Lauterbach: „Die Zeit ist reif für eine wirkliche Krankenhausreform.“

45. Deutscher Krankenhaustag
System der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) als Vollansatz auf der Kippe
© Messe Düsseldorf / ctillmann
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Das System der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) als Vollansatz hat sich nicht bewährt. Das betonte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei der Eröffnung des 45. Deutschen Krankenhaustages auf der Medizinmesse Medica in Düsseldorf. Die Zeit sei reif für eine wirkliche Krankenhausreform. Doch viele Fragen sind noch offen.

Krankenhäuser müssen Fallpauschalen in Deutschland derzeit als 100 Prozent-Ansatz umsetzen. „Damit sind wir zu weit gegangen“, sagte Lauterbach, der selbst für die Einführung der Fallpauschalen verantwortlich ist. Das DRG-System sei für die Kostenträger zwar gut kontrollierbar, berge aber „hamsterradähnliche Komponenten“, so der Minister. Kliniken, die Gewinne machen wollten, begäben sich in das „Gewinnhamsterrad“, um den Gewinn zu maximieren. Schlecht aufgestellte Kliniken müssten in das Hamsterrad, um „ihr“ Budget zu erwirtschaften. Die Folge: Deutschland habe heute 50 Prozent mehr stationäre Fälle als vergleichbare andere Länder. Auf welchen neuen Säulen das neue System genau stehen soll, verriet Lauterbach nicht.  Er fügte nur an: „Wir werden dazu übergehen, dass die Vorhalteleistung eine ganz andere Bedeutung erfährt.“ Damit sinke der Anreiz, zusätzliche Fälle zu machen. Es gebe auch eine Ökonomie im Krankenhaus jenseits der DRGs.

Keine ehrbaren Verhältnisse

Ökonomische Anreize beeinflussten derzeit das Medizinische nicht nur sehr stark, sondern überdecke es sogar, sagte der Minister. So würden Kinder nicht in Spezialkliniken überwiesen, weil das Haus das Budget benötige. „Das sind natürlich keine ehrbaren Verhältnisse.“  Wichtigstes Reformziel sei daher, die Krankenhäuser aus dem Hamsterrad zu führen und die Rolle der Medizin zu stärken. 

Zentralisierung der Versorgung

Ein Element der Reform soll die stärkere Zentralisierung der Versorgung werden, um die Qualität der Versorgung zu verbessern. Krankenhäuser erbrächten Leistungen, die wirtschaftlich attraktiv seien, aber nicht optimal von ihnen erbracht werden könnten, so Lauterbach. Er verwies auf die Onkologie. Die WIZen-Studie (Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren) habe gezeigt, dass Patienten bei elf Krebserkrankungen höhere Überlebenschancen haben, wenn sie in Zentren versorgt werden.

Stärkere Ambulantisierung und Entbürokratisierung

Als weitere wichtige Elemente der großen Krankenhausreform nannte Lauterbach die verstärkte Ambulantisierung und die Entbürokratisierung. Bei der Krankenhausplanung kündigte er ein Ende der „nicht mehr zeitgemäßen“ Abteilungsplanung an und den Umstieg auf die Arbeit mit Leistungskomplexen. Onkologische Leistungskomplexe seien beispielsweise nicht nur in der Abteilung für Hämatologie und Onkologie zu erbringen, sondern auch in Querschnittsabteilungen oder ganz anderen Abteilungen. All das funktioniere nur deutschlandweit. Auch telemedizinische Aspekte würden künftig eine Rolle spielen, fügte er an.  „Wir müssen das System so weiterentwickeln, dass es moderner wird.“ Dagegen sei es nicht das primäre Ziel, die Ausgaben im stationären Sektor zu senken, betonte Lauterbach.

6 Milliarden Euro für Krankenhäuser, 2 Milliarden für Pflege

Lauterbach präzisierte auf dem Deutschen Krankenhaustag auch die angekündigten Finanzhilfen für Kliniken. Von den acht Milliarden aus dem Hilfsfonds, die für Krankenhäuser und Pflege eingeplant sind, sollen sechs Milliarden an die Krankenhäuser und zwei Milliarden an die stationäre und teilstationäre Pflege gehen. Und er stellte klar: „Kein Krankenhaus muss schließen, wir schulden das den Krankenhäusern. Sie haben uns durch die Pandemie gebracht, wir müssen sie durch die Energiekrise bringen.“ Energie zu sparen sei richtig, aber niemand im Krankenhaus dürfe frieren, kein MRT dürfe ausfallen, weil Strom- und Gaspreise stiegen, so Lauterbach. 

Vorschlag der Experten-Kommission noch im November 

Die von der „Expertenkommission Krankenhaus“ erarbeiteten Vorschläge für eine Reform des Systems der Krankenhausvergütung sollen „in spätestens zwei Wochen“ vorgestellt werden, wie Lauterbach ankündigte. Dann folge auch der Austausch mit den Verbänden. In einem weiteren Schritt ständen Gespräche mit den Bundesländern, den Fraktionen des Deutschen Bundestags und dem Gesundheitsministerium auf dem Programm. „Wir machen das nicht im stillen Kämmerlein“, beteuerte der Minister. 

Furcht der Selbstverwaltung und Verbände

Genau das befürchten aber die Selbstverwaltungsgremien und Verbände. Dr. Michael A. Weber, Präsident des Verbandes leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte (VLK), beklagte, die Regierungskommission rede nicht mit den Ländern, die qua Gesetz zuständig seien und ohne die nichts gehen werde. Zudem würden die zahlreichen konstruktiven Vorschläge der Verbände einfach ignoriert. 

Tagesstationäre Leistungen

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß, sieht die Ausgestaltung der geplanten Einführung tagesstationärer Leistungen kritisch, bei denen Patienten künftig stationär behandelt werden können, ohne im Krankenhaus übernachten zu müssen. Lauterbach entgegnete, durch diese Leistungen ließen sich zahlreiche Nachtdienste vermeiden. Zudem verbessere sich durch sie die Versorgung, weil zum Beispiel Krebspatienten nun die Möglichkeit hätten, während einer stationären Chemotherapie zu Hause zu übernachten. Tagesbehandlungen würden die Bürokratie in den Krankenhäusern erhöhen, hielt Gaß dagegen. 

Hybrid-DRGs

Explizit sprach er den Minister auf die Hybrid-DRGs an. Der Minister hatte deren Einführung kurzfristig in einem Änderungsantrag des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes eingebracht. Gaß betonte, die DKG unterstütze die Hybrid-DRG uneingeschränkt, „weil wir uns davon -  und das ist der Unterschied zum Änderungsantrag -  eine wirkliche strategische Chance versprechen, die deutschen Krankenhäuser auf internationales Niveau zu heben, was die Versorgung von ambulanten Patientinnen und Patienten angeht“, sprich komplexe ambulante Versorgung im Krankenhaus zur Substitution bisher vollstationärer Versorgung. Im Änderungsantrag gehe es jedoch um eine Stärkung des niedergelassenen Sektors. Gaß: „Ist das nicht ein Schnellschuss, den man noch einmal überlegen sollte?“ Es dürfe bei Hybrid-DRGs doch nicht darum gehen, dass eine Behandlung in einem bestimmten Sektor stattfindet, sondern in einem bestimmten Setting – also im Krankenhaus. Nur das helfe, die gewünschten Anreize zu setzen, stärker in diese Bereiche reinzugehen.

Kein Schnellschuss 

Lauterbach entgegnete, Hybrid-DRG einzuführen, sei kein Schnellschuss, da die Debatte darüber bereits seit zehn Jahren geführt werde. Und selbstverständlich gehe es nicht um den ambulanten Sektor, sondern um die ambulante Versorgung und zwar durch beide Sektoren, insbesondere auch durch den Krankenhaussektor. „Wir müssen wegkommen von dem Gedanken der Diskussion der Spieße.“ Das sei absolut tödlich. Es gehe darum, zu überlegen, welche Versorgung man denn anstrebe. 

Offen für Vorschläge 

„Wir können gern darüber reden, welche Versorgungen mit Hybrid-DRGs angegangen werden sollen.“ Er habe sich international informiert. Wenn beispielsweise eine der besten Augenkliniken in den USA (oder sogar weltweit) mit deutlich weniger Betten auskomme als die Kölner Uniklinik, bestehe Handlungsbedarf. „Wir können gerne darüber reden, mit welchen Eingriffen wir anfangen sollen, wir sind offen für Vorschläge.“ Der Präsident des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD), Dr. Josef Düllings, erwiderte, dass zwar seit zehn Jahren über die Hybrid-DRG diskutiert werde, dass deren Ausgestaltung jedoch sehr kurzfristig in das Gesetz aufgenommen worden sei und ohne eine vorherige Debatte mit den Akteuren des Gesundheitswesens. So bleiben rund um das Thema Hybrid-DRGs noch viele Fragen offen.

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