Suizidassistenz: Gesetzesentwurf gefährdet psychisch Kranke
Im Jahr 2021 kamen 9200 Personen in Deutschland durch Suizid zu Tode, die meisten davon im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung. Eine psychiatrische, suizidpräventive Behandlung hätte, wie Studien zeigen, viele dieser Menschen retten können. Die meisten von ihnen waren aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung nicht in der Lage, die Entscheidung über ihren Suizid frei und selbstbestimmt zu treffen.
Selbstbestimmungsfähigkeit beeinträchtigt
Der neu vorgestellte Gesetzesentwurf von Helling-Plahr et al. bietet dieser Gruppe keinen ausreichenden Schutz, kritisiert die Fachgesellschaft. Zwar sieht er vor, dass bei der Beratung, die dem Suizid vorausgehen muss, und auch bei der Verschreibung des todbringenden Präparats der freie Willen der Betroffenen vorliegen müsse – es bleibt aber gänzlich ungeregelt, wie dies zu beurteilen ist. Wurde die Entscheidung tatsächlich frei getroffen oder war die Selbstbestimmungsfähigkeit nicht doch durch eine psychische Erkrankung beeinträchtigt? Um diese Frage fundiert zu beurteilen, ist die Expertise von Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie notwendig. Der Entwurf sieht ihre Einbindung nicht vor. Ganz im Gegenteil macht er keinerlei Vorgaben zu Ausbildung oder Expertise der Beratenden.
Begutachtung mangelhaft
Ein weiterer Kritikpunkt der DGPPN: Dem vorliegenden Entwurf zufolge würde ein und derselbe Arzt die Willensfreiheit der Person beurteilen und über die Verschreibung des Präparats entscheiden. Die Begutachtung der Selbstbestimmungsfähigkeit und die Suizidbeihilfe werden also nicht von unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Personen durchgeführt, wie die Gesellschaft moniert. Einer Entscheidung über Leben und Tod werde dies nicht gerecht. Der Entwurf lasse zudem offen, woher Ressourcen und Personal für die einzurichtenden Beratungsstellen kommen sollen. Die Mitarbeitenden sollen vermerken, wenn während der Beratung Zweifel am freien Willen der Entscheidung aufkommen, aber es sei nicht sichergestellt, dass sie überhaupt über die nötige Kompetenz verfügen, das zu beurteilen. Und wenn sie denn Zweifel an der selbstbestimmten Entscheidung hätten, sollten sie diese einfach auf dem Beratungsschein vermerken. Hilfe und Behandlung würden dem Menschen nicht angeboten.
Recht auf Sterben überbewertet?
„Wer akut suizidal ist, muss zunächst im Gesundheitssystem versorgt werden. Eine ergebnisoffene Beratung durch Menschen mit unklarer Expertise vermeidet Suizide nicht, sondern befördert sie“, stellt Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) klar. Die Fachgesellschaft forderte deshalb schon im vergangenen Jahr in einem Eckpunktepapier, dass Personen, die Suizidassistenz suchen, deren Selbstbestimmungsfähigkeit aber in Frage steht, unbedingt nahtlos Unterstützung finden müssen. Der aktuelle Entwurf für eine Neuregelung der Suizidassistenz macht keine entsprechenden Vorgaben. Andreas Meyer-Lindenberg: „Der vorliegende Gesetzesentwurf gewichtet das Recht auf Sterben höher als das Recht psychisch erkrankter Menschen, ihre Erkrankung zu überleben. Es schützt Menschen, deren Selbstbestimmung aufgrund einer psychischen Erkrankung eingeschränkt ist, nicht ausreichend vor einem irreversiblen Schritt wie dem Suizid. Ein solches Gesetzesvorhaben kann die DGPPN keinesfalls unterstützen.“ Noch vor der Sommerpause will der Bundestag über eine Sterbehilfe-Regelung abstimmen.
Quelle: DGPPN
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