KI-Lösungen in der Mammografie

Interview mit Dominik Günzel
Die Fragen stellte Ludwig Zahn.
Porträtfoto von Dominik Günzel
© privat
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Dominik Günzel ist Senior Business Development Manager für die DACH-Region bei Lunit, einem koreanischen Unternehmen, 
das 2013 gegründet wurde und sich inzwischen voll auf den Einsatz von KI bei der Krebsdiagnose und Behandlung konzentriert. 
Günzel ist gelernter MTR(A) und hat bis 2016 im Johanneshospital Dortmund gearbeitet, bevor er in die Industrie gewechselt ist. 
Im Interview geht er auf die Möglichkeiten des Einsatzes von KI in der Mammografie ein.

Welche spezifischen Herausforderungen in der Brustkrebsfrüherkennung können KI-­Lösungen in der Mammografie aus Ihrer Sicht (besser) adressieren?

Es sind vor allem die sehr dichten Gewebestrukturen, die es erschweren, Mammografie-Aufnahmen zu befunden. Und genau bei diesen Typen von Mammografien hat die KI zum Beispiel von Lunit gezeigt, dass eine deutliche Verbesserung der Früherkennung mithilfe der KI möglich ist. Außerdem fungiert die KI als eine Art Sicherheitsnetz. Sobald die KI eine Auffälligkeit erkennt, kann die befundende Ärztin oder der befundende Arzt diese in den Befundungsprozess mit einbeziehen. Hier wird mittels KI klar die sogenannte „satisfactory of search“ reduziert und kleinere Nebenbefunde, die ansonsten eventuell übersehen worden wären, mitberücksichtigt. Ganz generell ist zu sagen, dass die Verwendung von KI das Niveau der Befundung auf ein neues Level heben kann. Durch die kontinuierlich hohe Qualität der KI wird die Befundung gerade der unauffälligen Mammografien bei gleichbleibender Befundungssicherheit deutlich beschleunigt, was ganz aktuell unserem Nationalen Screening Programm zugutekommt. Denn bei gleichen beziehungsweise eher rückläufigen Ressourcen sollte mit einer Mehrbelastung des Systems von circa 20 Prozent gerechnet werden.

Ganz prinzipiell: Welche regulatorischen Anforderungen müssen KI-Systeme für die Mammografie (in Europa) erfüllen, um in klinischen Umgebungen eingesetzt zu werden?

Die KI-Systeme, die als sogenannte „medical devices“ eingesetzt werden, müssen CE und EU MDR zertifiziert sein.

Wie unterscheidet sich die Genauigkeit von KI-gestützten Mammografie-Analysen im Vergleich zu traditionellen Methoden? Gibt es dazu aktuelle Daten zur Qualität be­ziehungsweise Zuverlässigkeit?

Aktuelle Studien und Validierungen zeigen, dass die KI allein eine sehr hohe, in Zahlen 96-prozentige, Genauigkeit aufweist. Sie ist mindestens gleichzusetzen mit der vorherrschenden Befundungsgenauigkeit. Daher gilt es, die KI in die bestehenden Arbeitsabläufe der Befunder so zu integrieren, dass am Ende das „Dreamteam“ Radiologe/in+ KI die bestmögliche Verbesserung erfährt. Es muss verstanden werden, dass die KI völlig anders auf die Bilddaten schaut als der Mensch; der Mensch jedoch mehr zusätzliche Informationen für die korrekte Interpretation der Bilder zur Verfügung hat. Daher kann eine erfolgreiche Anwendung der KI, die zur verbesserten Befundung für die Patienten führt, nur in einer kooperativen Arbeitsweise zwischen Menschen und Software funktionieren. Aktuelle Studien und Veröffentlichungen zu diesen Themen finden Sie zum Beispiel auf unserer Homepage Lunit.io unter dem Bereich publications.

Welche Arten von KI-Algorithmen werden typischerweise in der Mammografie-Auswertung eingesetzt und warum?

Hier sprechen wir von sogenannten Deep-Learning-Algorithmen, einer Weiterentwicklung des klassischen Machine Learning. Beim sogenannten Deep Learning wird der Algorithmus mit mehreren 100.000 Bilddaten „gefüttert“. Diese Daten werden vorab entsprechend aufbereitet und sind in der Regel mit höchsten Qualitätsansprüchen bezüglich der Aufnahmetechnik als auch der gesicherten Diagnose ausgewählt worden. Bei Lunit muss diese zum Beispiel immer histologisch gesichert sein. In Fachkreisen spricht man hier von der sogenannten „Ground Truth“, die der KI zugrunde liegt, die sich qualitativ unterscheiden kann von KI zu KI. Anhand dieser Datensätze lernt der Algorithmus dann, neue ihm unbekannte Daten zu interpretieren. Dieses Verfahren hat sich als das aktuell Vielversprechendste durch­gesetzt, wenn es darum geht, Bilddaten zu analysieren und die damit verbundenen visuellen Tätigkeiten abzubilden. Was sich allein schon durch die signifikante Verbesserung der heutigen KI im Vergleich zur Anwendung von traditionellen CAD (Computer-Aided-Detection) von vor gut zehn Jahren zeigt. Hier kam lediglich Machine Learning zur Anwendung. Beim Machine Learning war menschliche Interaktion bei der Merkmalsextraktion nötig (zum Beispiel: xyz sind die Merkmale von Krebs). Diese Informationen wurden entsprechend in die Software eingespeist. Dies führte zu vielen falsch positiven Ergebnissen. Beim Deep Learning, da es keine Begrenzung bei der Merkmalsextraktion durch den Menschen gibt und die Software selbstständig lernt, hat sich die Anzahl der falsch positiven Ergebnisse drastisch reduziert.

Welche Rolle könnte die KI künftig bei der Reduzierung von Fehlinterpretationen von Mammografiebildern spielen beziehungsweise wie können KI-Systeme helfen, die Effizienz bei der Analyse von Mammografiebildern zu verbessern?

Es werden diverse Bereiche ineinandergreifen. Zum einen wird KI dazu beitragen, die normalen Befunde, sprich diejenigen ohne Anomalien, sicher, schneller und mit weniger als den heute benötigten Ressourcen aus den Screening-Aufnahmen herauszufiltern. Praktische Beispiele hierfür finden sich schon in anderen Ländern wie zum Beispiel Schweden. Dort hat sich mithilfe von Lunit bereits heute das Screening von der klassischen doppelblinden Befundung hin zu einem Verfahren Radio­loge/-in + KI entwickelt. Die Untersuchungen nach Selektion mit anschließender Doppelbefundung umfassen dann deutlich weniger Fälle. Bemerkenswerterweise ist hierbei nicht nur die Effizienz bezüglich der Befundungszeit, vorheriger Wartezeiten (von bis zu sechs Wochen auf jetzt null), sondern auch die Krebserkennungsrate erhöht sowie die Rückrufrate zum Abklären auffälliger Läsionen verringert worden. Das Ganze gilt jetzt mehr für ein Screening-Set-up, wobei in der kurativen Mammadiagnostik die Vorteile ebenso groß sein werden. Hier werden Ärztinnen und Ärzte zum Beispiel durch unsere KI unterstützt, indem sie sich auf das zuvor bereits erwähnte Sicherheitsnetz verlassen können und mittels unseres Abnormalitätswertes sowie der im Bild eingezeichneten Lokalisation der gefundenen Läsion eine klare und in jeden Arbeitsablauf integrierbare Zweitmeinung erhalten können.

Wie werden KI-Modelle in der Mammografie validiert und welche Leistungsparameter werden verwendet? Welche Datenquellen werden zur Schulung von KI-Modellen für die Mammografie verwendet und wie werden sie gehandhabt, um einen möglichen Bias zu vermeiden?

KI-Modelle werden sowohl intern (vom Hersteller) als auch extern (von unabhängigen Stellen) validiert, um sicherzustellen, dass die KI ordnungsgemäß funktioniert. Während der internen Validierung werden Parameter wie AUROC*, Sensitivität und Spezifität berücksichtigt, um die Leistung der KI bei einem Standard-Schwellenwert zu bewerten. Daneben bietet eine mögliche Individualisierung der Schwellenwerte den Vorteil, die Sensitivität oder Spezifität an die Bedürfnisse der Nutzer anzupassen. Mehrere externe Validierungsstudien wie retrospektive, prospektive, Leser-Studien und randomisierte kontrollierte Studien wurden und werden durchgeführt, um eine robuste Leistung in realen Bedingungen zu gewährleisten. Parameter wie AUROC, Sensitivität, ­Spezifität, Krebsentdeckungsrate, Rückrufrate und Arbeitsentlastung werden dabei berücksichtigt.

Es wird sichergestellt, dass die zur Schulung der KI verwendeten Da­ten von hoher Qualität sind und mitunter aus Millionen von Bildern bestehen, die eine Mischung aus Krebsfällen, gutartigen Biopsien, gutartigen Verlaufsfällen und normalen Fällen umfassen. Wir haben zum Beispiel Daten aus verschiedenen Ländern wie den USA, Großbritannien, Südkorea und sowohl aus öffentlichen als auch privaten Einrichtungen erworben. Um potenzielle Verzerrungen zu vermeiden, stellen wir sicher, dass verschiedene Unterkategorien wie alle Brustdichtetypen, verschiedene Anbieter sowie unterschiedliche Ethnien einbezogen werden. Hier kann ich natürlich nur von der Herangehensweise von Lunit sprechen.

Was würden Sie sagen: Welche Fortschritte sind in Bezug auf die Personalisierung der Brustkrebsdiagnose durch KI-Technologien zu erwarten beziehungsweise möglich?

Insbesondere eine standardisierte Brustdichte-Ermittlung, welche zum Beispiel bei der Lunit MMG KI immer mit dabei ist, kann zu einem zielgerichteteren Screening führen, da die Brustdichte für die Entscheidung der weiterführenden Diagnostik eine nicht unerhebliche Rolle spielt, wie auch in den aktuellen EUSOBI-Guidelines ver­öffentlicht. Aber nicht nur im Screening, auch in der kurativen Mammografie kann die Verwendung von KI-Angeboten zur verbesserten und genaueren Entscheidungsfindung der weiteren notwendigen Diagnostik führen. Ganz zu schweigen von der beschleunigten Information an die Patientinnen und Patienten. Für diese zählt vor allem bei einer noch unklaren Diagnose im Falle von Brustkrebs selbst­verständlich jede Sekunde, während sie auf das Ergebnis warten.

Gibt es ethische Überlegungen, die bei der Implementierung von KI in der Mammografie beachtet werden sollten?

Selbstverständlich, es gilt immer zu beachten, dass die KI ein Tool ist, das die verwendenden Ärzte unterstützt. Mit der richtigen und umsichtigen Verwendung der KI stellen sich ausschließlich Verbesserungen für Ärzte und Patienten ein. Wir stehen am Anfang dieser neuartigen Art zu befunden und müssen hier für den Erfolg aller auch entsprechend zusammenarbeiten. Soll heißen, dass jedes noch so gute KI-Tool aktuell von einem erfahrenen Spezialisten im Bereich der KI-Anwendung überwacht und gegebenenfalls auch überstimmt werden muss. Wir können die Herausforderungen unserer Zeit nur erfolgreich meistern, wenn wir die Innovationen unserer Zeit auch mit der nötigen Weitsicht in die tägliche Anwendung bringen.

Gibt es erste Überlegungen dazu, welche Auswirkungen der Einsatz von KI auf Kosten und Ressourcenverbrauch im Bereich der Mammografie hat?

Wie bereits angesprochen wird KI im Bereich Mammografie dazu führen, dass die Mehrbelastung des Screenings realistisch bewältigt werden kann. Wenn wir es gemeinsam schaffen, repetitive Aufgaben und Normalbefunde der KI mehr oder weniger zu überlassen, können wir Raum schaffen, in dem Ärzte wieder mehr Zeit für die eigentlich wirklich betroffenen Patienten haben. In einer repräsentativen Screening-Population sind glücklicherweise bis zu 80 Prozent der Teilnehmer ohne abklärungsbedürftige Befunde. Welche Menge an möglichen Ressourcen damit freigeschaufelt werden könnte, liegt, denke ich, auf der Hand.

Wie werden Sicherheit und Datenschutz der Patientendaten bei der Implementierung von KI in der Mammografie gewährleistet?

Das handhabt jeder Hersteller letztendlich etwas anders. Natürlich müssen sich alle an die aktuelle Gesetzeslage und Richtlinien halten. Unser System zum Beispiel erfüllt alle GDPR-Anforderungen und kann je nach Kundenwunsch in das hauseigene IT-System, in die kunden­eigene Cloud oder unsere Cloud mit Sitz in Frankfurt integriert werden.

In keinem der Fälle erhält Lunit Zugriff auf patientensensible Daten, da mittels Dicom-Gateway alles, was Lunit mit seinen Algorithmen analysiert, anonymisiert wird. Erst beim nochmaligen Passieren des Gateways zurück werden die Bilddaten mit den KI-Ergebnissen den Patientendaten wieder zugeführt und im PACS entsprechend angezeigt.

Wie beurteilen Sie aus Ihrer bisherigen Erfahrung die Akzeptanz von KI-gestützten Mammografie-Systemen bei den medizinischen Fachkräften/MTR und Patienten?

Ich würde es als generelle Neugierde beschreiben grade in der aktuellen Zeit, wo quasi jeder und jede durch Schlagwörter wie ChatGPT und Gemini schon mal etwas von KI gehört hat. Das Interesse wächst stetig und es gibt sehr gute Anzeichen, dass der wahre Wert bei ­entsprechenden Meinungsbildnern mehr und mehr erkannt und geschätzt wird. Daher sehe ich der gesamten Thematik sehr zuversichtlich entgegen. Das hartnäckige Argument gegen KI, in dem behauptet wird, KI schaffe die Arbeitsplätze ab, war meiner Meinung nach schon immer, zumindest in dem Bereich, über den wir hier reden, haltlos. Das bestätigt sich mehr und mehr bei den potenziellen Anwendern. Die positiven Erlebnisse und Möglichkeiten überwiegen die verständliche, anfängliche Besorgnis und Unsicherheit, ob der Auswirkungen von KI bei der Befundung von Röntgenbildern.

* Area under the receiver operating characteristic

 

Entnommen aus MT im Dialog 8/2024

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