Durch ein neues zukunftsorientiertes Versorgungskonzept könnte bundesweit die Zahl fettleibiger Menschen innerhalb von zehn Jahren um mehr als zwei Millionen Betroffene sinken. Langfristig könnten so auch die Krankenhauskosten um mehr als eine Milliarde Euro reduziert werden. Das geht aus dem neuen DAK-Versorgungsreport Adipositas hervor, den das IGES Institut für die Krankenkasse erstellt hat.
16 Millionen Menschen sind in Deutschland adipös. Jeder vierte Erwachsene zwischen 18 und 79 Jahren ist fettleibig – Tendenz steigend. Die Betroffenen haben so starkes Übergewicht, dass sie chronisch krank sind. Der Anteil der Patienten mit extremer Adipositas (BMI über 40) hat sich im Zeitraum 1999 bis 2013 mehr als verdoppelt. Nach Studien gilt Adipositas als Auslöser für mehr als 60 Begleiterkrankungen, darunter Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Depressionen.Bei der DAK-Gesundheit hat sich die Zahl der Magen-OPs bei fettleibigen Menschen in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht.
Auf Grundlage der neuen IGES-Studie schlägt die DAK-Gesundheit ein zukunftsorientiertes Versorgungskonzept bei Adipositas vor, das deutlich mehr Betroffene erreichen würde. Im ersten Schritt könnten pro Jahr 15 Prozent der fettleibigen Menschen profitieren, während bislang nur sechs Prozent erreicht werden. Folge laut Hochrechnung: Zehn Jahre nach der Umstellung wären zwei Millionen Menschen weniger adipös als unter heutiger Versorgung. Nach 20 Jahren würde die Zahl der Betroffenen um eine weitere Million zurückgehen. Auch die Zahl der durch Adipositas bedingten Todesfälle könnte langfristig deutlich gesenkt werden.
Im neuen Versorgungskonzept der DAK-Gesundheit stehen eine möglichst frühe Ansprache von Betroffenen und eine Optimierung der Ernährungstherapie im Zentrum. Für alle Patienten mit einem BMI von über 30 ist eine Erstuntersuchung durch einen ernährungsmedizinisch qualifizierten Arzt vorgesehen. Der Arzt könnte dann im Rahmen einer Basistherapie die optimierte Ernährungstherapie begleiten: Neben dem ärztlichen Erstgespräch gehören drei Folgetermine – ein Termin je Quartal – sowie sechs Termine mit einer Ernährungsfachkraft zum Konzept. Inhalte sind unter anderem individuelle Ernährungsempfehlungen und konkrete Zielvereinbarungen.
„Diese Herangehensweise unter ärztlicher Begleitung gibt es bislang in unserer Regelversorgung nicht“, erklärt Herbert Rebscher, Vorstandschef der DAK Gesundheit. „Untersuchungen zeigen aber, dass sie zu äußerst positiven Ergebnissen führen kann, wenn man frühzeitig ansetzt und am Ball bleibt.“ Der DAK-Vorstandschef fordert ferner, die Ernährungstherapie in Deutschland als Heilmittel zuzulassen, damit Patienten unkompliziert davon profitieren können
Für besonders stark Übergewichtige mit einem BMI ab 40 sieht das Konzept der DAK-Gesundheit neben der Basistherapie auch die Möglichkeit einer chirurgischen Behandlung vor. „Sie muss aber zwingend mit einer systematischen Langzeitbetreuung verknüpft werden“, sagt Matthias Blüher, Leiter der Adipositas Ambulanz für Erwachsene an der Universitätsmedizin Leipzig. Der Experte hat am DAK-Versorgungsreport mitgearbeitet und setzt vor allem auf Nachhaltigkeit: „Ernährungsberatung, Blutuntersuchungen und Rehabilitationssport sollten zu einer optimalen OP-Nachsorge dazugehören.“
Anerkennung als behandlungsbedürftige chronische Erkrankung
Eine wichtige Voraussetzung für eine bessere Versorgung von Menschen mit Adipositas sei darüber hinaus die Anerkennung von Adipositas als behandlungsbedürftig chronische Erkrankung im Sinne der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie der Aufbau von entsprechend qualifizierten Versorgungsstrukturen in Deutschland. „Hausärzte könnten hier eine Lotsenfunktion übernehmen“, so Blüher. Auch müsse die Aufnahme der Adipositas-Therapie in die GKV-Regelversorgung erfolgen und über den Risikostrukturausgleich refinanzierbar sein wie beispielsweise andere chronische Erkrankungen.
Der DAK-Versorgungsreport Adipositas greift auf eine in Deutschland bisher neue Methodik zurück. Sie wurde ursprünglich von der WHO zur Planung und Prioritätensetzung im Gesundheitswesen entwickelt: Komplexe Versorgungsaufgaben werden auf der Grundlage international vorhandener wissenschaftlicher Erkenntnisse daraufhin analysiert, ob mit den eingesetzten Mitteln das Optimale für die Patienten erreicht wird oder ob mit einer Umverteilung der Ressourcen ein Mehr an Gesundheit erzielt werden kann.
Quelle: DAK Gesundheit, 08.11.2016
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