Auch zeigte der ECR einen klaren Trend „für Europa“ auf: Viele Radiologen reisen, vielleicht auch aus Kostengründen, heute nicht mehr nach Chicago zum RSNA, sondern ziehen die Stadt an der Donau vor. Daneben wächst zudem die MTRA-Szene vor Ort: In einem eigenen Bereich mit Kurzvorträgen, Lounge und Ausstellungen von 17 Verbänden unter dem Dach der European Federation of Radiographer Societies (EFRS) standen das Networking und der Austausch mit Kollegen aus anderen Unterdisziplinen im Vordergrund. 28 spannende Sessions und Workshops sowie die Award-Verleihungen für Poster, Paper Abstracts und Student Abstracts stellten so manchen vor die Qual der Wahl, welches Format man besuchen sollte.
Unter den rund 300 Ausstellern im Austria Center präsentierten 25 Lösungen mit künstlicher Intelligenz, das neue „AI Theatre“ brachte Interessierte in Keynotes und Diskussionen zu diesem aktuellen Thema zusammen. Einen weiteren Schwerpunkt legte der Veranstalter, die European Society of Radiology (ESR), auf die Frauen in der Radiologie. Vier eigene wissenschaftliche Sessions, auch zum Thema Leadership, tagten in der „Church“ auf dem Kongressgelände. Dieses neue Highlight musste sogar gestreamt werden, weil die Kirche nicht genügend Platz für die Interessierten bot. So findet der Wechsel in der Medizin in Richtung Feminisierung langsam, aber sicher statt – eine positive Alternative im Vergleich mit der männerdominierten Gesundheits-IT-Branche.
Digitalisierung mit KI als Top-Thema
Der 9. Breast Care Day am Kongressmittwoch stellte ebenfalls ein gut besuchtes Highlight dar. Die neue Digital Experience Hall von Siemens Healthineers lud die Besucher ein, die Digitalisierung praktisch zu erfahren – auch hier mit KI im Zentrum. Eine „handfeste“ Alternative zu den „Powerpoint-Informationen“ boten die Demos im „Maker Space“, einem Unternehmensbereich, der mit 3-D-Druckern, Lasercuttern, Scannern et cetera Mitarbeitern die Möglichkeit bot, eigene Ideen zu entwickeln, Prototypen zu bauen und zu experimentieren. Ferner konnte man sich in der Halle seinen persönlichen digitalen Zwilling ansehen, der Medizinern beispielsweise hilft, kardiologische Interventionen mit Augmented Reality zu planen – und dank „Mixed Reality“ über das Tragen spezieller Brillen sicherer plangemäß durchzuführen. Auch Studenten und Patienten profitieren von der Erlebniserfahrung mit dem digitalen Zwilling, so die Vortragenden. In einer fulminanten Eröffnungszeremonie mit Orchester, Sängern und musizierenden Radiologen präsentierte Prof. Lorenzo E. Derchi seinen Wunsch nach einer stark international und interdisziplinär vernetzten Zukunft in der Radiologie mit Welthits wie „Dreamer“, „Amazing Graze“, „Freedom“, „Fragile“ und „All you need is Love“. In den Messehallen drängten sich die Besucher, und bei frühlingshaftem Wetter nahmen zahlreiche Teilnehmer in den Pausen zwischen den Kongress-Sessions die angenehme Möglichkeit wahr, sich von zweirädrigen Raddroschken über das Gelände und den „Walk of Fame“ kutschieren zu lassen. Auch MTRA lockte der ECR wie immer mit umfangreichen Weiterbildungsmöglichkeiten: Neben dem Besuch bei den Herstellern in den Messehallen zur Information über Geräteupdates beleuchteten zahlreiche Vorträge Neuigkeiten und Trends im Fachgebiet. Bei Siemens Healthineers wurde der Multix Impact beispielsweise für MTRA optimiert. Dieses Röntgengerät, besonders geeignet für kleinere Häuser oder als Zweitgerät, zeigt über ein grünes Farbband an, wenn der Patient in der richtigen Position liegt. Dies erleichtert und beschleunigt die Arbeitsabläufe und minimiert das Risiko der Fehlbedienung. Auch den auf dem RSNA gelaunchten Magnetom Altea konnte man in Wien „ausprobieren“: Er ermöglicht schnellere MRT-Aufnahmen, misst die Atmung und Kopfbewegung des Patienten automatisch mit und ist mit einem Audiosystem ausgestattet, das unter anderem die verbleibende Untersuchungszeit anzeigt. Patienten können Musik hören oder Filme ansehen – statt nur laute Klopfgeräusche. Auch die Kommunikation mit den MTRA wird so während der Untersuchung möglich. Ob man die Neuigkeiten bei GE, Philips und Agfa betrachtete, überall spielt auch die KI vermehrt eine Rolle, zum einen mit verbesserten Bildschirmdarstellungen und größerer Farbtiefe, mit höheren Kontrasten oder neue C-Bogen (gesehen bei Ziehm); letztlich geht es überall um mehr Benutzerfreundlichkeit ... und gesteigerte Effizienz.
Veranstaltungen für MTRA – Highlights Simulation und KI
Dedizierte MTRA-Formate dienten der Vertiefung relevanter Themen. Einen spannenden Schwerpunkt bot die Session zur Simulation in der Ausbildung – „Clinical simulation and its role in radiography education“: Den Vorsitz der Session hatten Laura Oleaga Zufiría aus Barcelona/Spanien und Francis Zarb, Msida/Malta. „Ausgiebig mit Simulation zu üben, bringt eine Verkürzung der Lernkurve, verbessert die Vorbereitung auf den Alltag – man kennt sich besser an den Geräten aus, sobald man mit dem realen Patienten arbeitet“, erläuterten Zufiría und Zarb in Wien.
Beispiele für diese Simulation in der MTRA-Ausbildung hatte der ECR für Ultraschall sowie für CT und interventionelle Radiologie mit haptischen Modellen beziehungsweise Phantomen für das händische Lernen und Üben. Ein großer Vorteil, so Zufiría, bestehe auch darin, dass sich der Umgang mit Hochrisikopatienten trainieren lasse. So lasse sich die Sicherheit der Patienten gewährleisten, die nicht unnötig der Strahlung ausgesetzt werden, fügte Zarb hinzu.
Laura Oleaga Zufiría und Francis Zarb | © M. Bauer/M. Reiter
Wie viele Einrichtungen mit Ausbildungsangeboten setzen heute Simulation ein? Die Anzahl steigt laut dem maltesischen Experten, der eine Umfrage der EFRS in Europa zitierte. Große Unterschiede bestehen jedoch zwischen den Ländern und auch innerhalb der Länder – meist geht es dabei um die Budgetfrage. So verwenden wohl die meisten Universitäten in Spanien Simulation, sagte Zufiría, mit wachsender Durchsetzung über das jeweilige Ausbildungscurriculum hinweg.
Auch in der MTRA-Ausbildung spielt KI eine immer wichtigere Rolle in Richtung der Zukunft. Sie wird zum Thema in der Ausbildung selbst und in der Vorbereitung darauf, dass Geräte und Workflows künftig immer mehr Elemente mit KI-Ansatz beinhalten ... mit Patientensicherheit und Präzision für Qualität als große Vorteile. KI muss einen immer bedeutenderen Platz in der Ausbildung bekommen, so die Forderung der beiden Session-Vorsitzenden.
Umfangreiche Daten sammeln und analysieren – „Kochrezept“ für KI-Anwendungen
KI in der Medizin beruht – vereinfacht ausgedrückt – darauf, Massendaten zu analysieren und diagnostisch-therapeutische Folgerungen individualisiert für den jeweiligen Fall abzuleiten. Auch Bildgebungsstudien möchten Forscher heute verstärkt als Beitrag zu Datenpools heranziehen. Fragen der Ethik, Patienteneinwilligung, IT-Schnittstellen mögen hier Hindernisse darstellen, die es laut Prof. Dr. Marc Dewey, dem Vorsitzenden des ESR-Forschungskomitees, zu überwinden gilt. Dieser Aufwand werde sich lohnen, so Prof. Dewey: Mehr als 400 Bildgebungsstudien wurden laut ESR-Umfrage in Europa in den letzten fünf Jahren durchgeführt. Die meisten der Studienverantwortlichen zeigten sich offen für einen Datenaustausch – für den es bisher aber an einer Plattform mangelte. Die ESR-Initiative Guide-IT will nun eine solche Austauschplattform für Patienten- und Bildgebungsdaten aus Studien bereitstellen. Beteiligte an der Plattform trafen sich in Wien; als nächster Schritt steht das Identifizieren von Finanzierungsmitteln an ... für eine Umsetzung auch über Europa hinaus. Interoperabilität, gegebenenfalls realisiert über ein Open-Source-Tool, wird einen hohen Stellenwert einnehmen.
Solche Studien erlauben auch Analysen und die Durchsetzung einer Vereinheitlichung im Kontext der Varianz in CT-Dosisgaben, betonte auf dem ECR Dr. Rebecca Smith-Bindman, Professorin für Radiologie und Biomedizinische Bildgebung an der University of California in San Francisco. Die allgemeine, „standardisierte“ Verringerung der Dosis innerhalb von Einrichtungen und über Einrichtungen hinweg berge große Vorteile für Patienten, fasste die Expertin die Ergebnisse einer Studie zusammen. Die Studienorganisatoren, die ein Registry für Dosisdaten erstellt haben, arbeiten jetzt an einer groß angelegten Analyse für die US-Behörde Centers for Medicare & Medicaid Services, um Transparenz für Dosis als Qualitätskriterium umzusetzen.
Auch Prof. Dr. Regina Beets-Tan, Chefradiologin am Netherlands Cancer Institute, beschrieb auf dem ECR die enormen Vorteile durch den Einsatz von KI auf Basis solcher zusammengeführter Daten für präzisere Medizin. Künstliche Intelligenz ist somit „der“ Treiber für Innovation, der alle Beteiligten im Fachgebiet betrifft. Neueste Entwicklungen hierzu wird auch wieder der nächste ECR vom 11. bis 15. März 2020 in Wien präsentieren.
Entnommen aus MTA Dialog 5/2019
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