Die Kapsel – Aids in der Bundesrepublik

Buchbesprechung
Hardy-Thorsten Panknin
Die Kapsel – Aids in der Bundesrepublik
Die Virusinfektion ist gegenwärtig noch nicht eradizierbar – und damit nicht heilbar.
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Im Suhrkamp Verlag ist im letzten Jahr ein Buch des Journalisten Martin Reichert mit dem Titel „Die Kapsel – Aids in der Bundesrepublik“ erschienen. Reichert ist es mit seinem Werk gelungen, einen historischen Rückblick über die Infektionskrankheit Aids in Deutschland von Beginn der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts zu bieten.

Reichert beschreibt sehr eindrucksvoll Begegnungen mit Betroffenen und Zeitzeugen, zum Beispiel schwulen Männern, die von der Gesellschaft und ihrer eigenen Familie abgekapselt wurden; in dieser Gruppe greift – auch heute noch – bekanntermaßen das HI-Virus am meisten um sich. Auf der Internationalen Aids-Konferenz 1996 wurde berichtet, dass mit der neuen antiretroviralen Kombinations-Therapiemethode der Durchbruch in der Behandlung der HIV-Infektion geschafft sei. Die „highly active antiretroviral therapy“ (HAART), eine Kombinationstherapie aus mindestens drei antiretroviralen Medikamenten unterschiedlicher pharmakologischer Gruppen, kann eine Progression der Erkrankung verlangsamen. Bevor die „combination antiretroviral therapy“ (cART – HAART wurde durch cART ersetzt!) angewendet wurde, hatten die Patienten eine geringere Überlebenschance. Trotz erheblicher Fortschritte in der Therapie der HIV-Infektion aus jüngster Zeit, muss aber betont werden, dass die Virusinfektion gegenwärtig noch nicht eradizierbar – und damit nicht heilbar ist; eine effektive Impfung ist ebenfalls nicht möglich. Mit der Weiterentwicklung therapeutischer Optionen ist es gelungen, die HI-Viruslast dauerhaft unter der Nachweisgrenze zu halten. Jedoch ist die längere Überlebenszeit auch mit Problemen verbunden. Bei keiner anderen Infektionskrankheit – aus jüngster Zeit – hat diese im Leben der Menschen in Form einer um sich greifenden Seuche so gravierende Spuren hinterlassen. Zuvor junge, gesunde Menschen starben innerhalb kurzer Zeit nach Diagnosestellung an Aids; an sogenannten opportunistischen Infektionen: Candidiasis, Herpes simplex, pulmonale Erkrankungen, zum Beispiel Pneumocystis-carinii-Infektion, Mykobakteriosen, Zytomegalie et cetera – je nach Ausprägung des zellulären Immundefektes. Seit drei Jahren kann einer HIV-Infektion durch eine Präexpositionsprophylaxe (PrEP) bei riskanten Sexualpraktiken vorgebeugt werden; das Ende von Aids? Diese Wunschvorstellung wird aktuell sehr kontrovers diskutiert. An Martin Reicherts Werk ist besonders zu loben, dass er die Aspekte Schmerz, Isolation und Stigmatisierung vieler betroffener HIV-Infizierter und Aids-Erkrankter sehr prägnant schildert, die der Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht bewusst sind. Am Ende des Buches stellt der Autor (Jahrgang 1973) die Frage: Warum haben die Älteren nie etwas über die Zeit der Aidskrise erzählt? Er beantwortet sich diese Frage: Weil niemand nachgefragt hat. Da es sich um eine Infektionskrankheit handelt, die bevorzugt homosexuelle Männer betrifft, muss davon ausgegangen werden, dass es die Allgemeinbevölkerung nicht sonderlich interessierte; eine „Schwulenkrankheit“. Als einen weiteren und wichtigen Grund muss auch das mangelnde Interesse an Infektionskrankheiten generell angesehen werden. Auch hierzulande sind Infektionen immer noch für zahlreiche Todesfälle – trotz hervorragendem Gesundheitssystem – verantwortlich, ein Tatbestand, der im öffentlichen Bewusstsein nur wenig Beachtung findet. Das Buch kann allen interessierten Personen, die sich historisch und gegenwärtig über Aids informieren wollen, nur wärmstens empfohlen werden. Als Unterrichtsmedium kann das Buch in allen Schulen ab dem fünften Unterrichtsjahr von Nutzen sein.

Die Kapsel: Aids in der Bundesrepublik. Von: Martin Reichert, gebundene Ausgabe: 271 Seiten, Suhrkamp Verlag, 2018, ISBN 978-3-518-42771-2, Preis: 25 Euro.

Entnommen aus MTA Dialog 3/2019

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