Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und des Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité haben Methoden entwickelt, um Proteine in fixierten Proben von Krebsgeweben umfassend zu analysieren. Wie das Team jetzt im Fachjournal Nature Communications berichtet, lassen sich damit neue Erkenntnisse über die Krankheitsabläufe bei verschiedenen Krebsarten gewinnen.
Um eine Krebserkrankung zu diagnostizieren, entnehmen Ärztinnen und Ärzte ihren Patientinnen und Patienten Gewebeproben, die sie – meist fixiert in Formalin – mikroskopisch untersuchen. In den vergangenen 20 Jahren wurden zudem genetische Verfahren etabliert, die es erlauben, Mutationen in den Tumoren näher zu charakterisieren und Hinweise auf die beste Behandlungsstrategie liefern. Jetzt ist es einem Forschungsteam der Charité, des MDC und des BIH zusammen mit dem Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) gelungen, in fixierten Proben von Lungenkrebsgewebe mehr als 8.000 Proteine mit Massenspektrometern im Detail zu analysieren.
Molekulare Prozesse in Krebszellen auf der Proteinebene
„Mit den von uns entwickelten Methoden ist es möglich geworden, molekulare Prozesse in Krebszellen auf der Proteinebene tiefgreifend zu untersuchen – und zwar in bereits vorhandenen Patientenproben, die im Klinikalltag in großer Zahl anfallen und eingelagert werden“, sagt Dr. Philipp Mertins, der Leiter der Technologieplattform „Proteomics“ am MDC und BIH. „Selbst kleinste Gewebemengen, wie sie bei Nadelbiopsien gewonnen werden, sind für unsere Experimente ausreichend.“ Die Studie gilt als ein wichtiger Erfolg für das Forschungsprojekt MSTARS (Multimodal Clinical Mass Spectrometry to Target Treatment Resistance), das seit dem Jahr 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 5,7 Millionen Euro finanziert wird.
Das Team um Dr. Mertins und Prof. Dr. Frederick Klauschen vom Institut für Pathologie der Charité hat zum einen zeigen können, dass die Proteine – anders als die häufig untersuchten, aber recht empfindlichen RNA-Moleküle – in den Proben viele Jahre lang stabil bleiben und präzise quantifiziert werden können. „Zum anderen bilden die in dem Tumorgewebe vorhandenen Proteine das Krankheitsgeschehen besonders gut ab“, sagt Erstautorin Corinna Friedrich, Doktorandin in den Arbeitsgruppen von Dr. Mertins und Prof. Klauschen. „Denn sie geben zum Beispiel Aufschluss darüber, welche der Gene, die das Wachstum eines Tumors fördern oder hemmen, in den Zellen besonders aktiv sind.“
Mehr als 14.000 Phosphorylierungsstellen
Das Bild, das die Forschenden mit ihrer Analyse von Adeno- und Plattenepithelkarzinomen – zwei Formen von Lungenkrebs – gewonnen haben, ist auch deshalb so detailliert geworden, weil sie nicht nur eine sehr große Zahl von den in der Zelle vorhandenen Proteinen haben aufspüren können, sondern darüber hinaus mehr als 14.000 Phosphorylierungsstellen ermittelt haben. Mithilfe der Phosphorylierung, dem reversiblen Anhängen von Phosphatgruppen an Proteine, kontrolliert die Zelle fast alle biologischen Prozesse, indem sie bestimmte Signalwege auf diese Weise ein- oder ausschaltet.
„Unsere Publikation bildet somit eine wichtige Grundlage, um zu einem besseren Verständnis des Krankheitsgeschehens bei Lungenkrebs und auch bei anderen Krebsarten zu gelangen“, sagt Prof. Klauschen, der zusammen mit Dr. Mertins korrespondierender Autor der Studie ist. Inzwischen hat Klauschen die Leitung des Pathologischen Instituts an der Ludwig-Maximilians-Universität München übernommen, forscht aber auch weiterhin an der Charité. „Darüber hinaus werden wir mit den von uns entwickelten Methoden künftig besser erklären können, warum eine ganz bestimmte Therapie bei manchen Erkrankten wirkt, während sie bei anderen versagt“, ergänzt der Pathologe. Somit werde man leichter für alle Patientinnen und Patienten die jeweils beste Behandlungsoption finden.
Besseres Verständnis für Infektions- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Dr. Mertins hofft zudem, dass sich mit der massenspektrometrischen Analyse des Proteoms in Gewebeproben nicht nur neue Biomarker für die Therapieentscheidung und die Überlebensprognose der Patientinnen und Patienten finden lassen, sondern auch weitere molekulare Zielstrukturen entdeckt werden, an denen potenzielle Medikamente künftig angreifen könnten. Und noch einen Pluspunkt der geleisteten Arbeit kann der Forscher benennen: „Unsere Methode ist nicht nur für die Erforschung von Krebs geeignet, sondern sehr breit einsetzbar.“
Unter anderem hat die Arbeitsgruppe „Proteomics“ bereits das Proteom fixierter Immunzellen von COVID-19-Patientinnen und -Patienten erfolgreich analysiert. Zudem können die Autoren Empfehlungen geben, welche Massenspektrometrie-Methoden für verschiedene Arten von klinischen Studien besonders zu empfehlen sind. Als Nächstes sollen am MDC sowohl weitere fixierte Immunzellen als auch fixiertes kardiovaskuläres Gewebe auf vorhandene Proteine und Phosphorylierungsstellen untersucht werden. „Auf diese Weise wollen wir zu einem besseren Verständnis für Infektions- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen kommen“, erläutert Dr. Mertins. „Denn dann würden sich auch diese Krankheiten eines Tages vermutlich sehr viel besser behandeln lassen, als es bislang der Fall ist.“
Friedrich C et al. Comprehensive micro-scaled proteome and phosphoproteome characterization of archived retrospective cancer repositories. Nat Commun (2021), doi: 10.1038/s41467-021-23855-w.
https://www.nature.com/articles/s41467-021-23855-w
Quelle: Charité, 17.06.2021
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