MPN – myeloproliferative Neoplasie – ist eine Gruppe chronisch bösartiger Knochenmarkserkrankungen, bei der die Patienten eine Mutation in ihren blutbildenden Stammzellen tragen. Die Mutation führt zu einer Überproduktion von Blutzellen, sodass das Blut zu dick werden kann und Blutgerinnsel verursacht oder die Blutgefäße verstopft. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg haben nun herausgefunden, dass bei Patienten mit besonders vielen geschädigten Stammzellen, auch bestimmte Zellen des Immunsystems die Mutation tragen. Die Auswirkungen auf die Abwehr von Krankheitserregern untersuchten die Wissenschaftler an Mäusen.
Myeloproliferative Neoplasie
Die im sich Knochenmark befindlichen Stammzellen sind für die Produktion der weißen und roten Blutkörperchen und Blutplättchen zuständig. Botenstoffe regen sie hierzu an, binden sie und setzen dadurch eine Reaktionskette mit vielen verschiedenen Bausteinen in Gang. Bei MPN weisen die blutbildenden Stammzellen der meisten Patienten eine Mutation in ihrem Erbmaterial auf. Die Mutation befindet sich meist im Baustein Janus-Kinase 2 der Reaktionskette und führt dazu, dass das Signal zur Blutbildung in den Stammzellen permanent angeschaltet ist.
Je nachdem, welcher Typ der Stammzellen betroffen ist, bildet das Knochenmark der Patienten verstärkt entsprechende Blutkörperchen – das Blut wird zu dick und kann die Gefäße verstopfen. MPN-Patienten erhalten meist einen Hemmstoff für die Janus-Kinase 2, der das Dauersignal zur Blutbildung unterdrückt. Allerdings werden dadurch auch die Immunzellen geschwächt und die Patienten sind anfälliger für Infektionen.
Mutation in T-Zellen die Ursache
In enger Zusammenarbeit mit den Magdeburger Hämatologen Prof. Florian Heidel und Prof. Thomas Fischer hat Prof. Dirk Schlüter von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Patienten mit unterschiedlichen Ausprägungen der myeloproliferativen Neoplasie untersucht. Sie fanden heraus, dass 60 Prozent der Patienten, die besonders viele geschädigte Stammzellen aufweisen, die Mutation auch in den sogenannten T-Zellen haben - Zellen des Immunsystems, die ganz gezielt in den Körper eingedrungene Krankheitserreger bekämpfen. „Dass so viele MPN-Patienten die Mutation auch in den T-Zellen tragen, war bislang nicht bekannt“, sagt Dirk Schlüter. „Um herauszufinden, was dieser Befund für die Patienten bedeutet, haben wir die klinischen Untersuchungen mit Studien an Mäusen kombiniert“, fährt Schlüter fort.
Dazu wurden Mäuse gezüchtet, deren T-Zellen eine Mutation in der Janus-Kinase 2 tragen und diese Tiere mit gesunden Mäusen verglichen. Da es den Mäusen trotz der Mutation gut ging, haben die Forscher die Mäuse mit der Bakterienart Listeria monocytogenes infiziert. Listerien besiedeln zum Beispiel Lebensmittel und können beim Menschen schwere Infektionen bis hin zur Hirnhautentzündung auslösen. Sieben Tage nach der Infektion mit Listerien hatten die Mäuse mit Mutation 100-mal weniger Bakterien in der Milz als die Kontrollmäuse, da sie deutlich mehr gegen die Listerien gerichtete T-Zellen gebildet hatten und so die Infektion besser kontrollieren konnten.
Auch die Zahl der anderen Blutkörperchen war von Belang: „In den Mäusen mit der Mutation waren neben den T-Zellen auch die Granulozyten und die Vorläufer der Erythrozyten stark vermehrt“, sagt Schlüter. „Dadurch wird das Blut wiederum zu dick und es besteht die Gefahr einer Thrombose. Außerdem wiesen die Mäuse erhöhte Entzündungswerte auf.“
Grundlage für weitere Erkenntnisse
Um auszuschließen, dass die verstärkte Bildung von Blutzellen nur durch die Listerien ausgelöst wurde, wiederholten die Wissenschaftler die Versuche mit einem pflanzlichen Lektin, welches das Immunsystem stimuliert. „Das Lektin hat das Immunsystem und die T-Zellen der Mäuse aktiviert – genau wie es die Listerien getan haben“, erklärt Schlüter. „Dabei konnten wir die gleichen Effekte wie bei den Infektionsversuchen beobachten: Die Mäuse mit T-Zell-Mutation zeigten eine deutlich stärkere Immunantwort und wieder eine erhöhte Blutbildung.“ Hieraus folgerten die Forscher, dass die heftige Reaktion des Immunsystems mit der Mutation in den T-Zellen zusammenhängt.
Der nächste Schritt sei nun den Mechanismus der T-Zell-Aktivierung durch die mutierte Janus-Kinase 2 genauer unter die Lupe zu nehmen und herausfinden, warum es im Körper zu keiner Gegenregulation kommt. Außerdem ist noch nicht bekannt, was die Mutation in den T-Zellen für Patienten mit myeloproliferativen Neoplasien bedeutet. „Gemeinsam mit Hämatologen des Universitätsklinikums Magdeburg und Jena wollen wir nun klären, ob diese Patienten zum Beispiel mehr Autoimmun-Symptome aufweisen, vielleicht eine andere Prognose haben als andere MPN-Patienten und dementsprechend auch eine andere Therapie bräuchten“, beschreibt Schlüter das weitere Vorgehen. Ihre bisherigen Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachjournal Leukemia. (idw, red)
Literatur:
G. Nishanth, D. Wolleschak, C. Fahldieck, T. Fischer, A. Mullally, F. Perner, T.M. Schnöder, S. Just, F.H. Heidel and D. Schlüter: Gain of function in Jak2V617F-positive T-cells. Leukemia, 2017; DOI: 10.1038/leu.2017.6.
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