Neue Möglichkeiten der Forschung bei Hirnorganoiden

Studie zu neuartigem Mikroelektroden-Array-System
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Menschliches Hirnorganoid
Ein menschliches Hirnorganoid (rot) wuchs ein Jahr lang auf der hängemattenartigen Netzstruktur eines Mesh-MEAs (grün). Das rasterelektronenmikroskopische Bild zeigt, wie das Hirnorganoid die Netzfilamente und Mikroelektroden umwachsen hat. © Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin
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Der Ansatz bietet neue Perspektiven für die Erforschung verschiedener Erkrankungen des Gehirns sowie für die Entwicklung neuer Therapieansätze.

Der Einsatz von Organoiden ist ein vielversprechender Ansatz in der Forschung, auch um die Anzahl der Tierversuche zu verringern. Organoide sind 3-D-Kulturen aus Stammzellen, die die zelluläre Komplexität und Funktionalität menschlicher Organe nachahmen. Sie sollen die Lücke zwischen in-vitro- und in-vivo-Forschung schließen. Auch im Bereich des Gehirns findet solche Forschung statt. Hirnorganoide sind sich selbst organisierende Gewebekulturen, die aus Patientenzell-erzeugten induzierten pluripotenten Stammzellen gezüchtet werden und Gewebestrukturen ausbilden, die in vielerlei Hinsicht dem Gehirn in vivo ähneln. Dies macht Gehirn-Organoide sowohl für die Erforschung der normalen Gehirnentwicklung als auch für die Entstehung von Nervenerkrankungen interessant.

Berührungslose elektrophysiologische Messungen

Neuronale Aktivität, gemessen durch elektrische Signale der Zellen, konnte in den Organoiden bisher jedoch nur unzureichend untersucht werden. Ein Wissenschaftlerteam um Dr. Thomas Rauen vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster hat nun in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Dr. Peter Jones am NMI (Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut der Universität Tübingen) ein neuartiges Mikroelektroden-Array-System (Mesh-MEA) entwickelt, das nicht nur optimale Wachstumsbedingungen für humane Hirnorganoide schafft, sondern auch berührungslose elektrophysiologische Messungen während der gesamten Wachstumsphase ermöglichen soll. Dies eröffne neue Perspektiven für die Erforschung verschiedener Erkrankungen des Gehirns sowie für die Entwicklung neuer Therapieansätze.

Bisherige Systeme haben Grenzen

Nervenzellen kommunizieren über chemische Signale (Neurotransmitter), die in elektrische Signale umgewandelt werden und so die Information von einer Nervenzelle zur nächsten weitergeben. Auch in Hirn-Organoiden kommunizieren die Nervenzellen auf diese Weise miteinander. „Um den Ursachen verschiedener Erkrankungen des Gehirns auf die Spur zu kommen und neue Therapieansätze zu finden, reicht es nicht aus, Nervenzellen unter dem Mikroskop zu betrachten. Man muss auch wissen, wie die Nervenzellen ‚ticken‘ – wie sie miteinander kommunizieren“, sagt Thomas Rauen. Bisherige Systeme, mit denen die Kommunikation zwischen den Nervenzellen in Hirn-Organoiden gemessen wurde, hätten allerdings ihre Grenzen. Denn in den relativ großen Gehirn-Organoiden kämen die Sensoren entweder nicht nah genug an die Nervenzellen heran oder sie zerstörten beim Einstechen Teile des Organoidgewebes.

Neuartiges Mikroelektroden-Array-System

Nun hat das Team von Dr. Thomas Rauen zusammen mit dem Team um Dr. Peter Jones ein neuartiges Mikroelektroden-Array-System (Mesh-MEA) entwickelt, das nicht nur optimale Wachstumsbedingungen für humane Hirn-Organoide schaffen, sondern auch berührungslose elektrophysiologische Messungen während der gesamten Wachstumsphase der Hirn-Organoide ermöglichen soll. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kreierten eine Art „Hängematte“ für die Hirn-Organoide: „Die hängemattenähnliche Netzstruktur stellt 61 Mikroelektroden für die elektrophysiologische Messungen der neuronalen Netzwerkaktivität bereit“, erklärt Dr. Peter Jones das Design.

Hirnorganoide länger als bisher untersuchen

Die aktuelle Studie zeigt, dass sich Hirn-Organoide auf dem neu entwickelten Mesh-MEA bis zu einem Jahr lang kultivieren und elektrophysiologisch untersuchen lassen. „Das ist ein großer Erfolg, weil wir so Hirnorganoide viel länger als bislang untersuchen können. Die normale menschliche Gehirnentwicklung dauert ja sehr lange und auch neurodegenerative Erkrankungen entwickeln sich nur langsam“, so Rauen.

Mikroelektroden mitten im Hirnorganoid

Der Schlüssel des aktuellen Erfolgs liege darin, dass die Hirnorganoide die spinnennetzartige MEA-Netzstruktur umwachsen. Das konnte Dr. Katherina Psathaki vom CellNanOs der Universität Osnabrück mit dem Elektronenmikroskop zeigen. Sie analysierte die Hirnorganoide in ihrer Hängematte ein Jahr nach Beginn der Kultivierung. „Die Aufnahmen zeigen deutlich, dass sich die Hirn-Organoide in dieser Netzstruktur frei hängend entwickeln. So sind sie einerseits optimal mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, und andererseits befinden sich die Mikroelektroden mitten in dem Hirnorganoid“, ergänzt Thomas Rauen. Die Wissenschaftler beobachteten spontane neuronale Aktivität, die von den Mikroelektroden in den Hirnorganoiden aufgezeichnet wurden. „Es gab kontinuierlich wiederkehrende, synchronisierte neuronale Aktivität während der gesamten Aufzeichnungsphase, was auf die Bildung neuronaler Netzwerke hindeutet, wie sie auch in vivo zu beobachten sind“, sagt Thomas Rauen.

Neue Untersuchungen möglich?

Auch wenn Hirnorganoide nicht alle Funktionen des menschlichen Gehirns abbilden können, sind Peter Jones und Thomas Rauen überzeugt, dass die elektrophysiologische Analyse von Hirnorganoiden mit ihrem neu entwickelten Mesh-MEA-System die Simulation spezieller funktioneller Aspekte der menschlichen Hirnentwicklung und ihrer Erkrankungen im Labor erlaubt, deren Untersuchung bisher noch nicht möglich war.

Literatur:
McDonald M, Sebinger D, Brauns L, et al.: A mesh microelectrode array for non-invasive electrophysiology within neural organoids. Biosensors and Bioelectronics, Volume 228, 15 May 2023, 115223, DOI: doi.org/10.1016/j.bios.2023.115223.

Quelle: idw/MPI für molekulare Biomedizin

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