„Wenn wir krank werden, sind wir auf Hilfe angewiesen. Niemand kann sich den Herzschrittmacher selbst einsetzen, das kaputte Bein schienen oder den Wundverband eigenhändig anlegen. Wir brauchen dafür Unterstützung. Durch Ärzte oder Pflegekräfte. Wir möchten liebevoll umsorgt, kompetent behandelt und gepflegt werden.“So beschreiben die Autoren, Prof. Dr. med. Karl H. Beine, Psychiater an der Uni Witten/Herdecke, und die Journalistin Jeanne Turczynski, den Idealzustand. Doch davon ist die Realität oft weit entfernt. Denn immer häufiger werden aus Patienten „Kunden“ und aus Ärzten und Pflegepersonal „Leistungserbringer“.
Und das führt dann zu Unzufriedenheit, einer zunehmenden Resignation und auch zu Behandlungsfehlern. Menschen sterben, weil sie falsche Medikamente oder Therapien erhalten, durch ärztliche Fehleinschätzungen und indem notwendige Pflegemaßnahmen unterlassen werden. Menschen sterben in deutschen Krankenhäusern aber auch, weil Mitarbeiter töten und das nicht nur in Einzelfällen, wie bei Niels H., der zu einer lebenslangen Haft verurteilt wurde, weil er mindestens 36 Menschen getötet haben soll. Beine und sein Team haben mehr als 5.000 Ärzte, Kranken- und Altenpfleger gefragt, ob sie selbst schon einmal aktiv das Leiden von Patienten beendet hätten. 3,4 Prozent der Ärzte, fünf Prozent der Altenpfleger und 1,5 Prozent der Krankenpfleger bejahten diese Frage. Hochgerechnet auf alle Ärzte und Krankenpfleger kamen die Autoren auf 21.000 Patiententötungen. Die Studie löste teilweise scharfe Kritik aus. So sprach der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Thomas Reumann, von einer unverantwortlichen und völlig unseriösen Behauptung. Der Verlag räumte ein, „dass wir hier nicht über 21.000 Mord- und Totschlagsdelikte reden. Darunter werden auch eine unbestimmte Zahl von Tötungen auf Verlangen, Formen von aktiver Sterbehilfe und lebensbeendenden Maßnahmen sein, die der passiven Sterbehilfe zuzuordnen sind.“ Doch trotz des reißerischen Titels und angreifbarer Hochrechnungen ist das Buch zu empfehlen. Auf nachvollziehbare Weise beschreibt es, warum Krankenhausmitarbeiter zunehmend gehetzt, von der Uhr getrieben und vom ökonomischen Druck geleitet sind. Dabei bleibt es nicht nur bei der Aufdeckung von Missständen, es werden auch Lösungsvorschläge unterbreitet. So fordern die Autoren beispielsweise eine bessere Ausbildung im Bereich der Medizin und Pflege. Sie plädieren für eine dauerhafte Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags von Pflegenden und Ärzten und betonen die Bedeutung einer neuen Fehlerkultur. Fazit: Ein provokantes und durchaus lesenswertes Buch.
Tatort Krankenhaus. Wie ein kaputtes System Misshandlungen und Morde an Kranken fördert
Von Karl H. Beine und Jeanne Turczynski, Droemer, 2017, Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-426-27688-4, 19,99 Euro
Entnommen aus MTA Dialog 7/2017
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