Ein Gen sorgt für Schutz oder Zerstörung

Studie
Kli
Fadenwurm C. elegans
Der nur ein Millimeter große Fadenwurm C. elegans ist dem Menschen genetisch erstaunlich ähnlich. An ihm erforschen Wissenschaftler unter anderem die Ursachen menschlicher Erkrankungen sowie Lebenserwartung und Suchtverhalten. Ralf Baumeister
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Eine Arbeitsgruppe der Universität Freiburg entdeckte eine neue Funktion der weit verbreiteten, aber wenig bekannten ENDOU-Enzymfamilie.

Die Enzymfamilie ENDOU kommt überall vor, und doch ist sie unverstanden. Beim Menschen wird sie mit der Entstehung von Krebs in Verbindung gebracht. Auch RNA-Viren wie SARS-CoV2 enthalten ein Gen, das dem ENDOU entspricht und eine große Rolle bei der Vermehrung des Virus spielt. Bislang wussten Forscherinnen und Forscher allerdings nicht genau, welche Funktion diese Enzyme erfüllen.

Eine Arbeitsgruppe um die Molekulargenetikerin Dr. Wenjing Qi von der Universität Freiburg steuert nun einige Antworten zu dieser Frage bei: In einer Studie in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ beschreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine neu entdeckte Funktion. Demnach könnte das Gen ENDU-2 dafür verantwortlich sein, Tumoren im Körper aus der Distanz auszulösen. Außerdem hat das Team eine widersprüchliche Reaktion beobachtet: Bei Stress kann ENDU-2 sowohl zum Schutz des Organismus als auch zu dessen Zerstörung beitragen.

Der Fadenwurm C. elegans

Die Forschenden untersuchten den Fadenwurm C. elegans, der bei solchen Studien sehr oft zum Einsatz kommt. Mehr als 60 Prozent der Gene ähneln sich bei Wurm und Mensch, darunter auch eines für ENDOU, dort ENDU-2 genannt. Die gängige Theorie der Tumorentstehung geht davon aus, dass Zellen erst dann zu Krebszellen werden, wenn sich in ihren Genen Fehler anreichern. Diese entstehen zum Beispiel durch Strahlen, Chemikalien oder das Altern. Qi zeigte bereits 2017, dass solche Fehler nicht in den Krebszellen selbst auftreten müssen, sondern auch woanders im Körper entstehen können – die Tumoren werden sozusagen ferngezündet. Die Forschenden vermuteten, dass die geschädigten Zellen dazu Signale aussenden, die dann die anderen Gewebe umprogrammieren. Das Signal dazu, ENDU-2, haben sie jetzt entdeckt. „ENDOU und ENDU-2 werden nicht nur gezielt von gestressten Zellen ausgeschleust und im Körper herumgeschickt, sie können auch am Herkunftsort und in den Zielzellen an die Boten-mRNA von sehr vielen Genen binden“, erläutert Qi. Diese Boten-mRNA sind die Arbeitskopien der Gene und werden als Blaupause für die Produktion aller Proteine und Enzyme gebraucht.

Überraschend für die Forscherin war, dass ENDU-2 bei Stress zwei unterschiedliche Funktionen ausführen kann: Am Herkunftsort zerschneidet es die mRNA. Das reduziert den Stoffwechsel und verhindert, dass der sowieso schon gestresste Organismus fehlerhafte neue Proteine herstellt. Am Zielort bleibt die mRNA intakt, und ENDU-2 hilft diesen Zellen zu überleben. Dafür muss es aber genauestens dosiert werden, sonst können daraus Tumoren entstehen.

Unterscheidung zwischen Zerstörung und Schutz

Eine Schlussfolgerung daraus könnte sein, dass der Wurm bei großem Stress gezielt die Embryonen, also seinen Nachwuchs, beschützt. „Auf diese Weise scheint gewährleistet, dass der Organismus immer dann, wenn die Selbstheilungskräfte nicht für Mutter und Kind ausreichen, wenigstens für das Überleben der nächsten Generation sorgt“, mutmaßt Prof. Dr. Ralf Baumeister, der ebenfalls an der Studie beteiligt war und in dessen Abteilung Qi eine Arbeitsgruppe leitet. Die Freiburger Forschenden wissen inzwischen, dass der Verlust von ENDU-2 auch Stammzellen umprogrammieren kann – sie verlieren dann innerhalb weniger Generationen ihre Unsterblichkeit. Im nächsten Schritt will das Team erforschen, welche Bedingungen ENDU-2 dazu veranlassen, zwischen Zerstörung und Schutz zu unterscheiden.

Originalveröffentlichung:

Qi, W., von Gromoff, E.D., Xu, F., Zhao, Q, Yang, W., Pfeifer, W., Maier, W., Long, L., and Baumeister, R. (2021) The secreted endoribonuclease ENDU-2 from the soma protects germline immortality in C. elegans. Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-021-21516-6

Quelle: Uni Freiburg, 24.02.2021

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