Next Generation Sequencing: Optimierte Erregerdiagnostik

Wissenschaftspreis des Stifterverbandes 2024
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Bruchstücke der DNA von Erregern im Blut nachweisen
Mit ihrer Methode können die Forschenden Bruchstücke der DNA von Erregern im Blut nachweisen und diese so identifizieren. © Piotr Banczerowski
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Forscher haben ein neu gedachtes Nachweisprinzip etabliert, mit dem die Erregeridentifikation z.B. bei Sepsis schnell und hochpräzise erfolgen kann. Dies kann entscheidend dazu beitragen, Leben zu retten.

Einer aktuellen Studie zufolge stirbt hierzulande alle sechs Minuten ein Mensch an Sepsis. Laut „Deutschland erkennt Sepsis“ erkranken jährlich in Deutschland mindestens 230.000 Menschen an einer Sepsis. Mehr noch als bei anderen Krankheitsbildern ist der Faktor Zeit für den Behandlungserfolg von entscheidender Bedeutung, um Tot und Behinderung zu verhindern. Forschende des Fraunhofer IGB konnten in Zusammenarbeit mit führenden klinischen Netzwerken und dem Biotechnologieunternehmen Noscendo GmbH ein diagnostisches Verfahren zur Erreger-Identifizierung bei Intensivpatienten etablieren, das eine schnelle und zielgerichtete Behandlung invasiver Infektionen ermöglicht. Für diese Leistung wurden Dr. Kai Sohn, Abteilungsleiter In-vitro-Diagnostik am Fraunhofer IGB, Prof. Dr. Thorsten Brenner vom Universitätsklinikum Essen sowie Dr. Silke Grumaz und Dr. Philip Stevens von der Noscendo GmbH mit dem Wissenschaftspreis des Stifterverbandes 2024 geehrt.

Suche nach Fragmenten der Erbinformation im Blut

Bislang werden Sepsis-Auslöser im Regelfall nach kultureller Anzucht (z.B. in Form der klassischen Blutkultur) mithilfe massenspektrometrischer Verfahren identifiziert. Da die Organismen jedoch nur sehr selten im Blut vorkommen, liefern die Untersuchungen in weniger als 30 Prozent der Fälle ein positives Ergebnis. Und selbst wenn der ursächliche Erreger nachweisbar ist, nimmt sein Wachstum in der angelegten Kultur oft mehr Zeit in Anspruch, als die Erkrankten haben. Die neu gedachte Methode der Fraunhofer-Fachleute orientiert sich am Vorbild erfolgreicher Verbrechensbekämpfung: Da sich die Sepsis-Auslöser selten auf frischer Tat ertappen lassen, untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stattdessen ihre Spuren am Tatort – Fragmente ihrer Erbinformation im Blut. Bis zu 30 Millionen DNA-Bruchstücke einer Blutprobe werden analysiert. Die Forschenden isolieren sie vollautomatisiert und sequenzieren sie im Hochdurchsatz. Finden sich Fragmente nicht humanen Ursprungs, gleichen die Fachleute diese mit einer spezifisch entwickelten Datenbank ab, welche die Genome von Bakterien, Viren, Pilzen und anderen Erregern enthält.

Erfolg bei bis zu 70 Prozent der Untersuchten

Die Forschenden betonen, dass zahlreiche klinische Studien ein hoch zuverlässiges und präzises Verfahren belegen, das dem medizinischen Fachpersonal valide Ergebnisse liefern könne. Bei bis zu 70 Prozent der Untersuchten könne der krankheitsauslösende Erreger bestimmt werden. „Allein in den letzten vier Jahren konnte über 6.000 Patientinnen und Patienten durch unsere Diagnostik geholfen werden“, freut sich bspw. Bioinformatiker Dr. Philip Stevens, CEO und Mitbegründer der Noscendo GmbH. „Die Betroffenen können das Krankenhaus deutlich schneller verlassen und sind weniger Langzeitwirkungen ausgesetzt. Das entlastet auch Krankenhäuser und Krankenkassen.“ Dieser Erfolg sei das Resultat von mehr als zehn Jahren Zusammenarbeit über Fachgebietsgrenzen hinweg. Das eigentliche Verfahren, das in einem dreistufigen Prozess die optimale Vorbereitung der Probe, die Hochdurchsatz-Sequenzierung (Next-Generation Sequencing, NGS) und die bioinformatische Auswertung mittels diagnostischer Algorithmen umfasst und initial am Fraunhofer IGB entwickelt wurde, sei dabei ein zentraler Baustein.

Kliniken können jederzeit Proben einsenden

Unter der Leitung von Prof. Dr. Thorsten Brenner vom Universitätsklinikum Essen wurde der neue Ansatz mit dem bisherigen diagnostischen Standard verglichen und der diagnostische Nutzen durch Gremien bestehend aus unabhängigen Expertinnen und Experten evaluiert. Dr. Silke Grumaz und Dr. Philip Stevens wiederum, die in ihrer Zeit am Fraunhofer IGB jeweils die ersten molekularbiologischen und bioinformatischen Grundlagen des Verfahrens mitentwickelten, realisierten mit der Gründung der Noscendo GmbH die Möglichkeit, dass Kliniken jederzeit Proben einsenden und in kürzester Zeit analysieren lassen können. Dr. Silke Grumaz, Chief Scientific Officer der Noscendo GmbH, sagt: „In der Regel liegt unser Ergebnis innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Blutprobe in unserem Labor vor. Wenn ein Klinikum das Verfahren nicht selbst anwendet, kann die Logistik weitere zwölf Stunden in Anspruch nehmen. Das ist in den meisten Fällen immer noch schneller als jede Blutkultur in der Lage ist, Erkenntnisse zu liefern.“

Verfahren soll ausgeweitet werden

Die Freude über den gemeinsamen Erfolg unterstreicht Dr. Kai Sohn, Abteilungsleiter In-vitro-Diagnostik am Fraunhofer IGB: „Nur durch den Verbund aus Fraunhofer, führenden klinischen Netzwerken und der Noscendo GmbH konnte unser Verfahren etabliert und erfolgreich an die Krankenhausbetten gebracht werden.“ Für die Partner markiert der Wissenschaftspreis keinen Abschluss. „Aktuell wenden wir uns der Kinder-Intensivmedizin zu. Eine zuverlässige und schnelle Diagnostik ist hier umso bedeutsamer, da kleinen Patienten nur geringe Mengen Blut entnommen werden können“, verdeutlicht Klinikleiter Brenner. Die Preisträger wollen ihr Verfahren zudem auf andere Krankheitsbilder übertragen, wie etwa lokalisierte, schwer zu diagnostizierende Infektionen. Darüber hinaus arbeiten die Fachleute daran, die Methode über Blutproben hinaus auch in anderen Sekreten und an Gewebeproben anzuwenden.

Hintergrund: Wissenschaftspreis des Stifterverbandes
Seit über 20 Jahren vergibt der Stifterverband alle zwei Jahre gemeinsam mit der Fraunhofer-Gesellschaft den mit 50 000 Euro dotierten Preis. Dieser zeichnet wissenschaftlich exzellente Verbundprojekte der angewandten Forschung aus, die Fraunhofer-Institute gemeinsam mit der Wirtschaft und/oder anderen Forschungsorganisationen bearbeiten.

Quelle: idw/Fraunhofer

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