Eine umfangreiche Industrieausstellung ermöglichte das Testen diverser Geräte mit ihren neuen Funktionen sowie den Austausch mit den Herstellern über Praxisfragen zur oft nicht selbsterklärenden Technik insbesondere in der Strahlentherapie.Die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie richtete sich an alle Berufsgruppen, die in der Radioonkologie und Strahlenbiologie zusammenarbeiten, so wie es auch in den Tumorboards geschieht. Dies sind neben den Ärzten aus verschiedenen Disziplinen Medizinphysiker, MTRA, Mitarbeiter aus dem Office-Bereich und aus der Pflege. „Ziele des Kongresses sind die Wissensvermittlung und die Bewertung, also auch die Kommunikation über neue technische Entwicklungen. Viele Dinge müssen erst innerhalb der Bedeutung in einer Therapie bewertet und evaluiert werden“, erklärte Kongresspräsident Prof. Dr. Stefan Höcht, der eine Praxis für Strahlentherapie in Saarlouis betreibt.
„Neuerungen in unserem Fach müssen allen verdeutlicht werden, denn der Innovationsgrad ist in der Berufsgruppe der Ärzte im Vergleich zu anderen Wissenschaftlern bereits recht hoch; doch in unserer Fachgruppe ist dieser herausragend. Das zeigt sich daran, dass bei 1.500 Fachärzten unserer Gesellschaft 3.000 Besucher zum Kongress kommen“, so der Zweite Tagungspräsident Prof. Dr. Jürgen Dunst, Direktor der Klinik für Strahlentherapie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein am Standort Kiel, sichtlich stolz. „Prägende Trends sind die immer stärker werdende Automatisierung, Robotik und Informatik. Die Strahlentherapie profitiert davon enorm, weil die Technik präziser, schneller, schonender und gleichzeitig effektiver wird. Die Entwicklung ist beeindruckend, das hätte ich vor 20 Jahren niemals gedacht ... Ferner ist die Kombination mit anderen Therapieverfahren, beispielsweise mit immunologischen Methoden, ein ganz neuer Trend, in dem sich in den nächsten Jahren innovative Therapiekonzepte entwickeln werden.“
Sehr gut besucht: die MTRA-Sessions auf der DEGRO mit rund 800 MTRA | © M. Bauer
Der enorme Aufschwung der Strahlentherapie beruht neben technischen Innovationen auch auf experimentellen und klinischen Ergebnissen, die Synergien mit anderen Therapieverfahren aufzeigen. So wurde auf der Tagung auch zum Thema Radioimmunologie eine Studie vorgestellt, die aufzeigt, wie die Strahlentherapie die Immuntherapie verstärkt: „Sie erhöht die Wirksamkeit der Checkpoint-Inhibitoren und verbessert die medikamentöse Therapie. Für einen Teil der Bevölkerung mit metastasierenden Tumorerkrankungen bringt dies sensationelle Fortschritte. Hier ergibt sich für die Strahlentherapie möglicherweise ein ganz neues Tätigkeitsfeld, denn Patienten kommen, um eine andere Therapie wirksamer vorzubereiten“, so Prof. Höcht. Als Antikörper wirken Checkpoint-Inhibitoren nicht direkt gegen Krebszellen; sie hemmen vielmehr die Signalwege und geben so der durch Tumoren gebremsten körpereigenen Abwehr die Möglichkeit zurück, den Tumor zu bekämpfen.
Von „medical need“ bis zur Prozessoptimierung: Alle Strahlentherapie-Komponenten in einem geschlossenen System von Varian; die seit Langem erste Lebenszeit verlängernde Therapie des Glioblastoms – auf Basis elektrischer Felder (TTF) – von Novocure; neue medikamentöse Therapien für Kopf-Hals-Tumoren von MSD und Bristol-Myers Squibb; eine arbeitserleichternde digitale Lösung für das Management von patient-reported outcomes von Kaiku Health – diese Beispiele aus der Ausstellung und den Lunch-Symposien deuteten das breite Spektrum spannender Neuerungen der Industrie an.
Das Feedback zum Kongress war sehr positiv – ein starkes abwechslungsreiches Programm und ein gut geeigneter Kongressort trugen zur Zufriedenheit aller bei, so das Fazit der Kongresspräsidenten. Die einzelnen Berufsgruppen, auch die MTRA, gestalteten eigene Programmanteile selbst. „Diese Mischung mit den Veranstaltungspunkten, die für alle sinnvoll sind, macht den Kongress so reizvoll. Denn alle müssen sich klarmachen, was Onkologie wirklich bedeutet: Viele hochspezialisierte Fachleute arbeiten bestmöglich miteinander zum Wohle des Patienten“, bekräftigte Höcht.
In seinem Vortrag befasste sich Prof. Dr. Gerd Gigerenzer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, mit der „Medizin zwischen Big Data und Intuition“. Der Wissenschaftler und Didaktiker erklärte, Big Data funktioniere oft nur in einer „heilen Welt“ mit bekannten Risiken. Mit der Sicht aus der Vergangenheit ließen sich unklare Gegenwart und ungewisse Zukunft nicht schlüssig vorhersagen. Rund 80 Prozent der Mediziner verstehen Statistik und Logarithmen nicht ausreichend, so die Erfahrung Prof. Gigerenzers; neben dem geforderten besseren Verständnis dürfe sich die Berufsgruppe aber ohnehin nicht von Evidenz und Leitlinien gefangennehmen lassen. Intuition – mit Ad-hoc-Entscheidungen aus gesammeltem individuellem Wissen – sei neben Heuristiken mit ihren vereinfachten Entscheidungsbäumen das alltagstaugliche Werkzeug. Gemeinsam liefern sie in der „realen, ungewissen“ Welt oft bessere Ergebnisse. Ein Beispiel hierfür ist laut Prof. Gigerenzer der „Flop“ der Influenza-Epidemie-Vorhersage durch Google. – So bleibt es heute eine große Herausforderung, die „gehypten“ Vorteile von Big-Data-Ansätzen im Gegensatz zur (oder mit) intuitionsbasierten ärztlichen Entscheidung an der Realität zu messen.
Für das MTRA-Programm zeigte sich der Verband der medizinisch-technischen Radiologieassistenten in der Radioonkologie in Deutschland (VMTRO) verantwortlich. Die Vorstandsvorsitzende Birgit Schlömp sieht die Aus- und Weiterbildung der MTRA in der Strahlentherapie als wichtige Ziele des Verbandes, die neben dem Jahreskongress auch an einigen anderen Standorten stattfinden: „Für den VMTRO ist dies die 22. Jahrestagung, unser Programm erstreckt sich über drei Tage. Zentrale Themen in diesem Jahr sind Sarkome und Lymphome.“
Tagungspräsident Prof. Dr. Stefan Höcht | © M. Reiter
„Sehr wichtig ist auch der Erfahrungsaustausch zwischen den Lehr-MTA unseres Faches“, so die stellvertretende Vorstandsvorsitzende Ines Richter. „Dabei geht es zum einen um eine Art Kummerkasten, aber ebenso um neueste Entwicklungen oder auch unsere künftige Nachwuchssituation und -förderung, die uns sehr am Herzen liegen. Wir arbeiten zudem kooperativ mit dem DVTA zusammen. So gibt es einen Programmpunkt mit einer Fragestunde, wie die aktuelle Entwicklung des Berufes in Deutschland aussieht.“
Mitnehmen vom Kongress konnten die MTRA neben den Neuigkeiten in der Technologie auch, wie sie mit den Veränderungen ihres Berufsalltags umgehen. Oft ergibt sich eine Neugestaltung der Arbeitsplätze beziehungsweise einzelner Bereiche durch veränderte Prozesse zwischen allen Beteiligten, also Ärzten, Physikern, MTRA, MFA und Administration/Office. Die MTRA hat je nach Organisation unterschiedliche Aufgabenbereiche, die Hauptaufgabe bleibt jedoch immer die Arbeit im direkten Kontakt mit den Patienten. Mittelfristig müssen MTRA sich vermehrt Kenntnisse an den Bestrahlungsgeräten aneignen und den Arzt vor Ort technisch unterstützen. Viele MTRA helfen, die Ausbildung bekannter zu machen: Sie bieten Schülerpraktika an und sichern so den Nachwuchs. Andere widmen sich verstärkt der Leistungserfassung und Abrechnung – administrativen Aufgaben, bei denen zunehmend die Beteiligung von MTRA gefordert ist.
Eine wichtige Session der Veranstaltung stellte die Hygiene in den Mittelpunkt, die auf den großen diagnostisch beziehungsweise interventionell ausgerichteten Veranstaltungen in der Radiologie oft einen auffällig geringen Stellenwert erhält. In der Strahlentherapie hat sie jedoch eine besondere Bedeutung, da hier schwer kranke, häufig multimorbide und ältere Patienten durch Immundefizite eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen aufweisen. Die spannenden Erkenntnisse lesen Sie in einer der nächsten Ausgaben der MTA Dialog.
Entnommen aus MTA Dialog 7/2017
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