Das Immunsystem kann Eiweißbruchstücke, die aus dem Zellinneren entstammen, auf der Zelloberfläche spezifisch erkennen. Auf diese Weise werden durch T Zellen Bruchstücke von zellulären Baueiweißen (Peptide), die auf der Zelloberfläche in einer Tasche der sogenannten „HLA Klasse I Moleküle“ gebunden sind, durchgemustert und gegebenenfalls als fremd erkannt. Die HLA Moleküle stellen in diesem Zusammenhang eine Art Schauglas ins Zellinnere dar, das es dem Immunsystem erlaubt, nicht nur Prozesse direkt auf der Zelloberfläche, sondern auch innerhalb der Zelle zu erkennen.
Menschliche HLA Merkmale höchst individuell
Auf diese Art kann das Immunsystem beispielsweise Zellen, die mit einem Virus infiziert sind, von gesunden Zellen unterschieden, etwa wenn an HLA Moleküle gebundene virale Peptide auf der Zelloberfläche auftauchen. Dabei sind die HLA Klasse I Moleküle bezüglich ihrer Eigenschaft, welche Eiweiße in diese Bindungstasche passen, sehr unterschiedlich. Jeder Mensch hat zusätzlich verschiedene Arten dieser Moleküle, so dass die menschlichen HLA Merkmale höchst individuell sind.
Im Rahmen von Krebserkrankungen verändern sich menschliche Zellen, und es kommt nicht nur zu genetischen Veränderungen, die als Ursache für das bösartige Verhalten, wie etwa das Einwachsen in gesundes Gewebe, Metastasierung und ungeregelte Wachstumsneigung gefunden wurden, sondern auch der Stoffwechsel und viele andere Vorgänge die in einer Krebszelle ablaufen, unterscheiden sich wesentlich vom ursprünglichen Gewebe.
Möglicher Zusammenhang mit Epstein-Barr-Virus?
Um zu verstehen, wie sich die erwähnten Peptide, die wichtige Erkennungsmerkmale für das Immunsystem darstellen, im Rahmen bösartiger Erkrankungen des Dickdarms verändern, haben Tübinger Wissenschaftler diese Eiweißbruchstücke systematisch und in bislang beispiellosem Umfang analysiert. Dazu wurde die Technik der Massenspektrometrie genutzt, um mittels dieser „molekularen Waage“ Peptide mit extrem hoher Genauigkeit zu bestimmen und jeweils etwa 30.000 dieser Peptide auf menschlichem Tumor- und Darmgewebe anhand ihrer Aminosäuresequenz zu charakterisieren.
Dabei fiel auf, dass alle Tumoren weiterhin ihre HLA Klasse I Moleküle behalten und nur wenige davon die Anzahl dieser Moleküle herunterregulieren. Weiterhin konnte nachgewiesen werden, dass wichtige Signalwege, die im Rahmen der Entstehung von Darmkrebs eine Rolle spielen, durch entsprechende Peptide auf der Zelloberfläche für das Immunsystem sichtbar werden. Auch ein direkter Vergleich von Darmgewebe und bösartig verändertem Tumorgewebe erlaubte interessante Rückschlüsse, etwa dass nicht nur die erwähnten Signalwege in diesen Tumoren besonders hervortreten, sondern dass auch Muster auftreten, die einen möglichen Zusammenhang mit Infektionen, insbesondere mit Epstein-Barr-Virus vermuten lassen könnten.
Die beschriebene Charakterisierung der immunologisch relevanten Oberflächenstrukturen von Darmtumoren erlaubt zunächst ein tieferes Verständnis der beteiligten Vorgänge und ermöglicht es, neue Einsichten zu gewinnen, womit das Immunsystem in bösartigen Darmtumoren interagiert. Andererseits können die generierten Daten auch wesentliche Relevanz gewinnen, etwa für die Definition von Zielstrukturen für Impfungen gegen Krebserkrankungen oder auch für die Entwicklung potenter neuartiger Immuntherapien, die definierte HLA-gebundene Peptide erkennen, etwa mit veränderten T Zellen (CAR-T-Zellen) oder durch entsprechende Antikörper. (idw, red)
Löffler MW, Kowalewski DJ, Backert L, et al.: Mapping the HLA ligandome of Colorectal Cancer Reveals an Imprint of Malignant Cell Transformation. Cancer Research (2018) Aug 15; 78(16); 4627–41. DOI: 10.1158/0008-5472.CAN-17-1745.
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