Demnach gehen die Studienautoren des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa) davon aus, dass ohne die überdurchschnittlichen Krankentage die deutsche Wirtschaft um knapp 0,5 Prozent gewachsen wäre. Somit büßte Deutschland durch den hohen Krankenstand Einkommen in Höhe von 26 Milliarden Euro ein – auch für die Krankenversicherung und an Steuern gingen entsprechend mehrere Milliarden verloren.
Deutschland weit vorne
Während in den USA und Kanada die Statistiken zu den Krankmeldungen bereits während der Akutphase der Pandemie deutliche Ausschläge zeigten, stiegen hierzulande die Krankmeldungen erst im Jahr 2022 merklich an, also mit dem eingeleiteten Ende der Schutzmaßnahmen. Inzwischen liege Deutschland an der Spitze, vor Ländern wie USA, Kanada, Schweden oder Australien, so die Autoren. Schon beim Vergleich der europäischen Daten zur Übersterblichkeit war Deutschland in der Vergangenheit recht weit vorne positioniert.
Allerdings bleibt die Frage im Raum, warum es ausgerechnet in Deutschland so verheerende Ausmaße angenommen hat. Was haben andere europäische und amerikanische Staaten dann besser gemacht? Sicherlich ist der aktuelle Krankenstand ein großes Problem, das die ohnehin prekäre ökonomische Lage weiter verschärft. Doch leider werden die falschen Schlussfolgerungen gezogen. Vielfach werden COVID-19-Infektionen gar nicht mehr erfasst, weil eben nicht mehr getestet wird (selbst bei Verdacht). Es wird dann schnell von Atemwegsinfekten oder einfach „Grippe“ gesprochen. Dass die COVID-19-Infektionen Spuren hinterlassen, ist inzwischen, auch abgesehen von den Long COVID Diskussionen, eindeutig belegt.
Zuletzt wurde eine interessante Studie zum Thema Krankenhausmitarbeiter in BMC Infectious Diseases veröffentlicht. Dort wurden Mitarbeiter im deutschen Gesundheitswesen zu anhaltenden COVID-19-bedingten Symptomen untersucht. Diese waren von März 2020 bis Mai 2021 PCR-positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden. Die Ergebnisse sind erschreckend. Ungefähr die Hälfte der erfassten Mitarbeiter litt über 90 Tage nach einer fast ausschließlich milden akuten COVID-19-Erkrankung unter lang anhaltenden Symptomen. Ein höherer anfänglicher Ct-Wert erhöhte die Chancen, die Symptome zu überwinden. Statistisch signifikant war der Einfluss von Atemnot innerhalb der ersten zehn Tage, ein anfänglicher Ct-Wert unter 30 sowie das Auftreten von Anosmie oder Ageusie innerhalb der ersten zehn Tage für die Ausbildung von Long-COVID-Symptomen.
Neurologische Defizite
Und gleichzeitig gibt es immer mehr Indizien, dass COVID-19/Long COVID auch (nachweisbare) neurologische Defizite verursacht. So wurde gerade erst in einer Veröffentlichung in eClinicalMedicine darauf hingewiesen, dass bei einer Untersuchung, die ebenfalls auch wieder Daten aus Deutschland enthält, bei Patienten mit PCC (post-COVID-19 conditions) eine ausgeprägte kognitive Verlangsamung festgestellt wurde, die sie von gleichaltrigen gesunden Personen unterschied, die zuvor symptomatisch an COVID-19 erkrankt waren, aber kein PCC aufwiesen. Ebenfalls erschreckend: Eine kognitive Verlangsamung war sogar bei einer 30-s-Aufgabe zur Messung der einfachen Reaktionszeit (SRT) erkennbar, wobei Patienten mit PCC etwa 3 Standardabweichungen langsamer auf Reize reagierten als gesunde Kontrollpersonen. Bei 53,5 % der Patienten mit PCC war die Reaktionsgeschwindigkeit langsamer als 2 Standardabweichungen vom Kontrollmittel, was laut Studienautoren auf eine hohe Prävalenz kognitiver Verlangsamung bei PCC hinweist.
Es habe sich gezeigt, dass Komorbiditäten wie Müdigkeit, Depression, Angstzustände, Schlafstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen nicht für das Ausmaß der kognitiven Verlangsamung bei Patienten mit PCC verantwortlich waren. Darüber hinaus korrelierte die kognitive Verlangsamung beim SRT stark mit der schlechten Leistung von Patienten mit PCC beim Zahlen-Vigilanztest (NVT) als Maß der anhaltenden Aufmerksamkeit.
Was diese Ergebnisse z.B. für die Patientenbetreuung, bei der Bedienung von Maschinen, im Straßenverkehr oder in der Luftfahrt u.ä. bedeuten, ist noch völlig unklar. Doch eine solch signifikante Verlangsamung der Reaktionszeiten lässt Schlimmes erahnen. Ein negativer Einfluss in Zeiten des Fachkräftemangels auf die Wirtschaft dürfte ohnehin kaum zu vermeiden sein.
In Großbritannien sind laut Institute for Fiscal Studies bspw. die Gesamtausgaben für Erwerbsunfähigkeit für Erwachsene im erwerbsfähigen Alter (und Kinder) in den letzten drei Jahren um 20 Prozent gestiegen. Und weitere Steigerungen sind schon prognostiziert.
Dauerhafte Re-Infektionen sind nicht die Lösung
In einer Online-Befragung des RWI in Zusammenarbeit mit Long COVID-Deutschland (LCD) wurden die indirekten Kosten von an Post/Long-COVID-Erkrankten erfasst. Sie lagen bei durchschnittlich etwa 22.200 Euro pro Person. Und auch Prof. David Cutler aus Harvard hat für die USA eine aktualisierte Schätzung der Kosten für Long COVID veröffentlicht. Demnach schätzt er die Kosten (nur für die USA) auf die erstaunliche Summe von insgesamt 3,719 Billionen US-Dollar. Pro Kopf wären dies 11.189 Dollar bzw. 17 Prozent des 2019er Bruttoinlandsproduktes. Bei einer aktuellen Abschätzung für Deutschland für das Jahr 2021 beziffert eine Studie den Produktionsverlust durch Long COVID auf 3,4 Mrd. Euro. Allerdings gibt der Studienautor zu bedenken, dass diese Kosten unterschätzt werden, weil die Zeitdauer der Arbeitsunfähigkeit während der Post/Long COVID Situation länger als 12 Wochen sei und der Produktionsverlust auch durch Präsentismus entstehe. Werde dieser Effekt noch mit einbezogen, dann summiere sich der Betrag schon auf 5,9 Mrd. Euro. Nicht berücksichtigt wurden Effekte durch das Fehlen der Arbeitnehmer auf die Kollegen.
Ein „weiter so“ dürfte somit mit erheblichen (volks)wirtschaftlichen Kosten verknüpft sein. Eine Alternative ist gefragt, zumal SARS-CoV-2 bisher keine Anzeichen einer „Ermüdung“ zeigt und weiter mutiert. An sauberer Luft in allen Lebensbereichen wird letztlich kein Weg vorbeiführen, will man die Auswirkungen in Grenzen halten, solange es keine besseren (und breit akzeptierten) Impfstoffe gibt. Ein Vorbild sollte die Verbesserung der Wasserqualität nach den Choleraausbrüchen im 19. Jahrhundert sein.
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