Geplantes GKV-Finanzstabilisierungsgesetz stößt auf massive Kritik

Finanzierungslücken von 19 Milliarden Euro in 2023 drohen
ab
Der GKV-Finanzbedarf ist deutlich höher als von Bundesgesundheitsministerium angenommen.
Der aktuelle Gesetzentwurf ist nach Ansicht der gesetzlichen Krankenkassen völlig ungeeignet, die strukturelle Milliardenlücke der GKV langfristig zu schließen. © Stockfotos-MG, stock.adobe.com
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Der GKV-Finanzbedarf ist deutlich höher als von Bundesgesundheitsministerium angenommen. Das hat das IGES Institut im Auftrag der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK-Gesundheit) berechnet. Die gesetzlichen Krankenkassen fordern eine Überarbeitung des Entwurfs für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG).  

Das IGES Institut beziffert die Finanzlücke 2023 auf 19 Milliarden Euro und rechnet bis 2025 mit einem Anstieg auf mehr als 30 Milliarden Euro. Im Fall eines wirtschaftlichen Einbruchs infolge eines Gasembargos durch Russland würde der Finanzbedarf im kommenden Jahr sogar bereits rund 24 Milliarden Euro betragen. Ursache für die schwierige Finanzlage seien weder die Corona-Krise noch der Ukraine-Krieg. Diese hätten die strukturellen Probleme aber kurzfristig verschärft.

Neuer Anlauf gefordert

Der Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit, Andreas Storm, fordert deshalb, den Entwurf für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) zu überarbeiten. Der AOK-Bundesverband und der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) schließen sich an. Der aktuelle Gesetzentwurf sei völlig ungeeignet, die strukturelle Milliardenlücke der GKV langfristig zu schließen, wie  der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jens Martin Hoyer, bekräftigt. Man begrüße aber die Ankündigung des Bundesgesundheitsministeriums, einen Expertenrat für Finanzierungslösungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) einzusetzen und erwarte, dass der AOK-Bundesverband an den Beratungen des Expertenrates beteiligt werde.

Faire Lastenverteiligung

Uwe Klemens, ehrenamtlicher Verbandsvorsitzender des vdek und Versichertenvertreter, empört sich: „Der Staat weiß sich nur zu helfen, indem er in die Taschen der Beitragszahler greift, um durch den Staat verschuldete Finanzlöcher notdürftig zu stopfen. Nicht einmal die Festlegung der Koalitionäre, die Gesundheitsversorgung der ALG-II-Empfänger kostendeckend zu finanzieren, wird erfüllt. Das sind immerhin 10 Milliarden Euro. Zudem sollte endlich die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 Prozent auf 7 Prozent gesenkt werden. Die vorgestellten Eckpunkte sind ein Offenbarungseid einer kurzsichtigen Politik und ein Generalangriff auf die Sozialen Sicherungssysteme und die Beitragszahler. Hier brauchen wir eine faire Lastenverteilung.“

Kritik an geplantem "Griff in die Rücklagen" 

DAK-Chef Storm, der AOK-Bundesverband und der vdek kritisieren vor allem den  vorgesehenen "Griff in die Rücklagen der Krankenkassen". Dieser hätte zur Folge, dass die Zusatzbeiträge weiter angehoben werden müssten als bislang vorgesehen. Storm rechnete vor: „Anfang dieses Jahres betrugen die Rücklagen der Kassen GKV-weit 9,9 Milliarden Euro. Anfang 2023 werden sie nach der Prognose von IGES 8,3 Milliarden Euro betragen. Schöpft man davon 4 Milliarden Euro ab, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, betragen die Rücklagen nur noch 4,3 Milliarden Euro. Dadurch drohen zahlreiche Kassen unter die Mindestrücklage zu rutschen.“ Diese Reserve ist gesetzlich vorgesehen und muss 20 Prozent einer Monatsausgabe betragen. Dies würde GKV-weit im nächsten Jahr nach IGES-Prognose rund 5 Milliarden Euro ausmachen. Die Mindestrücklage dient dazu, unvorhergesehene Ausgaben abzupuffern. „Dieser Rücklagenabbau destabilisiert das Gesamtsystem“, bilanziert Storm. Es handele sich eher um ein GKV-Destabilisierungsgesetz. „Hinzu kommt, dass eine Unterschreitung der Mindestrücklage zu einer Zeit droht, in der die Kassen hohe Ausgabenrisiken haben.“ 

Deutliche Beitragserhöhung?

Im Entwurf des GKV-FinStG sind Finanzierungsmaßnahmen vorgesehen, mit denen laut IGES ein Finanzierungsbedarf von 13,4 Milliarden Euro im kommenden Jahr gedeckt wäre. Die verbleibende Finanzierungslücke soll durch eine Beitragssatzanhebung gedeckt werden. Diese würde sich auf 0,4 Beitragssatzpunkte belaufen. Dies wäre bereits mehr als von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach in seiner Pressekonferenz zur Vorstellung der Eckpunkte des Gesetzentwurfes mit 0,3 Prozentpunkten angekündigt. Laut IGES-Analyse wächst der Finanzierungsbedarf in den folgenden Jahren jedoch weiter deutlich an. Die vorgesehenen Finanzierungsmaßnahmen decken diesen Finanzierungsbedarf nur zu einem kleinen Teil: etwa 2,7 Milliarden Euro im Jahr 2024 und etwa 1,5 Milliarden Euro im Jahr 2025. Der größere Teil des Finanzbedarfs bleibt ungedeckt. Diese Lücken können nicht erneut größtenteils die Beitragszahler schließen, da die Beitragssteigerungen in den Sozialsystemen – Krankenkassenbeiträge, Pflege und Arbeitslosenversicherung zusammengenommen – bereits im kommenden Jahr an einen Prozentpunkt heranreichen. 

Alternativen Lösungen

Als Alternativen, die eine strukturelle Wirkung entfalten und die GKV-Finanzen langfristig stabilisieren würden, nennen DAK, AOK und die Ersatzkassen 

  • Kostendeckende Beiträge für ALG-II-Beziehende, wie im Koalitionsvertrag vereinbart (ca. 10 Mrd. Euro)
  • Eine Senkung der Mehrwertsteuersenkung auf Arzneimittel, die schon der GKV-Spitzenverband vorgeschlagen hatte (ca. 5 Mrd. Euro)
  • Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze (ca. 6 Mrd Euro)

Quellen: IGES Institut, AOK Bundesverband, vdek, DAK

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