Laut Krebsgesellschaft erkranken pro Jahr etwa 6.100 Männer und 1.800 Frauen an Speiseröhrenkrebs (Ösophaguskarzinom). Das entspreche einem Anteil von drei Prozent aller bösartigen Tumorerkrankungen bei Männern und etwa einem Prozent bei Frauen. Die Gründe sind vielfältig. Der Treffpunkt von Magen und Speiseröhre, die sogenannte gastroösophageale Verbindung, ist eine Region des menschlichen Körpers, der die moderne Lebensweise nicht gut bekommt. Stress, Alkohol, Nikotin und starkes Übergewicht sind häufig Auslöser für krankhafte Veränderungen der Schleimhaut in diesem Gebiet, an deren Ende nicht selten der Speiseröhrenkrebs steht. Ein internationales Forschungsteam hat nun neue Erkenntnisse über die Entwicklung der Zellen, ihre Kommunikation untereinander und ihre Regulation am Übergang der Speiseröhre zum Magen gewonnen. Mit Hilfe von eigens entwickelten Organoiden und mit Techniken, die es ermöglichen, einzelne Zellen zu verfolgen und zu bestimmen, haben sie im Tierversuch die Entwicklung der gastroösophagealen Verbindung vom Embryo bis zum Erwachsenen detailliert nachverfolgen können.
Komplexe Kommunikation auf zellulärer Ebene
Mit der Studie wird die komplexe Kommunikation auf zellulärer Ebene und die spezifischen Wege, die diese Zellen zur Kommunikation nutzen, unter die Lupe genommen. Sie liefern neue Erkenntnisse über die Entwicklung des Magen-Darm-Trakts und haben damit erhebliche Auswirkungen auf das Verständnis, die Vorbeugung und die Behandlung von Magen-Darm-Erkrankungen. Gleichzeitig präsentieren sie neue Ansatzpunkte für die medizinische Forschung und die Entwicklung neuer Therapien. Verantwortlich für diese Studie ist Infektions- und Krebsbiologin Cindrilla Chumduri.
„Hotspot für die Entwicklung von Metaplasien“
„Diese Zusammenarbeit unterstreicht die Bedeutung unterschiedlicher Fachkenntnisse, um unser Verständnis der Biologie des Magen-Darm-Trakts zu verbessern“, sagt Chumduri. Sie selbst verfügt über langjährige Erfahrung in der Forschung mit Organoiden. Unter anderem hat sie mit von ihr entwickelten Mini-Organen untersucht, wie Zellen im Gebärmutterhals entarten und sich zu Krebs verändern – auch dies eine Region, in der unterschiedliche Typen von Schleimhautzellen aufeinanderstoßen. „An der gastroösophagealen Verbindung treffen die Plattenepithelien der Speiseröhre und die säulenförmigen Epithelien des Magens aufeinander“, erklärt Dr. Naveen Kumar Nirchal, einer der Erstautoren den Hintergrund der Studie. Das Gebiet sei als „Hotspot für die Entwicklung von Metaplasien“ bekannt – also für den Ersatz einer Zellart durch eine andere.
Rätsel des Barrett-Ösophagus lösen
Häufig entwickelt sich dort der sogenannte Barrett-Ösophagus, ein Vorläufer des Speiseröhrenkrebs‘, dessen Fallzahlen in den vergangenen vier Jahrzehnten in der westlichen Welt dramatisch zugenommen habe. „Ein Barrett-Ösophagus ist gekennzeichnet durch den Ersatz des ortsansässigen Plattenepithels der Speiseröhre durch andere Zelltypen, die normalerweise in diesem Gewebe nicht vorkommen“, so der Wissenschaftler. Unklar ist bislang jedoch, warum diese Region so anfällig für diesen Prozess ist. Um diese Verwandlung besser verstehen zu können, sei es deshalb zunächst notwendig, den normalen Entwicklungsprozess detailliert zu entschlüsseln – vom Embryo bis zum ausgereiften Erwachsenen. „Nur so ist es möglich, die Gewebeveränderungen zu bestimmen, die das Fortschreiten der Krankheit auslösen, erklärt Dr. Rajendra Kumar Gurumurthy, ein weiterer Beteiligter an der Studie.
Komplexen Entwicklungsprozess beleuchtet
Das scheint jetzt gelungen: Durch den Einsatz einer neuartigen Methodik, die Organoid- und Mausmodelle mit fortschrittlichen Einzelzell-Transkriptom-Analysen über Zeit und Raum kombiniert, hat das Forschungsteam den komplexen Entwicklungsprozess der gastroösophagealen Verbindung beleuchtet. „Wir waren in der Lage, einen nie zuvor gesehenen Einblick in die Entstehung dieser Region vom Embryonalstadium bis zum Erwachsenenalter bei Mäusen zu geben und die komplizierte Zusammensetzung der beteiligten Zellen und deren Entwicklung zu identifizieren“, erklärt Pon Ganish Prakash, ein weiterer an der Studie beteiligter Wissenschaftler. Die Arbeit zeige die ausgeklügelte Kommunikation zwischen verschiedenen Zelltypen innerhalb der gastroösophagealen Verbindung sowie die daran beteiligten Signalwege. „Dieses Verständnis eröffnet neue Wege zur Erforschung von Magen-Darm-Erkrankungen“, ist sich Chumduri sicher. Vor allem die Präzision der Einzelzellanalyse in der Studie öffne neue Türen, um zu verstehen, wie krankhafte Prozesse entstehen, und um innovative Behandlungen zu entwickeln, schreibt das Team in der Studie.
Quelle: idw/JMU Würzburg
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