Von Wilhelm Conrad Röntgen zur virtuellen Colographie

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Wilhelm Conrad Röntgen gelang es zum ersten Mal, in das Innere des menschlichen Körpers zu blicken. Damit trat er eine Revolution los. Das Netzwerk gegen Darmkrebs sprach mit Prof. Dr. Maximilian Reiser, Chef des Instituts für klinische Radiologie der LMU München, über moderne bildgebende Verfahren.

Netzwerk gegen Darmkrebs (NgD): Welche bildgebenden Methoden sollten ihrer Ansicht nach auf jeden Fall bei der Diagnose eines kolorektalen Karzinoms durchgeführt werden, und wie sieht der klinische Alltag in Deutschland aus?

Reiser: Darmkrebs ist derzeit in Deutschland bei Männern die dritthäufigste und bei Frauen die zweithäufigste Krebserkrankung. Die bildgebenden radiologischen Verfahren haben in der Diagnostik und Therapie von Darmkrebs einen sehr hohen Stellenwert. Wenn sich im Rahmen einer Krebsvorsorgeuntersuchung (zum Beispiel bei einer Darmspiegelung) der konkrete Verdacht auf einen Darmtumor ergibt, kommen in den meisten Fällen weitere bildgebende Verfahren, wie zum Beispiel die Sonographie, Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) zum Einsatz.

Mit Hilfe der MRT kann insbesondere bei Tumoren des Enddarms (Rektumkarzinomen) die lokale Ausbreitung des Tumors genau erfasst werden. Die MRT spielt eine Schlüsselrolle für die Diagnose und weitere Therapieplanung von Rektumkarzinomen, da die Auswahl des chirurgischen Verfahrens (oder einer vorangehenden Radiochemotherapie) maßgeblich von den Ergebnissen der MRT abhängt. Die MRT gilt heutzutage als bildgebende Methode der Wahl vor jeder weiteren Therapieplanung von Rektumkarzinomen.

Neben der Beurteilung des Primärtumors im Darm kommen die bildgebenden Verfahren auch für die Erfassung von Tumorabsiedlungen in anderen Organen zum Einsatz. Mit einer Ultraschalluntersuchung können zum Beispiel Metastasen in der Leber erfasst werden. Die Untersuchung selbst ist nicht belastend oder schmerzhaft für den Patienten. Um mögliche Tumorabsiedlungen in der Lunge zu entdecken, werden im klinischen Alltag häufig auch Röntgenaufnahmen des Brustkorbs angefertigt.

Für den genauen Nachweis von Tumorabsiedlungen sind dagegen die Computertomographie und die Magnetresonanztomographie erforderlich. Mittels CT können zum Beispiel Metastasen in der Leber und der Lunge mit hoher Sicherheit nachgewiesen werden. Die Magnetresonanztomographie ist eine alternative, sehr sensitive Methode zur gezielten Suche nach Metastasen in der Leber und ist der CT hinsichtlich der Detektion von Lebermetastasen überlegen. Ein weiterer Vorteil der MRT ist die fehlende Strahlenbelastung.

NgD: In den zurückliegenden Jahren gab es zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema „virtuelle Colographie“. Wann macht es aus ihrer Sicht Sinn, diese Technik einzusetzen, wo sehen Sie methodisch-technische Fortschritte und was kann als State of the Art bezeichnet werden?

Reiser: Wenn klinisch der Verdacht auf Darmkrebs besteht und eine normale Darmspiegelung zum Beispiel aufgrund einer Engstelle im Darm nicht möglich ist, oder das Risiko einer Darmverletzung zu hoch wäre, ist eine virtuelle Koloskopie zu empfehlen, um Polypen und bösartige Tumoren des Dickdarms nachzuweisen oder auszuschließen.

Dies wurde in einer offiziellen Leitlinie der European Society of Gastrointestinal Endoscopy und der European Society of Gastrointestinal and Abdominal Radiology bestätigt. Bei einer virtuellen Koloskopie wird kein Endoskop in den Darm eingeführt, was für die Patientinnen und Patienten weniger belastend ist. Die Aufnahmen des Darms werden hierfür mittels Computertomographie (CT) generiert. Die technischen Fortschritte in der Entwicklung neuer CT-Geräte haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Strahlenbelastung fast um den Faktor zehn reduziert werden konnte. Die virtuelle Koloskopie wurde in verschiedenen europäischen Ländern und in den USA in die nationalen Screening-Programme aufgenommen und hat sich dabei sehr gut bewährt.

Den Tumor in seiner ganzen Heterogenität analysieren

NgD: Im DKFZ in Heidelberg lässt sich recht gut beobachten, wie Informationstechnologie und Medizin zusammenwachsen. Unter dem Stichwort „von Big Data zu Smart Data“ kann die einzelne Krebszelle in kurzer Zeit mit Hochleistungsrechnern analysiert und mit dem medizinischen „Weltwissen“ gematcht werden, so dass eine maßgeschneiderte Therapie möglich erscheint. Werden intelligente IT-Konzepte in der Radiologie eine ähnlich hohe Bedeutung bekommen?


Reiser: Radiologische Untersuchungen bieten eine unglaubliche Fülle von Daten und Bildinformationen, von denen wir Radiologen nur einen Bruchteil mit dem bloßen Auge erfassen können. So können wir zum Beispiel in der CT die Größe und die Form von Metastasen in der Leber erfassen, die genaue Textur und Heterogenität der Metastasen bleibt dem bloßen Auge jedoch verborgen.

In Zeiten von „Big Data“ können wir in ähnlicher Weise wie bei der Gen- und Proteinanalyse auch radiologische Bilddatensätze und somit jeden einzelnen Tumor mit der Hilfe von moderner Software einer Detailanalyse unterziehen. Mit „Radiomics“ (die sogenannte Radiogenomik) bezeichnet man die Auswertung großer Bilddatensätze mittels computerunterstützter Techniken.

Ziel dieser Analyse ist es, den Tumor in seiner Heterogenität genauer zu charakterisieren und zu quantifizieren, um zum Beispiel durch eine Texturanalyse die Aggressivität von Metastasen klassifizieren und um das Ansprechen auf eine bestimmte Therapie prognostizieren zu können. Die bisher vorliegenden Forschungsergebnisse sind sehr vielversprechend, und wir hoffen mit Radiomics einen wichtigen Beitrag für eine personalisierte Präzisionsmedizin leisten zu können. Zudem erwarten wir, dass zukünftig weniger häufig invasive Biopsien erforderlich sein werden.###more###


NgD: Werfen wir einen Blick auf die neoadjuvante Radiochemotherapie: Wo sehen Sie Fortschritte bei der Behandlung Ihrer Patienten?

Reiser: Für die Radiochemotherapie sind insbesondere die Fachgebiete der Strahlentherapie und der Onkologie zuständig. Ziel der Radiochemotherapie ist es, die Heilungsaussichten zu verbessern, die Patienten in einen operablen Zustand zu überführen und, wenn möglich, die Radikalität einer Behandlung zu reduzieren. Dabei ist es wichtig festzustellen, ob die Radiochemotherapie zu dem gewünschten Erfolg, dem Untergang der Tumorzellen, geführt hat.

Mit der MRT und hier insbesondere einer Technik, welche die Diffusion in den Geweben darzustellen vermag (diffusionsgewichtete MRT) kann der Behandlungserfolg einer neoadjuvanten Radiochemotherapie besser als mit anderen Verfahren bewertet werden.

Fortschritte bei den minimalinvasiven Therapieverfahren

NgD: Wenn wir den Bereich der in die Leber metastasierten Tumoren betrachten, wo sehen Sie Fortschritte bei der minimalinvasiven Therapie?

Reiser: Die radiologisch-interventionellen, minimalinvasiven Therapieverfahren bei Lebermetastasen haben in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Die Zahl dieser Behandlungen hat stetig zugenommen. Dieser Bedarf ist unter anderem auf einen Paradigmenwechsel zurückzuführen, bei dem individualisierte, personalisierte Therapieformen immer mehr in den Fokus rücken.

Dazu gibt es verschiedene Verfahren:

  1. die thermoablativen Verfahren, bei denen das Tumorgewebe „verkocht“ wird: Es werden dazu zum Beispiel mit computertomographischer Steuerung von außen durch die Haut dünne Sonden in die Lebermetastasen eingeführt, die dann im Bereich des Tumorgewebes eine Temperatur von 60 bis 100 Grad Celsius entwickeln, die zu einem Absterben der Tumorzellen führen. Für diese thermoablative Behandlung stehen Radiofrequenz-, Mikrowellen- und Lasersonden zur Verfügung. Die lokal thermoablativen Verfahren stellen eine schonende Methode für die Therapie von Lebermetastasen dar, deren Ergebnisse denen einer Operation vergleichbar sind.
  2. Katheterbasierte Methoden: Dabei wird ein Mikrokatheter über die Leistenschlagader superselektiv in die die Metastase oder die Metastasen versorgende Leberarterie und deren Äste eingebracht. Über diese Mikrokatheter werden radioaktiv beladene Harzmikrosphären, Medikamente oder gefäßverschließende Substanzen eingebracht, die zu einer Rückbildung der Metastasen führen, Die bisherigen Ergebnisse mit diesen Techniken belegen ein hohes therapeutisches Potenzial, welches sich mit den anderen Verfahren der Tumortherapie (Chirurgie, Strahlentherapie, Chemotherapie) kombinieren lässt###more###


NgD: Gerade ist in Chicago der ASCO 2016 zu Ende gegangen, bei dem sich wie jedes Jahr Onkologen aus der ganzen Welt treffen, um neuste Ergebnisse in Diagnostik und Therapie zu diskutieren, Gibt es Highlights aus dem Gebiet der bildgebenden Verfahren, die aus Ihrer Sicht besonders wichtig sind für den klinischen Alltag?

Reiser: Neueste Studienergebnisse vom Jahrestreffen der American Society of Clinical Oncology in den USA haben die überragende Bedeutung einer individualisierten Medizin für jeden einzelnen Patienten, die sogenannte Präzisionsmedizin in den Vordergrund gerückt. In Chicago werden jährlich neue Ergebnisse in der onkologischen Therapie und Diagnostik unter anderem auch von Darmkrebsstudien präsentiert.

Aus interventionsradiologischer Sicht ist insbesondere die Präsentation der „SIRFLOX- Studie“ sehr interessant, die die Wirkung von Chemotherapie und Radioembolisation bei Patienten mit nichtresektablen Darmkrebsmetastasen in der Leber untersucht. Die SIRFLOX Studie konnte zeigen, dass durch die Kombination von Chemotherapie und Radioembolisation mit SIR-Spheres (Y-90 Harz-Mikrosphären) eine signifikante Verbesserung des progressionsfreien Überlebens bei Patienten mit nicht-resektablen Lebermetastasen erreicht werden kann.

NgD: Last but not least, ist der beste Krebs derjenige, den man nicht bekommt. Engagieren wir uns in Deutschland genug für das Thema Prävention und Vorsorge beziehungsweise gibt es Lessons to learn im internationalen Vergleich?

Reiser: Krebserkrankungen haben aufgrund der demografischen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Darmkrebs gehört zu den häufigsten Krebsneuerkrankungen in Deutschland. Kaum einer Krebsart kann man jedoch so erfolgreich vorbeugen wie dem Darmkrebs. Dank der Darmspiegelung kann der Erkrankung in den meisten Fällen frühzeitig vorgebeugt werden, zudem lassen sich etwaige Tumoren bereits in einem frühen, noch heilbaren Stadium erkennen. Bislang gehen leider trotz der exzellenten Aufklärungsarbeit in Deutschland, unter anderem durch das „Netzwerk gegen Darmkrebs“ viel zu wenige Menschen zur Früherkennung, hier besteht sicherlich noch weiterer Aufklärungsbedarf

Die Frage ist, wie man alle infrage kommenden Menschen in unserem Land zu Früherkennungsmaßnahmen motivieren kann. Eine Studie aus den USA, die 2014 in der Fachzeitschrift Journal of Clinical Oncology publiziert wurde, hat gezeigt, dass eine intensive telefonische Beratung (verglichen mit E-Mails und Aufklärungsbroschüren) dazu gut geeignet ist. Neben modernen onkologischen Therapiekonzepten im Rahmen der Präzisionsmedizin ist die personalisierte Aufklärung von Patienten ein erfolgversprechender Weg. Hier sind alle ärztlichen Fachgruppen gefragt, Prävention und Aufklärung ist ein interdisziplinäres und interprofessionelles Thema.


Herr Professor Reiser, vielen Dank für das Gespräch.

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