Problematik der Antibiotikaresistenzen im klinischen Alltag

Surveillance, Screening
Maria Luise Wimmer-Dahmen
Problematik der Antibiotikaresistenzen im klinischen Alltag
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Die Einführung von Antibiotika zählt zu den bedeutendsten Fortschritten der Medizin im 20. Jahrhundert. Das bekannteste Antibiotikum – das Penicillin – wurde 1928 von Alexander Fleming entdeckt. Seit dieser Entdeckung des Penicillins haben Antibiotika Millionen von Menschen das Leben gerettet.

Aber damals sprach man auch schon von Resistenzen bei nicht korrekter Anwendung. Und heute werden immer mehr Bakterienstämme resistent gegen die verfügbaren Antibiotika.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sterben in Europa jährlich etwa 25.000 Menschen an bakteriellen Infektionen, weil bei ihnen kein Antibiotikum mehr anschlägt. Dieser Beitrag versucht eine Darstellung der Kampagnen in Deutschland, um dieses Problem im medizinischen Alltag in den Griff zu bekommen.

Die größte Herausforderung der modernen Medizin ist einmal die alternde Gesellschaft mit einem großen Anteil an immunsupprimierten Patienten. Daneben bedingen mehr invasive, intensivmedizinische Eingriffe eine erhöhte Zahl behandlungsassoziierter Infektionen (BAI). Das Problem besteht darin, dass durch Selektionsprozesse sowie epidemischer und exogener Übertragungen spezifischer Bakterienklone viele Mikroorganismen gegen viele Antibiotika resistent geworden sind. Diese resistenten Keime sind sogar mittlerweile Teil des Mikrobioms des Patienten geworden und können in der Folge endogene Infektionen auslösen. Nach aktuellen Schätzungen, die das Robert Koch-Institut (RKI) gemeinsam mit Experten aus Berlin und Stockholm ermittelt hat, wurden fünf typische Infektionsarten, zu denen die Wundinfektionen, Harnwegsinfektionen und die Pneumonie zählen, betrachtet. Das Ergebnis: Jährlich treten bundesweit bis zu 600.000 nosokomiale Infektionen auf [1]. Eine weitere Studie von 2016 zeigt, dass es derzeit 2.609.911 neue Infektionen in der EU/EWR gibt [2] und in einer weiteren Studie wurden 426.277 BAI errechnet, die durch multiresistente Erreger (MRE) verursacht werden. Die Todesfälle aufgrund von MRE-bedingten Infektionen in der EU wurden in derselben Arbeit auf 33.110 pro Jahr geschätzt [3].

Hauptziel ist es, neben den unvermeidlichen Infektionen, die bleiben werden, das Auftreten von nicht mehr behandelbaren Mikroorganismen zu verhindern. Daher ist neben der klassischen Infektionsprävention, wie zum Beispiel der Basishygiene, die Resistenzprävention das oberste Ziel. Die Bundesregierung verfolgt schon seit 2008 die „Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie“ (DART), mit dem Ziel „Antibiotikaresistenzen in Deutschland zu erkennen, zu verhüten und besser bekämpfen zu können“. Die „DART 2020“ – im Sinne eines One-Health-Ansatzes – versucht die Eindämmung der Entstehung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen, indem Human- und Veterinärmedizin gleichermaßen angesprochen werden. Ein Erfolg liegt schon einmal darin, dass laut einer Pressemitteilung des Verbraucherschutzministeriums Tierärzte weniger Antibiotika an Nutztiere verwenden. Darin steht, dass 2017 733 Tonnen Antibiotika an Hühner, Schweine und andere landwirtschaftliche Nutztiere verfüttert wurden – im Jahr 2011 waren es noch mehr als 1.700 Tonnen. Gut? Überlegt man, dass 733 Tonnen nicht wirklich wenig sind – die Stahlkonstruktion des Eiffelturms wiegt circa 7.300 Tonnen. Die Tiere haben demnach also in zehn Jahren den kompletten Eiffelturm „gefressen“ – und zwar in Form von Antibiotika.

Wie entstehen denn Antibiotikaresistenzen? Zwei grundsätzliche Wege, auf denen Erreger resistent werden können, sind: einmal durch Übertragung von Resistenzgenen von einem Bakterienstamm zum anderen oder durch Selektionsdruck unter Antibiotikatherapie – vor allem einer ungezielten Therapie. Problematisch ist heute, dass sich auch Resistenzen gegenüber einer Antibiotikaklasse entwickeln, die bislang als Reserveantibiotika eingesetzt wurden. Ursache dieser Entwicklung ist die Ausbildung unterschiedlicher bakterieller Enzyme, die das Antibiotikum außer Kraft setzen und für deren Identifikation modernste molekulare Techniken erforderlich sind.

Darüber hinaus machen uns weitere Resistenzentwicklungen zu schaffen: Mutationen am Bakterium selbst führen dazu, dass bestimmte Antibiotika nicht mehr wirken. Diese Mechanismen, die weder erworben noch von inaktivierten Enzymen abhängen, treten immer häufiger auf. Diese „neuen“ Resistenzen sind schwer zu erkennen, sodass bis auf genetische Ebenen detektiert werden muss, um abzuleiten, welche Therapien für den Patienten sinnvoll sind.

Um im Sinne des One-Health-Ansatzes zu agieren, sind folgende Präventionsziele geeignet: moderne Verfahren zur Bestimmung der Antibiotikaresistenzen im Labor, Screeningmaßnahmen, gezielter Antibiotikaeinsatz und Überwachungsstrategien.

Zur schnellen Identifikation im Labor zählen die klassischen mikrobiologischen Methoden der Resistenzbestimmung mittels Disk-Diffusionsverfahren oder der Bestimmung der MHK (minimale Hemmkonzentration) durch Mikrodilution oder Gradientendiffusionstests. Diese Verfahren sind zeitintensiv und decken nur phänotypische Resistenzphänomene auf. Durch genotypische Verfahren, durch den direkten Nachweis von Resistenzgenen aus einem Kulturisolat oder direkt aus der Patientenprobe, kann Zeit eingespart werden. Diese Nachweismethoden finden Anwendung zum Beispiel zum Nachweis einer Carbapenemase (OXA-48, KPC, NDM etc.) oder ESBL-(CTX-M-1-)Genen in Enterobacterales und nichtfermentierenden Bakterien wie Pseudomonas aeruginosa, von Vancomycinresistenten Enterokokken (VRE) mit Nachweis von vanA- oder vanB-Genen oder bei methicillinresistenter Staphylococcus aureus (MRSA) mit Nachweis von mecA- oder mecC-Genen. In der Tuberkulosediagnostik ist es schon Standard, direkt aus Patientenmaterial Resistenzgene für Rifampicin beziehungsweise Isoniazid mittels PCR-Methode auf Mutationen zu untersuchen. Für all diese aufgeführten Resistenzen stehen molekulare Verfahren wie „Real-Time“-PCR-Systeme (zum Beispiel Gene-Xpert®), isotherme Amplifikation (zum Beispiel Amplex®) oder Panel-PCRs (zum Beispiel Biofire®) zur Verfügung. Erweiterte Entwicklungen in der Sequenzierungstechnologie sind Ganzgenomsequenzierungen, die noch tiefere Einblicke in Resistenzgene und auch Virulenzfaktoren von Mikroorganismen erlauben. Somit kann durch eine rasche und zuverlässige Bestimmung der Antibiotikaresistenz eine effiziente und fokussierte Therapie erfolgen.

Aber wie sieht der Alltag eigentlich aus? Das „gelieferte“ Antibiogramm beziehungsweise der Nachweis von Resistenzgenen wird oft nicht richtig erfasst oder falsch interpretiert, obwohl eine Benachrichtigung durch das Labor und eine zusätzliche Kommentierung auf dem Laborbefund erfolgt. Trotzdem gibt es immer noch mehrere Szenarien, bei denen häufig Antiinfektiva ohne Indikation eingesetzt werden. Dazu gehören die akute Bronchitis, Candida im Trachealsekret oder Stuhl, eine verlängerte perioperative Prophylaxe, eine asymptomatische Bakteriurie oder eine isolierte CRP-Erhöhung ohne klinischen Anhalt einer Infektion.

Um diese Szenarien zu vermeiden, gibt es in den Krankenhäusern sogenannte Antibiotikaexperten, die festlegen, welche Antibiotika bei welchem Krankheitsbild gegeben werden sollen. Dadurch versucht man, dass die Antibiotikaverordnung nicht mehr wahllos, sondern nur bei strenger Indikationsstellung erfolgt und die Auswahl so getroffen wird, dass ein möglichst geringer Selektionsdruck auf die Besiedlungsflora des Menschen ausgeübt wird. Denn es ist wichtig: „Kein Einsatz von Antibiotika ohne Indikation.“ Diese „Antibiotic-Stewardship“-Programme (ABS) haben das Ziel des rationalen und verantwortungsvollen Einsatzes von Antiinfektiva. Diese Programme laufen schon in den Kliniken – aber leider noch nicht im ambulanten Sektor.

Bemühungen einer Kampagne der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein zum Thema Antibiotikaverordnungen zeigen Wirkung: Im ersten Halbjahr 2019 ist die Anzahl der Verordnungen im Vergleich zum Vorjahr um etwa 14 Prozent gesunken [4].

ABS-Programme, Krankenhaushygiene, Antibiotika-Surveillance – gibt es einen Zusammenhang: Ja? Mit einer Verbesserung der Hygiene, Identifikation von Infektionsketten, Übertragungswegen können nosokomiale Infektionen reduziert werden.

Zur Aufdeckung von Übertragungswegen der MRE (multiresistente gramnegative Erreger) zählen vor allem Screeningverfahren, die risikoadaptiert durchgeführt werden. Diese dienen der Aufdeckung einer Besiedlung (Kolonisation) mit einem bestimmten MRE und zur Verhinderung eines unerkannten Ausbruchs, darüber hinaus zur Durchführung einer Dekolonisation vor allem bei einer MRSA-Besiedlung. Außerdem können Patienten bei einer eventuell entstandenen Infektion schneller und gezielter antibiotisch behandelt und schon im Voraus spezielle krankenhaushygienische Maßnahmen durchgeführt werden.

Weitere Umsetzungsstrategien werden im § 23 IfSG angesprochen, wie Aspekte der Surveillance nosokomialer Infektionen, von Erregern mit spezifischen Resistenzen und Multiresistenzen und der Erfassung des Antibiotikaverbrauchs. Dadurch können und werden auch schon Maßnahmen eingeleitet und durch die Dokumentation sinkender oder niedriger Infektionen und Resistenzraten objektiviert. Voraussetzung dafür ist natürlich die sorgfältige Erfassung definierter und für die Infektionssurveillance relevanter Parameter im Klinikalltag. Außerdem – leider heute immer noch – ein Defizit: transparente Kommunikation beim Auftreten von nosokomialen Infektionen, zum Beispiel im Arztbrief.

Unterstützung in der Umsetzung auch dieser gesetzlichen Anforderungen sind die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) sowie Bereitstellung von Vergleichsdaten zur nosokomialen Infektionsrate (KISS), Antibiotikaresistenzen (ARS), Antibiotikaverbrauch (AVS) und Händedesinfektionsmittelverbrauch sowie Blutkulturraten. Unterstützt werden diese durch die Referenzzentren für Surveillance nosokomialer Infektionen, Staphylococcus aureus und Enterokokken, gramnegative Krankheitserreger und Clostridioides (früher Clostridium) difficile.

Leider sind wir noch lange nicht am Ziel. Aber es ist uns schon teilweise erfolgreich gelungen, durch Neuerungen in der Diagnostik mittels der Molekularbiologie Erreger und deren Resistenzdeterminanten rascher zu identifizieren und die Verbreitung von Erregern schneller zu verfolgen und zu analysieren.

Wird all dies auch im klinischen Alltag umgesetzt, sind wir auf dem richtigen Weg. Denn nur durch Zusammenwirken und Festlegung von sogenannten Kernkomponenten in Spezialfächern wird es klappen. Dazu gehören die Klinische Mikrobiologie, die sich mit der Identifizierung und Charakterisierung der Krankheitserreger und deren Resistenztestung befasst; die Hygiene mit dem Hygienemanagement, Surveillance und Prävention nosokomialer Infektion, der technischen Hygiene und Ausbruchsmanagement. Zum Schluss zählt noch die Klinische Infektiologie dazu, die mit der patientennahen Therapie zum Beispiel der Sepsis, Endokarditis, schweren nosokomialen Infektionen ihren Beitrag leistet.

Funktioniert so das Zusammenwirken aller Beteiligten, dann werden die Aufmerksamkeit, das Wissen und die Verantwortung im klinischen Alltag zum Zwecke der Erkennung, der sachgerechten Behandlung und Vermeidung von Infektionen gefördert.

Dr. med. Maria Luise Wimmer-Dahmen
Ärztin für Laboratoriumsmedizin, Krankenhaushygiene, Antibiotic-Stewardship-Expertin
Labor Mönchengladbach
MVZ Dr. Stein + Kollegen GbR

Literatur

1.     Zacher, B, et al.: Application of a new methodology and R package reveals a high burden of health-associates infections (HAI) in Germany compared to the average in the European Union/European Economic Area, 2011 to 2012“. Eurosurveillance 24.46 (2019).
2.     Cassini A, et al.: Burden of six Healthcare-associated infections on European population health estinating incidence-based disability – adjusted life years through a population prevalence-based modelling study. Plas Med.2016; 13 (10).
3.     Cassini A, et al.: Attributable deaths and disability-adjusted life-years caused by infections with antibiotic-resistant bacteria in the EU and the European Economic Area in 2015: a population-level modelling analysis. Lancet Infect Dis 2018.
4.     KVNo Aktuell 3 + 4. 2020.

Entnommen aus MTA Dialog 8/2020

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