Protektive Handlungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie für Tätige in Gesundheitseinrichtungen für Herbst und Winter 2020-2021
Während Deutschland zumindest bis vor Kurzem eine moderate Inzidenz verzeichnete, ist auch hier mittlerweile der erneute Beginn einer exponentiellen Ausbreitung zu beobachten (Aktueller Lage-/Situationsbericht des RKI zu COVID-19). Die wieder verstärkte Ausbreitung von SARS-CoV-2-Infektionen ist abstrakt auf private Veranstaltungen wie Familienfeste, Hochzeitsfeiern sowie andere Zusammenkünfte zurückzuführen. Obwohl sich dadurch der Großteil des Infektionsgeschehens in jüngeren Altersklassen abspielt, die von den gesundheitlichen Folgen von COVID-19 zumeist deutlich weniger betroffen sind als ältere, sehen wir überall eine Zunahme an Hospitalisierungen und ein stetiges Vordringen der Infektionen in höhere Altersgruppen (Die Pandemie in Deutschland in den nächsten Monaten - Ziele, Schwerpunktthemen und Instrumente für den Infektionsschutz, Strategie-Ergänzung, Stand 13.10.2020, Robert Koch-Institut).
Kontrollverlust im Rahmen des Infektionsgeschehen
Aufgrund der explosiven Infektionsdynamik, die wir in allen Hotspots quer durch Europa feststellen, steht zu befürchten, dass ab einer bestimmten Schwelle auch in bisher unkritischen Regionen die Kontrolle über das Infektionsgeschehen verloren geht. Bei Überschreiten dieses Schwellenwerts sind die Nachverfolgung einzelner Ausbrüche und strikte Isolationsmaßnahmen nicht mehr realisierbar und eine unkontrollierte Ausbreitung in alle Bevölkerungsteile, einschließlich besonders vulnerabler Risikogruppen, nicht mehr adäquat zu verhindern. Es steht zu erwarten, dass dies zu einer raschen Überlastung der Gesundheitssysteme führen würde. Die Gesellschaft für Virologie warnte am 19.10.2020 in ihrer Stellungnahme: „zu einem wissenschaftlich begründeten Vorgehen gegen die Covid-19 Pandemie“, dass bereits bei weit unter 20.000 Neuinfektionen pro Tag der Fall eintreten kann, das nicht nur die Behandlung von COVID-19-Patienten, sondern die gesamte medizinische Versorgung leiden. Hierzu ist anzumerken: Gut ein Drittel aller Kliniken hierzulande kann seine Betten aufgrund der Personaluntergrenzen nicht voll auslasten. Das geht aus einer aktuellen Umfrage des Deutschen Krankenhausinstitutes (DKI) hervor. Demnach mussten 37% aller Krankenhäuser Betten auf Intensivstationen schließen, um die Pflegepersonaluntergrenzen einhalten zu können. Auch auf den pflegesensitiven Allgemeinstationen mussten 23% der Kliniken aus diesem Grunde Bettensperrungen vornehmen, und 29% mussten sogar ganze Bereiche zeitweise von der Notfallversorgung bei der Leitstelle des Rettungsdienstes abmelden. Konsekutiv erschwerend kommt hinzu, dass im intensivpflegerischen Sektor ein exorbitanter Mangel an Intensivpflegefachkräften besteht. Diese Zahlen sind ein alarmierendes Zeichen, dass die Pflegepersonaluntergrenzen zu Einschränkungen bei der Versorgung führen, sagte jüngst Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Dies gelte besonders für die flächendeckende Notfallversorgung der Bevölkerung mit „Hightech-Medizin“ und für die Intensivstationen. Hinzu käme, dass weitere 6% der Kliniken bei Intensivbetten Schließungen planten.
Pandemie und Infektionsschutz am Beispiel respiratorischer Infektionen - Influenza
Bedingt durch die aktuelle Corona-Pandemie werden besonders in Kliniken und Langzeitpflegeeinrichtungen die Hygienekonzepte stetig an neue Kenntnisse und Umstände angepasst (Prävention und Management von COVID-19 in Alten- und Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts für Alten- und Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen und für den öffentlichen Gesundheitsdienst [07.10.2020]). In diesem Herbst und Winter ist es im Besonderen für Risikogruppen und medizinisches Personal wichtig, dass sich dieser Kreis einer Grippeschutzimpfung unterzieht. Siehe dazu auch das aktuelle Poster des Robert Koch-Instituts Berlin im Oktober 2020 (Abb. 1/2). Das Robert Koch-Institut weißt zurecht darauf hin, dass die Wirksamkeit einer Influenza-Impfung keinen absoluten Schutz bieten kann; kann aber aufgrund der Häufigkeit der Influenza viele (schwere) Erkrankungsfälle verhindern. In Deutschland werden selbst bei den aktuell mäßigen Impfquoten schätzungsweise circa 400.000 Influenza-Erkrankungen pro Jahr bei Personen über 60 Jahren verhindert. Das RKI führte eine eigene wissenschaftliche Untersuchung: Weidemann F. et al.: Is the impact of childhood influenza vaccination less than expected: a transmission modelling study. BMC Infectious Diseases (2017) 17: 258, DOI: 10.1186/s12879-017-2344-6 dazu durch.
Eine jährliche Influenza-Impfung wird allen Beschäftigten im Gesundheitswesen empfohlen. Durch die Impfung wird das Risiko, sich mit dem Virus zu infizieren, und es an schutzbedürftige Personen (Patienten) zu übertragen, deutlich reduziert. Das haben eine Vielzahl von Studien gezeigt – siehe hierzu auch Panknin HT: Prävention der Virusgrippe – Warum lässt sich medizinisches Personal so selten impfen? Die Schwester / Der Pfleger 2007, Heft 07/08 und Influenza eine immer noch tödliche Gefahr für die Menschheit. Kinderkrankenschwester (2018) 37: 2; Influenza bei medizinischem Personal: Wie kann die Impfcompliance verbessert werden? MTA Dialog (2014) 15: 2.
Die Compliance der jährlichen Grippeschutzimpfung ist bei Mitarbeitern in Gesundheitseinrichtungen aus nicht rationalen Gründen unzureichend. Eine neue Untersuchung über Einstellung und Überzeugung der saisonalen Influenza-Impfung von Tätigen in einer Pflegeeinrichtung für ältere Erwachsene in der Republik Irland, ging den Charakteristika erneut nach. Während der Grippesaison 2016-2017 haben sich nur 20 der befragten Mitarbeiter einer Influenza-Impfung unterzogen. Mehr als die Hälfte der Tätigen (60%) waren der Überzeugung, dass die Impfung nicht ausreichend schützt. 47% der Mitarbeiter äußerten die Angst, dass sie sich mit dem Impfstoff gar eine Influenza zuziehen würden. Betriebsärzte müssen das Nutzen-Risiko-Verhältnis für die Gesundheitsberufe in dem Kontext Impfcompliance transparenter machen; nur durch Ausräumen von Missverständnissen lässt sich dann auch die Akzeptanz für die jährliche Impfbereitschaft in Risikobereichen erhöhen, wo ein infektionsanfälliges Patientengut versorgt werden muss. Grundsätzlich besteht, bedingt durch die physiologische Immunseneszenz, bei Bewohnern in Pflegeeinrichtungen und auch in Akutkrankenhäusern eine erworbene Disposition für respiratorische und auch andere Infektionen.
Auch Kinder haben ein höheres Risiko für Influenza-Komplikationen. Eine neue Studie in einem Kinderkrankenhaus in der Türkei untersuchte die Impfbereitschaft für die jährliche Grippeimpfung bei den dort Tätigen medizinischen Fachangestellten.
In der Saison 2017–2018 konnte die Grippeschutzimpfung, durch die vorausgegangenen Impfkampagnen in den Vorjahren, signifikant verbessert werden. Die Studie zeigt gleicherweise auch hier, dass durch fachspezifische Informationen über die Wertigkeit der jährlichen Grippeschutzimpfung die Impfbereitschaft bei den Mitarbeitern erreicht werden konnte. Jedes Jahr zu Beginn der Influenza-Saison im September / Oktober wird in der Kinderklinik explizit auf die Influenza-Impfung hingewiesen, dass ein aktueller, kostenloser Impfstoff für alle Mitarbeiter zur Verfügung steht (Oguz MM: Improving influenza vaccination uptake among healthcare workers by on-site influenza vaccination campaign in a tertiary children hospital. Human Vaccines & Immuntherapeutics 2019, VOL. 15, NO. 5, 1060–1065, DOI: https://doi.org/10.1080/21645515.2019.1575164). Die Zusammensetzung der Impfstoffstämme wird auf Empfehlung der WHO jährlich der epidemiologischen Situation angepasst.
Tätige in Gesundheitseinrichtungen müssen vor Infektionen geschützt sein
Vor allem sollte das Gesundheitspersonal gegen Influenza geschützt sein, um nosokomiale Influenza-Ausbreitungen zu vermeiden; eine vollständige Durchimpfung von medizinischem Personal muss erreicht werden. Im Rahmen der „Stop Sepsis, Save Lives“-Initiative wird eine stärkere Umsetzung aller geeigneten Maßnahmen zur Sepsisprävention und Reduzierung der Sepsissterblichkeit gefordert (Wollweber A, Gerlach H, Reinhart K: World Sepsis Day am 13.09.2015. Anästh Intensivmed 2015; 56: 465–66.). Impfungen können zu einer erheblichen Reduzierung der sepsisbedingten Krankheitslast führen. Da eine Sepsis sich aus nahezu jeder akuten Infektion entwickeln kann, lassen sich durch Impfungen von Risikopopulationen gegen Influenza auch Sepsistodesfälle und Antibiotikaresistenzen verhindern.
Durch die COVID-19-Pandemie ergibt sich aktuell eine besondere Situation: Es gilt, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Wenn medizinisches Personal zusätzlich an Influenza erkrankt, kann es zur Unterversorgung in der Patientenversorgung kommen. In diesem Zusammenhang sollte auch an die Pneumokokken-Impfung bei Risikopatienten gedacht werden.
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