Die Möglichkeiten der Molekulardiagnostik sind vielfältig, die Analysen komplex, die Erwartungen sehr hoch. Angesichts der Vielfalt der Möglichkeiten und der dynamischen Entwicklung in der Onkologie hat die DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie in Kooperation mit weiteren wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften ein gemeinsames Positionspapier erarbeitet, das den Einsatz der Molekulardiagnostik in der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Krebs definiert. Gemeinsam mit der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) und der Deutschen Gesellschaft für Pathologie hat die DGHO das Positionspapier in Berlin vorgestellt.
Prof. Dr. med. Olaf Ortmann, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) und Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Caritas-Krankenhaus St. Josef in Regensburg sowie Inhaber des Lehrstuhls für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Universität Regensburg, machte die Relevanz der stetigen Zunahme der Zahl von molekulardiagnostisch nachgewiesenen, krankheitsbezogenen Aberrationen deutlich.
„Für den Bereich der Früherkennung und Prävention gilt das beispielsweise für Keimbahnmutationen in den BRCA1- oder BRCA2-Genen, die wir als Risikofaktoren für ein Mamma- oder Ovarialkarzinom kennen. Dabei erlaubt uns der Nachweis und die Charakterisierung krankheitsspezifischer oder -assoziierter Aberrationen eine individuelle Risikoabschätzung und stellt die Basis weiterführender Empfehlungen beziehungsweise Maßnahmen dar.“
Indikationen molekulardiagnostischer Verfahren
Im Bereich der Diagnose sind laut Ortmann molekulardiagnostische Verfahren zur Typisierung einer Tumorerkrankung dann indiziert, wenn mit konventionellen gewebediagnostischen Verfahren (zytologische oder histologische, mikroskopische Analysen) keine ausreichende Diagnosesicherung möglich ist, und wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, mittels der ergänzenden (molekulargenetischen) Diagnostik eben diese Sicherheit zu erlangen.
Im Bereich der Therapie sind molekulardiagnostische Verfahren dann indiziert, wenn das Ergebnis prädiktive Bedeutung hat, also den Nutzen einer möglichen Therapie vorhersagen kann. Als Beispiel nannte Ortmann das Mammakarzinom: „Mit der Publikation der TAILORx-Studie liegen jetzt erstmals Daten einer großen, prospektiv randomisierten Studie zum prädiktiven Wert einer Genexpressionsanalyse bei Patientinnen mit HR-positivem, nodal negativem Mammakarzinom vor. Auf Basis der TAILORx-Studie kann bei einer definierten Gruppe von Patientinnen mit Hormonrezeptor (HR)-positivem Mammakarzinom die Empfehlung zur adjuvanten Chemotherapie unterstützt, bei einer anderen Gruppe auf die Chemotherapie verzichtet werden“, so der Präsident der DKG.
Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer, Vorsitzender der DGHO und Direktor der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik für den Bereich Onkologie, Hämatologie und Knochenmarktransplantation mit Sektion Pneumologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, betonte, dass bei soliden Tumoren und auch bei vielen hämatologischen Neoplasien die Integration der Molekulardiagnostik in den Diagnosealgorithmus die Auswahl des für den individuellen Patienten besten Therapiekonzeptes erst ermöglicht.
Interdisziplinäre Diskussion im Tumorboard
Daher muss die molekulare Diagnostik im klinischen Kontext sinnvoll indiziert und interpretiert werden. „Am Ende der Diagnostik steht die interdisziplinäre Diskussion im Tumorboard (Tumorkonferenz) zur Erstellung der Therapieempfehlung für unsere Patientinnen und Patienten. An vielen Zentren sind in den letzten Jahren zudem molekulare Tumorboards mit besonderer Expertise in der Interpretation molekulardiagnostischer Befunde entstanden, die auch überregional zusammenarbeiten“, so Bokemeyer.
Durch die Fortschritte der Molekulardiagnostik hat sich die Erkenntnis verstärkt, dass Krebs nicht mehr als eine Krankheit, sondern vielmehr als Sammelbegriff für eine Vielzahl verschiedener Erkrankungen verstanden werden muss, so der Vorsitzende der DGHO. Dabei spaltet sich Krebs zunehmend in eine Vielzahl verschiedener Erkrankungen auf, jede mit definierten, zum Teil einzigartigen Merkmalen. Die mikroskopische Charakterisierung bösartiger Erkrankungen wurde ergänzt um eine komplexe biologische Diagnostik unter Verwendung molekulargenetischer und anderer Verfahren.
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Das führt vor allem zu einem grundsätzlichen Wandel der Therapiealgorithmen. Diese Entwicklung ist noch längst nicht abgeschlossen, und die künftige Klassifikation von Erkrankungen mit den dazugehörigen Therapieempfehlungen wird auf den Erkenntnissen mit den jetzigen Instrumenten aufbauen. Darüber hinaus muss das individuell gewonnene Wissen aus der Diagnostik und Therapie der Patienten auch der medizinischen Entwicklung in unserer Gesellschaft im Sinne eines aus der Versorgung lernenden Systems zugutekommen.
Rasante Entwicklung molekulargenetischer Untersuchungsmethoden
„Auch vor Ort in den jeweiligen Zentren ist ein kontinuierlicher Wissensaustausch zwischen den Diagnostikern und den Therapeuten unerlässlich. Das diagnostische Angebot muss ständig den sich rasch ändernden Anforderungen angepasst werden, zum Beispiel bei der Publikation Therapiestandard-verändernder Studiendaten oder beim Auftreten von Resistenzen unter Therapie mit gezielten Kinase-Inhibitoren“, so Bokemeyer.
Prof. Dr. med. Wilko Weichert, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP) und Direktor des Instituts für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der Technischen Universität München, verdeutlichte die rasante Entwicklung der molekulargenetischen Untersuchungstechniken in den letzten Jahren – von konventionellen Polymerasekettenreaktionen (PCR) oder Fluoreszenz-In-Situ-Hybridisierung (FISH) bis hin zum Next Generation Sequencing (NGS) mit Analyse des gesamten Exoms (Whole-Exome, WES), des gesamten Genoms (WGS) und des Transkriptoms (RNA-seq). Eine technische Herausforderung ist insbesondere die Analyse der meist kleinen, formalinfixierten, paraffineingebetteten Biopsiepartikel bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, die einer Operation nicht mehr zugänglich sind.
Bezüglich der genannten molekularen Charakterisierungen ist es zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll, eine bestimmte Methode vorzugeben, vielmehr ist das Erreichen eines validen Ergebnisses in der jeweiligen Testung entscheidend. „Erforderlich ist die regelmäßige Durchführung der spezifischen molekulardiagnostischen Analysen und damit eine hohe technische Expertise, die externe Validierung der Analysequalität durch Teilnahme an Qualitätskontrollen in Form von Ringversuchen und eine Akkreditierung beziehungsweise Zertifizierung der Labore“, so Weichert. Dies kann dazu führen, dass nicht jedes Institut für Pathologie und nicht jedes hämatologische Labor eine umfassende Molekulardiagnostik anbieten kann. Aus diesem Grund ist der Auf- und Ausbau kooperativer Strukturen erforderlich, um den Arbeitsablauf und die Einhaltung der Kriterien der Qualitätssicherung zu garantieren.
Handlungsbedarf auf verschiedenen Ebenen der Gesundheitspolitik
In diesem Zusammenhang wies das Vorstandsmitglied der DGP auf die etwas kontrovers zu diskutierende Rolle von kommerziellen Anbietern hin, die zurzeit in einigen Bereichen versuchen, Elemente und Strukturen der molekularpathologischen Diagnostik in zentralisierter Form mit einem Fokus auf ökonomische Aspekte zu übernehmen. „Voraussetzung für jedwede Art kommerziell orientierter Molekulardiagnostik ist ihre Integration in den im Positionspapier skizzierten Arbeitsablauf. Dieser beginnt mit der gezielten Indikationsstellung, reicht über die sichere mikroskopische Identifikation von Tumorgewebe und die zielgerichtete Auswahl des korrekten Untersuchungsverfahrens über die qualifizierte Analyse einschließlich der Teilnahme an Qualitätssicherungsmaßnahmen bis zur umfassenden Diskussion der Ergebnisse im Tumorboard. Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch die volle Integration dieser Diagnostik in lokale beziehungsweise regionale klinisch-onkologische Strukturen, um den integralen Aspekt molekularer Diagnostik im Gesamtkontext der Behandlung nicht zu gefährden“, so Weichert.
Anhand der Analyse des Ist- und Sollzustandes molekularer Diagnostik in der Onkologie sowie angesichts der Fülle diagnostischer und therapeutischer Innovationen ergibt sich auf verschiedenen Ebenen der Gesundheitspolitik Handlungsbedarf. „Wir müssen neben der Sicherstellung der flächendeckenden Verfügbarkeit der molekularen Diagnostik in der Onkologie und der Finanzierung auch die zeitnahe, qualitätsgesicherte Durchführung und die kontinuierliche ärztliche Fortbildung in der Molekulardiagnostik maligner Erkrankungen gewährleisten“, so Prof. Dr. med. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der DGHO.
Darüber hinaus muss laut Wörmann durch eine kontinuierliche Analyse der Kosten molekularer Diagnostik im ambulanten und stationären Bereich eine Anpassung der Erstattung möglich sein. Außerdem ist die verbindliche Interpretation des Gendiagnostikgesetzes zur Analyse von genetischen Aberrationen notwendig, die gleichzeitig prädiktiv für die individuelle Tumortherapie sind, aber auch Hinweis auf eine hereditäre Belastung für die betroffenen Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen geben können.
Des Weiteren gilt es, vor dem Hintergrund einer patientenorientierten Abwägung Angebote externer kommerzieller Anbieter gegenüber der Durchführung von Analysen im regionalen/nationalen Rahmen kritisch zu prüfen. „Dazu gehört für uns die Förderung des Aufbaus und der Vernetzung akademischer Datenbanken mit Zugang zu allen molekulardiagnostischen Ergebnissen der Patienten unter Berücksichtigung der nationalen und internationalen Vorgaben des Datenschutzes“, so Wörmann.
Quelle: DGHO, 15.01.2019
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