Das hat die neue Schätzung des Robert Koch-Instituts ergeben, die im Hinblick auf den Welt-AIDS-Tag am 1.12. veröffentlicht wurde. Der Anteil der Infizierten, die Medikamente gegen das Virus einnehmen und damit in der Regel kaum noch infektiös sind, ist in den vergangenen Jahren gestiegen. „Dieser positive Effekt und die bisherigen Präventionsanstrengungen haben aber bislang nicht ausgereicht, die Zahl der Neuinfektionen zu verringern“, kommentiert Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, die neuen Schätzzahlen. Die Schätzungen sind online auch für alle Bundesländer verfügbar.
Bezogen auf das inländische Infektionsgeschehen sind Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) mit geschätzten 53.800 derzeit lebenden Infizierten nach wie vor die Hauptbetroffenengruppe. Die Zahl der Neuinfektionen bei MSM ist in den letzten 10 Jahren nur ganz leicht zurückgegangen. Nach den Modellierungsergebnissen gibt es derzeit ca. 10.500 auf heterosexuellem Wege in Deutschland mit HIV infizierte Menschen.
Die Zahl der Neuinfektionen steigt in dieser Gruppe eher leicht an, und HIV wird häufiger als in anderen Gruppen erst spät diagnostiziert. Geringeres Risikobewusstsein trägt in dieser Gruppe zu geringerer Testhäufigkeit, niedrigeren Testfrequenzen und späteren HIV-Diagnosen bei. Ärzte sollten daher bei Auftreten von sogenannten HIV-Indikatorerkrankungen (http://hiveurope.eu/Portals/0/Guidance/2012-014_CHIP_losark-Tysk_v2.pdf) auch bei als heterosexuell eingeordneten Patienten vermehrt an die Möglichkeit einer HIV-Infektion denken und einen Test empfehlen.
Eine schnellere und frühere Diagnose
Geschätzte 13.200 der 83.400 Menschen mit HIV/AIDS wissen noch nichts von ihrer Infektion. Eine schnellere und frühere Diagnose von HIV-Infektionen trägt dazu bei, die mit Spätdiagnosen verbundene höhere Sterblichkeit und Behandlungskosten zu verringern; zudem kann sie auch präventive Effekte haben, weil weniger Infektionen unbeabsichtigt weitergegeben werden. Dafür sollten in den Bevölkerungsgruppen mit erhöhtem Infektionsrisiko (MSM und injizierende Drogenkonsumenten) der Anteil der Getesteten und die Frequenz der Testung spürbar gesteigert werden. Barrieren für eine Testung müssen erkannt und abgebaut werden.
Auch die Furcht vor Stigmatisierung spielt eine Rolle, auch wenn in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten bereits einiges erreicht worden ist. Eine aktuelle europäische Vergleichsstudie mit Beteiligung des RKI fand heraus, dass bei Männern, die Sex mit Männern haben, in Ländern mit höheren Levels der Stigmatisierung der Anteil diagnostizierter HIV-Infektionen geringer und das Sexualverhalten riskanter ist.
Die Schätzung der Zahl der HIV-Neuinfektionen erfolgt in jedem Jahr neu. Durch zusätzliche Daten und Informationen sowie durch Anpassung der Methodik können sich die Ergebnisse der Berechnungen von Jahr zu Jahr verändern und liefern jedes Jahr eine aktualisierte Einschätzung des gesamten bisherigen Verlaufs der Epidemie. Die jeweils angegebenen Zahlenwerte können daher nicht direkt mit früher publizierten Schätzungen verglichen werden. Die geschätzten Neuinfektionen sind nicht zu verwechseln mit den beim RKI gemeldeten Neudiagnosen. Da HIV über viele Jahre keine auffälligen Beschwerden verursacht, kann der Infektionszeitpunkt länger zurückliegen.
Entnommen aus MTA Dialog 12/2015
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