Anhand der finnischen Biodatenbank FinnGen identifizierten die Forschenden zunächst 45 virale Expositionen, wie zum Beispiel eine Virus-induzierte Lungenentzündung oder Enzephalitis, die mit einem erhöhten Risiko für Alzheimer, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Demenz, vaskuläre Demenz, Parkinson und Multiple Sklerose (MS) assoziiert waren. 22 dieser Assoziationen wurden anhand der britischen UK Biobank repliziert, darunter auch die erst kürzlich nachgewiesene Verbindung zwischen dem Epstein-Barr-Virus und Multipler Sklerose [I].
Demenzrisiko
In dieser Studie ergaben sich die häufigsten Assoziationen für eine Demenz, beispielsweise mit viraler Enzephalitis, Influenza oder einer viralen Lungenentzündung. Zudem konnten vier der fünf untersuchten neurodegenerativen Erkrankungen mit einer vorhergehenden schweren Infektion mit Influenzaviren mit und ohne eine einhergehende Lungenentzündung in Verbindung gebracht werden. Laut der Forschenden war das Risiko bei den meisten Paarungen innerhalb eines Jahres vor der Diagnose einer neurodegenerativen Erkrankung am höchsten, bei sechs Paaren wurden jedoch noch signifikante Assoziationen bis zu 15 Jahre vor der Diagnose gefunden.
Limitationen der Analyse
Die Autorinnen und Autoren der Studie weisen auf die zahlreichen Limitationen ihrer Analyse hin, wie etwa, dass ihre Auswertung zwar eine Korrelation, aber keine Kausalität erstellt oder dass der Studienzeitraum nicht über 15 Jahre hinausgeht. Außerdem merken sie an, dass bereits bestehende, jedoch unbemerkte neurodegenerative Erkrankungen zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führen könnten.
Prävention verstärken?
Nichtsdestotrotz sind Virus-induzierte neurodegenerative Erkrankungen, wie etwa MS, die durch eine Epstein-Barr-Virusinfektion verursacht wird, bekannt und auch eine COVID-19-Infektion steht im Zusammenhang mit neurologischen Erkrankungen [II]. Die Verfügbarkeit zugelassener Impfstoffe wie zum Beispiel bei Influenza und Varizella-Zoster (Gürtelrose), könnte laut der Autorinnen und Autoren zur Prävention von Virus-induzierten neurodegenerativen Erkrankungen beitragen.
Unschärfe bemängelt
Prof. Dr. Klemens Ruprecht, Oberarzt an der Klinik und Hochschulambulanz für Neurologie mit Experimenteller Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, bemängelt, dass die Diagnosen sowohl der viralen Erkrankungen als auch der neurodegenerativen Erkrankungen in beiden untersuchten Datenbanken auf Diagnoseschlüsseln beruhen, die für medizinische Abrechnungszwecke erhoben worden waren. Das führe zu einer gewissen Unschärfe.
Fehlende Labortests
Zudem seien die Diagnosen der viralen Erkrankungen nicht systematisch durch Labortests überprüft worden, so dass es in manchen Fällen unklar verbleibe, welche viralen Infekte genau untersucht worden seien, kritisiert Ruprecht. Die Arbeit beschreibe zwar mögliche Zusammenhänge (Assoziationen) bestimmter viraler Erkrankungen mit neurodegenerativen Erkrankungen, erlaube jedoch keine Rückschlüsse, dahingehend, ob diese Zusammenhänge auch ursächlich seien. Ruprecht: „Im Einzelfall könnten die beobachteten Assoziationen zum Beispiel daher rühren, dass nicht eine virale Erkrankung das Risiko für eine neurodegenerative Erkrankung erhöht, sondern Personen mit neurodegenerativen Erkrankungen ein erhöhtes Risiko für virale Infekte haben.“
Nachuntersuchungen indiziert
Weitreichende Schlüsse aus dieser Arbeit zu ziehen, hält Ruprecht deshalb für verfrüht und plädiert für methodisch robuste Nachuntersuchungen. „Erst wenn sich dann für einzelne virale Erreger definitive ursächliche Zusammenhänge mit bestimmten neurodegenerativen Erkrankungen bestätigen lassen sollten, könnte man hieraus mögliche Konsequenzen, zum Beispiel in Form einer Impfung, ziehen.“
Quelle: Science Media Center (SMC)
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