Ionisierende Strahlung oder radioaktive Stoffe kommen in der Diagnostik und in der Therapie zum Einsatz. Verknüpft mit einem krankheits- oder organspezifischen Biomolekül machen Radionuklide in der nuklearmedizinischen Diagnostik als Tracer im lebenden Organismus Stoffwechselvorgänge sichtbar. In bildgebenden Systemen ermöglichen sie beispielsweise die Lokalisierung von Tumoren. Labormedizinisch lassen sich mit ihnen niedrig konzentrierte Stoffe auch außerhalb des Körpers nachweisen, etwa in Blutproben. Darüber hinaus nutzt man Radioisotope in höheren Aktivitäten auch therapeutisch zur Behandlung gut- und bösartiger Erkrankungen.
Mit der Entdeckung der Möglichkeit, den Weg von Substanzen durch den lebenden Körper von außen zu verfolgen und damit Informationen zu erhalten, die zuvor keiner anderen Methode zugänglich waren, setzte eine stürmische Entwicklung dieser „Isotopendiagnostik“ ein. Die Verwendung nuklearmedizinischer Techniken hat in den folgenden Jahrzehnten stark zugenommen; sie sind jedoch speziellen diagnostischen Untersuchungen vorbehalten und somit weit weniger verbreitet als die Röntgendiagnostik. Über neueste Entwicklungen insbesondere in der personalisierten Medizin sprach MTA Dialog mit Prof. Dr. Samuel Samnick von der Abteilung für Experimentelle Nuklearmedizin und Radiopharmazie der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Würzburg.
Für welche Indikationen haben sich Radionuklide in Diagnostik und Therapie bewährt?
Gegenwärtig werden Radiopharmaka in der Onkologie, der Neurologie und in der Kardiologie klinisch-wissenschaftlich eingesetzt. Klinisch bewährt hat sich der Einsatz von Radiopharmaka in der Diagnostik, zunehmend auch in der Therapie von Tumorerkrankungen. In der Neurologie sind beispielsweise die Differenzialdiagnostik von Morbus Parkinson und die Alzheimerdiagnostik etabliert. Für die Diagnostik stellt die Hybridbildgebung mit PET/CT das derzeit empfindlichste Verfahren zur Detektion und Verlaufsbeurteilung maligner Tumoren im gesamten Organismus in vivo dar. Die Untersuchungsmethode PET/CT kombiniert die Messmethoden der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) und der Computertomografie (CT). Ebenso hat sich die Radionuklidtherapie vom Schilddrüsenkrebs und von neuroendokrinen Tumoren sowie zunehmend auch vom Prostatakarzinom klinisch etabliert.
Was waren die Nachteile/Fallstricke?
Ein großer Nachteil besteht darin, dass Untersuchungen mit PET/CT relativ teuer sind. Zudem werden einige PET/CT-Untersuchungen in Deutschland nicht beziehungsweise nicht vollständig von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Dies stellt eine finanzielle Belastung für Patienten und PET/CT-Betreiber dar. Wegen der kurzen Halbwertzeit der Radionuklide und aufgrund des technischen und personellen Aufwandes bei der Herstellung von Radiopharmaka stehen einige neuartige PET-Radiopharmaka nur in wenigen Zentren mit einem eigenen Zyklotron und einem GMP-Labor für PET/CT-Untersuchungen zur Verfügung.
Ferner können aufgrund noch fehlender Zulassungen neuartige Radionuklidtherapien nur in Zentren mit einem GMP-Labor zur hausinternen Herstellung von Radiotherapeutika angeboten werden.
Welche neuen Anwendungsgebiete kristallisieren sich heraus – insbesondere im Kontext der personalisierten Medizin?
Drei Anwendungsgebiete sehe ich in diesem Fall:
- Bei der Diagnostik: PET/CT-basierte Diagnostik und Verlaufsbeurteilung maligner Tumoren sowie PET/CT als Teil des Theranostikkonzepts
- PET/CT bei der Alzheimerdiagnostik
- Endoradionuklidtherapie des Prostatakarzinoms, Radiopeptidtherapie neuroendokriner Tumoren, Radioimmuntherapie bei hämatologischen Tumoren.
Im Kontext welcher Gerätekonfigurationen werden diese Anwendungen durchgeführt?
Die Anwendungen finden in der Hybridbildgebung PET/CT und SPECT/CT sowie in geringem Umfang auch im PET/MRT statt. Mit dem PET/CT steht der Nuklearmedizin das derzeit empfindlichste bildgebende Verfahren zur Verfügung, um Tumoren mit hoher Genauigkeit im gesamten Organismus darzustellen. Durch Überlagerung der Bilddaten aus beiden Quellen wird ein Fusionsbild erstellt, bei diesem ergänzen die Informationen aus beiden Verfahren einander hilfreich. Eines der Hauptanwendungsgebiete des PET/CT ist die Onkologie. Damit kann man im Sinne der Früherkennung sogar nur wenige Millimeter große Tumoren entdecken – beispielsweise bei Prostata-, Lungen- und Nebennierenkarzinomen oder bei Lymphomen. Ferner kann die PET/CT-Bildgebung auch die mit der Alzheimererkrankung verbundenen Plaqueablagerungen im Gehirn sowie Entzündungen am Herzmuskel sichtbar machen.
Modernste Hybridgeräte ermöglichen den kombinierten Einsatz der Einzelphotonen-Emissionscomputertomografie (SPECT) oder der Magnetresonanztomografie (MRT) – und heißen entsprechend SPECT/CT oder PET/MRT.
Allen diesen Gerätekombinationen gemeinsam ist die exakte Verknüpfung nuklearmedizinischer Bildgebung. Diese macht die hochempfindlichen Stoffwechselvorgänge sichtbar, hat aber keine gute räumliche Auflösung. Mit radiologischen Verfahren lassen sich die anatomischen Strukturen exakt zuordnen, also krankhafte Befunde zweifelsfrei einem Organ zuweisen.
Wie verbreitet sind diese Anwendungen?
Alle Universitätsklinika und die großen kommunalen Krankenhäuser – also Maximalversorger – verfügen mittlerweile über ein PET/CT und ein SPECT/CT für klinische Routineuntersuchungen. Ebenso sind sie mit einer Therapiestation zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen mit Radionuklid ausgestattet.
PET/MRT hingegen stellen reine Forschungsgeräte dar und werden in der Regel nicht für Routineuntersuchungen eingesetzt. PET/MRT-Geräte stehen mittlerweile in rund zehn Zentren und Forschungseinrichtungen in Deutschland.
Aufgrund des besonderen technischen und personellen Aufwandes werden neue Radionuklidtherapien – zu denen unter anderem die Radiopeptidtherapie neuroendokriner Tumoren und des Prostatakarzinoms gehören – nur in Unikliniken und in großen Krankenhäusern mit einer nuklearmedizinischen Abteilung durchgeführt.
Was sind die Voraussetzungen für die Anwendung?
Die wichtigste Voraussetzung ist natürlich die Existenz einer leistungsfähigen Nuklearmedizin mit Fachärzten für Nuklearmedizin, eine Medizinphysik und eine leistungsfähige Radiochemie mit entsprechenden Laboren zur Herstellung von Radiopharmaka nach gesetzlichen Maßgaben. Aufgrund ihrer kurzen Halbwertzeit und aus Strahlenschutzgründen werden die meisten Radiopharmaka vor Ort unmittelbar vor der Anwendung am Patienten hergestellt.
Wie ist aktuell die Situation bei Herstellung und Distribution?
Die Herstellung von Radiopharmaka unterliegt strengen gesetzlichen Bestimmungen – unter relativ hohem technischen Aufwand. Deshalb besitzen nur sehr wenige Universitätsklinika eine eigene Zulassung für ein Radiopharmakon. Gegenwärtig gibt es lediglich Zulassungen für F-18-Fluordeoxyglukose (FDG) und F-18-DOPA. FDG ist relativ gut verfügbar. Die Verfügbarkeit/Distribution weiterer wichtiger Radiopharmaka wie 68Ga- oder F-18-PSMA, 68Ga-DOTATATE, F-18-FET und aller C-11-Radiopharmaka bleiben einigen Zentren mit eigenem Zyklotron und einer Radiochemie vorbehalten.
Iod-131 ist als zugelassenes Radionuklid für die Therapie benigner und maligner Schilddrüsenerkrankungen seit 25 Jahren bekannt und gut verfügbar. Gegenwärtig stellt eher die Herstellung und die Verfügbarkeit weiterer innovativer Radiotherapeutika ein Problem dar. 177Lu-DOTATATE (Luthatera®) wurde gerade von einer Pharmafirma für die Radionuklidtherapie neuroendokriner Tumoren zugelassen. Allerdings sind die Anschaffungskosten für dieses einzige zugelassene Radiotherapeutikum im Vergleich zu einer eigenen Herstellung noch sehr hoch, was die Durchführung dieser wichtigen Therapie erheblich erschwert.
Woran wird derzeit geforscht?
Derzeit wird sowohl an innovativen Radiopharmaka zur Diagnostik und Therapie, also Theranostika, insbesondere des Prostatakarzinoms und hämatologischer Tumoren geforscht. Daneben arbeiten Forscher an der Entwicklung und Etablierung neuer Radiopharmaka zur Therapiebeurteilung. Auch die Verbesserung von Radiomarkierungstechniken und die Etablierung der Hybridbildgebung in der Neurologie und bei Entzündungsprozessen, insbesondere in der Kardiologie und Neurologie, stehen aktuell an.
Was sollten MTA über diese aktuellen Entwicklungen wissen? Wie muss sich ihr Workflow anpassen?
Die Nuklearmedizin ist ohne MTA nicht vorstellbar. Diese wichtige Berufsgruppe sollte mit dieser Entwicklung selbstverständlich mitgehen. MTA müssen heute sowohl mit der modernen Hybridbildgebung, PET- und SPECT/CT, als auch mit der Bildverarbeitung und Digitalisierung umgehen können.
Da MTA täglich mit Radioaktivität und Röntgenstrahlung konfrontiert werden, sollten sie ein fundiertes Wissen im Strahlenschutz und in der Radiochemie beziehungsweise Radiopharmazie besitzen, um sich selbst, die Patienten und die Umwelt besser schützen zu können. Dieses Wissen soll im Rahmen interner und externer Fortbildungen stets erweitert werden. Die „Patientenempathie“ einer MTA, gepaart mit einem überdurchschnittlichen technischen Verständnis, ist und bleibt eine herausragende Eigenschaft für diesen Beruf.
Entnommen aus MTA Dialog 7/2020
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