Coronavirus als Dauerthema der Medien provoziert Angst in der Bevölkerung - ein kritischer Gastkommentar

SARS-CoV-2
Hardy-Thorsten Panknin, Prof. Dr. med. Stefan Schröder
Gastkommentar
Gastkommentar zum medialen Umgang mit dem Coronavirus Romolo Tavani, stock.adobe.com
Newsletter­anmeldung

Bleiben Sie auf dem Laufenden. Der MT-Dialog-Newsletter informiert Sie jede Woche kostenfrei über die wichtigsten Branchen-News, aktuelle Themen und die neusten Stellenangebote.


* Pflichtfeld

Nachdem die Weltgesundheitsorganisation den Ausbruch des neuartigen Coronavirus - SARS-CoV-2 - am 12. März 2020 zur Pandemie erklärt hat, berichten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ohne Unterlass mit Extrasendungen über das nationale und auch internationale Geschehen.

Jüngste Formate der Sendeanstalten prognostizieren bereits im Vorfeld düstere Zeiten für Deutschland und Europa nach der Pandemie. In den letzten zwanzig Jahren haben sich zahlreiche digitale Nachrichtenplattformen etabliert. In diesen folgt eine Eilmeldung auf die nächste in dem dafür extra eingerichteten „Coronaticker“. Wie Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihren Presseerklärungen mehrmals betonte: „Deutschland steht in der Corona-Krise vor der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Es hat seither nichts gegeben, bei dem es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.“ Sie appellierte an das Verantwortungsbewusstsein der Menschen im Land: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“

Spätestens nach ihrer Rede dürfte jede Person im Land verstanden haben, dass jeder Einzelne aktuell bedroht ist. Es handelt sich weltweit, also auch in Deutschland, um eine sehr dynamische und ernstzunehmende Situation. Das Ausbreiten des neuen Virus bewirkt große Angst in der Bevölkerung, da es jeden Einzelnen unmittelbar infizieren kann. Trotz der Entwicklung neuester Antiinfektiva und Impfstoffe wird deutlich: Infektionskrankheiten gehören nicht der Vergangenheit an, sondern bedeuten eine Herausforderung - auch in unserer hoch entwickelten Welt. Bei einem Teil der COVID-19 positiven Patienten ist der Krankheitsverlauf schwer, auch mit tödlichem Ausgang. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wurde durch das Robert Koch-Institut (RKI, Stand: 17. März 2020) erst verzögert auf „hoch“ gestuft – trotz Pandemieerklärung der WHO.

Die Gesamtsituation ermöglicht Raum für Gerüchte, Falschinformationen und sogar Verschwörungstheorien: die Evidenz der wissenschaftlichen Erkenntnisse erscheint oft fraglich. Das Bewusstsein der Öffentlichkeit wird wesentlich durch die Massenmedien geprägt, wobei vielfach die nur oberflächlich recherchierte Sensationsmeldung (neue Zahlen von Todesopfern, steigende Fallzahlen, neue und „angeblich wirksame“ Medikamente etc.) über die seriösen Berichte dominiert. Jüngster Beitrag des ARD Magazins „Monitor“ vom 30. April 2020 berichtete über intensivmedizinische Behandlung mit dem provokanten Titel: „Beatmung von COVID-19 Patienten: Spiel mit dem Feuer?“. Laut diesem Bericht mehren sich die Stimmen, dringend von einer invasiven Beatmung abzuraten: die Gefahr von schweren Folgeschäden sei enorm. Dazu stellen die Fach- und Berufsverbände, die die deutsche Intensivmedizin vertreten (DGAI, BDA, DGP, DGIIN, DIVI) fest, dass die nicht-invasive Beatmung und die invasive Beatmung keine Entweder-Oder-Konzepte der intensivmedizinischen Behandlung sind, sondern sich ergänzen. Sie werden - abgestimmt auf den individuellen Patienten und dessen Situation – leitlinienkonform angewendet. Die Versuche einzelner Ärzte, in den Medien Angst vor einer Beatmung zu schüren, führen zu einer unnötigen Verunsicherung der Patienten und können durch die bislang vorliegenden wissenschaftlichen Daten nicht belegt werden.

Der implizite und explizite Vorwurf, dass in Deutschland COVID-19-Patienten zu früh und/oder zu häufig intubiert und dadurch vermehrt sterben würden, ist schlichtweg falsch. Vielmehr zeigen die aus dem Intensivregister der DIVI sowie aus einer Umfrage der DGAI ableitbaren Daten, dass rund 70 Prozent der Intensivpatienten mit COVID-19 die Behandlung auf einer Intensivstation in Deutschland überleben. Warum andere Länder deutlich geringere Überlebensraten melden, kann aus der bestehenden Datenlage heute noch nicht abschließend beantwortet werden. Mögliche Gründe für die besseren Ergebnisse in Deutschland sind - neben einer leitliniengerechten intensivmedizinischen Behandlung - ein gut vorbereitetes und wirksames Gesundheitssystem sowie ein guter Zugang aller Bevölkerungsschichten zu Gesundheitsleistungen. Gleichzeitig sind in anderen Ländern wie Italien und den USA eine Vielzahl von Patienten in kurzer Zeit auf ein - in Summe - deutlich schlechter aufgestelltes Gesundheitssystem getroffen. Hinzu kommt, dass die in der bislang größten US-amerikanischen Studie publizierten und häufig zitierten Zahlen zur Sterblichkeit von intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Patienten fehlerhaft waren und von der Fachzeitschrift mittlerweile korrigiert wurden.

Auswirkungen solcher Berichterstattungen bewirken eine allgemeine Verunsicherung in der extrem emotional angespannten Situation. Angst provozierende Bildreportagen aus besonders betroffenen Pandemieregionen der ganzen Welt dramatisieren die Situation für Deutschland. Ärzte verschiedener Fachrichtungen, besonders Virologen, Wissenschaftler aus anderen Fachbereichen und Politiker sind aktuell in Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und im Privatfernsehen - besonders bei RTL und SAT 1 – gern gesehene Gäste. Ihre unterschiedlichen wissenschaftlichen Standpunkte sind in der Wissenschaft bzw. Virologie sinnvoll und ein notwendiges Vorgehen für den Fortschritt; für die Allgemeinbevölkerung sind sie eher irritierend und kontraproduktiv in der Wirkung. Der medizinische Laie kann diese fachspezifischen Informationen (z.B. beim NDR „Drosten Podcast“), größtenteils nicht einordnen. Die Verhinderung und Eindämmung von Epi- und Pandemien erfordern aber ein Mitwirken der Bevölkerung. Wer das gesundheitsrelevante Verhalten der Bevölkerung beeinflussen möchte, muss mit ihr in der richtigen Sprache kommunizieren und eine wahrheitsgemäße und risikominimierende Informationspolitik betreiben.

Epidemische Infektionskrankheiten haben empfindliche Auswirkungen auf den Alltag der Menschen; dies zeigte sich auch bei der Ebola-Epidemie von 2014-2019. Kontagiöse Infektionskrankheiten vergangener Ausbrüche führten zu teilweise schweren gesellschaftlichen Konflikten. Die Suche nach Schuldigen für den Ausbruch der Krankheit zeigt daher auch bekannte Muster: Die USA beschuldigen China der weltweiten Ausbreitung des neuen SARS-CoV-2 Virus. Der französische Präsident Emmanuel Macron postulierte sogar: „Wir sind im Krieg. Niemand ist immun gegen diese Krankheit. Auch wer keine Symptome hat, kann seine Eltern, Freunde, Großeltern anstecken und damit die Gesundheit seiner Liebsten gefährden.“ Das neue Virus wird in diesem Kontext durch militärisches Vokabular stigmatisiert. Überzeugungen, Einstellungen und Emotionen der Bevölkerung beruhen in erster Linie auf durch Medien vermittelte Informationen. Ein wichtiges Element von Risikobotschaften ist entweder ihr alarmierender oder ihr beruhigender Tenor. Je nachdem, wie Experten, Politiker und Behördenvertreter mit der Bevölkerung kommunizieren, entstehen negative oder positive Überzeugungen, Einstellungen und Emotionen. Diese Aspekte sollten Politiker, Wissenschaftler und besonders die Medien bei ihren Mitteilungen berücksichtigen. Überfüllte Kliniken und extrem angespannte Berufstätige in den Gesundheitseinrichtungen sind im Dauereinsatz und unter großem medienpolitischen Druck. Das Risiko, an einer COVID-19-Infektion zu versterben, kann erst retrospektiv nach Ende der Pandemie für jede einzelne Nation beurteilt werden, die aktuell genannten Zahlen sind nicht vergleichbar aufgrund der unbekannten Bezugsgrößen.

Kritisch betrachtet werden muss die Äußerung des Tübingens Oberbürgermeisters, Boris Palmer, von den „Grünen“ im SAT 1 Frühstückfernsehen: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären, aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankung.“ In der Medizin ist es oft schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, anhand der Anamnese, des klinischen Bildes und durchgeführter Diagnostik initial objektive Aussagen zur Prognose bei einzelnen Patienten zu treffen. Älteren Patienten wird häufig von vornherein eine schlechtere Prognose vorhergesagt, ohne dass dies durch entsprechende Daten bisher objektiviert werden konnte. Eine infauste Prognose manifestiert sich in den meisten Fällen erst nach einer bestimmten Zeitspanne der Intensivüberwachung und -therapie. Von daher muss allen Patienten, unabhängig von ihrem Alter, die gleiche intensivmedizinische Therapie ermöglicht werden. In anderen Ländern, wo bereits viele Infizierte an COVID-19 verstorben sind, fehlte es schlicht an adäquaten Therapieoptionen, wie Respiratoren und Personal. Gegenwärtig ist uns in Deutschland eine „Triage“ erspart geblieben: wer bekommt die rettenden Maßnahmen, wer muss möglicherweise sterben?

Deutschland verfügt über ein gut funktionierendes Gesundheitssystem. Dies zeigt die vorteilhafte Entwicklung der COVID-19-Infektionszahlen. Aktuell stehen die Entscheidungsträger vor der Schwierigkeit, Infektionsschutz und die Lockerung von Einschränkungen abzuwägen. Der Altbundeskanzler Gerhard Schröder hat kürzlich in einem Interview (3. Mai 2020– Der Tagesspiegel) zur Pandemie gesagt: „Wir sind aus historischer Erfahrung und aus guten Gründen beim Lebensschutz und Abwägen von Einschränkungen vorsichtig. Und das sollte auch so bleiben.“  

Hardy-Thorsten Panknin, Berlin

Prof. Dr. med. Stefan Schröder, Düren

Artikel teilen

Online-Angebot der MT im Dialog

Um das Online-Angebot der MT im Dialog uneingeschränkt nutzen zu können, müssen Sie sich einmalig mit Ihrer DVTA-Mitglieds- oder Abonnentennummer registrieren.

Stellen- und Rubrikenmarkt

Möchten Sie eine Anzeige in der MT im Dialog schalten?

Stellenmarkt
Industrieanzeige