung und Herausforderung

Das Arbeiten in einem der ärmsten Länder der Welt sowie das Leben in einer togoischen Gastfamilie waren eine große Bereicherung, die mich jedoch auch vor Herausforderungen gestellt hat. Es war mein erster Berührungspunkt mit dem afrikanischen Kontinent und anfangs ganz schön schwierig, mich an die einfache Lebensweise, ohne Zugang zu fließendem Wasser oder einer richtigen Toilette, zu gewöhnen. Auch mein Magen-Darm-Trakt wurde durch die komplett ungewohnte Ernährung und das Wasser zunächst auf eine große Belastungsprobe gestellt. So kam es, dass ich mich das ein oder andere Mal in die Obhut meiner Kollegen im Solidarité begeben musste, die sich stets sehr liebevoll um mich gekümmert und mich wieder aufgepäppelt haben.

Man wächst mit seinen Aufgaben und Herausforderungen ein Stück über sich hinaus und man wird zufriedener. Zufriedener und dankbarer für die kleinen Freuden des Lebens, für den Wohlstand, den wir in Deutschland haben, die Arbeits- und alltäglichen Lebensbedingungen. Einen gefüllten Kühlschrank oder ein Wasserhahn, aus dem sauberes kaltes oder warmes Wasser kommt, weiß ich inzwischen viel mehr zu schätzen als vorher. Ich sehe mittlerweile vieles mit anderen Augen, worüber ich unheimlich dankbar bin. Und eines ist sicher: Es wird nicht mein letzter Arbeitseinsatz in Afrika gewesen sein.

Carolin Specht hat nach ihrer MTA-Ausbildung in Frankfurt am Main im Bereich Transfusionsmedizin gearbeitet und sich dann für einen Freiwilligendienst im westafrikanischen Togo entschieden. Mittlerweile ist die 24-jährige Hessin zurück in ihrer Heimat und bereitet sich auf ihr bevorstehendes Medizinstudium an der TU Dresden vor.

Weitere Informationen zum entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts“ unter www.weltwärts.de

Entnommen aus MTA Dialog 10/2016

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