Wandel der Gesundheits- und Krankheitsvorstellungen

Buchbesprechung
Hardy-Thorsten Panknin
Wandel der Gesundheits- und Krankheitsvorstellungen
Ein wichtiges Werk, das besonders allen Tätigen im Gesundheitssektor das gegenwärtige Verständnis von Gesundheit und Krankheit erläutert
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Das Themenfeld Gesundheit ist nur schwer eingrenzbar, denn es wird von widersprüchlichen Erwartungen und Traditionen verzerrt; im Wesentlichen sind es kulturelle Einflüsse.

Gesundheit, so besagt die Definition der Weltgesundheitsorganisation von vor 73 Jahren – nach wie vor aktuell –, sei nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern ein Zustand vollkommenen physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens. Diese Definition ist bis heute höchst umstritten. Gesundheit beruht besonders auf:

  • dem Erfahrungsschatz der klinischen, naturwissenschaftlich fundierten modernen Medizin ebenso wie
  • der Hoffnung der Menschen auf ein gelingendes Leben und
  • dem zwischenmenschlichen Hilferuf, dem Wunsch nach Heil und Heilung, wann immer diese Hoffnung nachhaltig und schmerzhaft erschüttert oder gar zerstört worden ist.

Handbücher, Ratgeber und Nachschlagewerke zum Thema „Gesundheit“ existieren in großer Fülle. Die vorliegende Monografie unter Federführung von Prof. Dr. Elmar Brähler, Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Leipzig, geht der Frage nach, wie und aufgrund welcher Bedingungen sich die Auffassungen von Gesundheit und Krankheit im Laufe der Jahrhunderte sowohl bei Fachleuten als auch bei Laien verändert haben. Der erste Teil dient der Gegenstandsbestimmung:

  • Gesundheit und Krankheit lassen sich wissenschaftstheoretisch und auch philosophisch definieren
  • aus historischer Perspektive wird ein zumindest theoretischer Wechsel von einer pathogenetischen zu einer salutogenetischen Betrachtungsweise erkennbar

Der zweite Teil beschäftigt sich mit impliziten Wertungen, die mit Gesundheit und Krankheit verbunden sind: Krankheit hatte und hat einen moralischen Aspekt („Krankheitsschuld“) und spricht dem Erkrankten ein gewisses Maß an Eigenverantwortung zu. Der dritte Teil gibt einen Überblick über Krankheitsbilder von der Antike bis zur Gegenwart. Wie sich zeigt, hat sich zwar die Natur des Menschen nicht wesentlich verändert, wohl aber das, was in der jeweiligen Epoche als Krankheit definiert wurde. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der „modernen“ Krankheiten, die für unsere Epoche kennzeichnend sind. Ein Beispiel dazu: Der Myokardinfarkt galt in der westdeutschen Nachkriegszeit, in den 50er- und 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts, als Symbol von Leistungsbereitschaft. Wer daran endete, hatte einen Heldentod.

Der vierte Teil zeigt, wie sich dies in der Entwicklung von medizinischen Fachdisziplinen widerspiegelt. Dabei wird im fünften Kapitel eine zunehmende Differenzierung in der Diagnose und Therapie je nach Geschlecht, Alter und kultureller Einbindung deutlich. Im sechsten Teilstück des Buches werden Entwicklungen dargestellt, die einem neuen Verständnis von Gesundheit und Krankheit entsprechen. Dazu zählen beispielsweise die Überwindung des fachspezifischen Denkens im Rahmen von Public Health, die Einbeziehung der Laiensicht, interkulturelle Aspekte, präventive Blickpunkte und der Umgang mit Krankheiten in einer älter werdenden Gesellschaft sowie nicht zuletzt die Forderung, das medizinische Handeln an ethischen Maßstäben auszurichten.

Zusammenfassend, ein wichtiges Werk, das besonders allen Tätigen im Gesundheitssektor das gegenwärtige Verständnis von Gesundheit und Krankheit erläutert: „Es ist dem nicht so, dass die zunehmende Naturbeherrschung die menschliche Zufriedenheit erhöhen würde. Es handelt sich hierbei offenkundig eher um eine negative Korrelation: je mehr Naturbeherrschung, umso geringer die menschliche Zufriedenheit, vermutlich weil wir Menschen trotz immenser Anstrengungen sterblich sind und bleiben. Das verbittert. Die mehr oder weniger unbewusste Hybris in der Moderne, Leid und Tod eliminieren zu können, ist gescheitert. Die Ohnmacht angesichts des Todes ist geblieben. Je mehr wir glauben, das Schicksal besiegen zu können, umso unerbittlicher wird es, umso unerbittlicher erscheint es uns“, so der Herausgeber. Um die Medizin und die Behandlung von Krankheit erheben sich immer mehr die Fragen, die Moral, Wirtschaft und die Zukunft der Wissenschaft ebenso wie die juristische Ausformung des Gesellschaftsvertrags betreffen.

Wandel der Gesundheits- und Krankheitsvorstellungen.
Von: Elmar Brähler, Hans-Wolfgang Hoefert, Christoph Klotter (Hrsg.), Pabst Science Publishers, ISBN: 978–3958532960, Taschenbuch: 30 Euro

Entnommen aus MTA Dialog 11/2021

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