Leukämien bedeuten krankhafte Veränderungen im blutbildenden System des Körpers. Bei der akuten myeloischen Leukämie ist speziell das Knochenmark (griechisch: myelos) betroffen. Im gesunden Körper bilden sich aus Stammzellen und sogenannten Vorläuferzellen im Knochenmark verschiedene Blutzellen, die unterschiedliche Funktionen im Blut wahrnehmen.
Infolge einer Genmutation kann es vorkommen, dass sich die Stamm- und Vorläuferzellen verändern und zu Leukämie-auslösenden Zellen werden (Leukemia Initiating Cells, LICs). Wie die gesunden Vorläuferzellen vermehren sich die LICs im Knochenmark. Durch die genetischen Veränderungen bleiben sie aber funktionslos und können sich nicht in reife Blutzellen entwickeln, was letztlich zur Verdrängung der gesunden Blutbildung im Knochenmark und den Beschwerden einer Leukämie führt.
Zu den häufigsten genetischen Veränderungen bei myeloischen Leukämien zählen Mutationen im FLT3-Gen. Ein Team um Philipp Jost von der III. Medizinischen Klinik am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München hat jetzt herausgefunden, dass in den Auswirkungen dieses Gens auf die krankhaft veränderten Zellen gewissermaßen ein Hinweis darauf liegt, wie man die Krankheit behandeln könnte. Durch die Mutation ist das FLT3-Gen dauerhaft aktiviert. Wie die Wissenschaftler zeigen konnten, löst dies entzündungsartige Reize in der Zelle aus. Diese steht dadurch gewissermaßen ständig unter Stress.
Vermehrung trotz Dauerstress
Normalerweise würde solch ein dauerhafter Entzündungsreiz ein Programm auslösen, das dafür sorgt, dass beschädigte Zellen ersetzt werden: den programmierten Zelltod. Dieser ist eine Art Selbstzerstörungsmechanismus, mit dem die Zelle ihr eigenes Ende koordiniert einleitet. Den Platz der zerstörten Zelle kann dann eine gesunde einnehmen. „LICs gelingt es aber, trotz der Inflammation und Schädigung zu wachsen und sich zu vermehren", sagt Philipp Jost. „In unserer Studie haben wir die molekularen Ursachen für diese Widerstandsfähigkeit näher untersucht.“
Um das Forschungsprojekt zu begreifen, das die TUM-Wissenschaftler in dem Fachmagazin „Cancer Cell“ beschreiben, ist es wichtig zu verstehen, dass Zellen verschiedene Wege haben, sich selbst zu zerstören. Bislang wurde meist ein Prozess namens Apoptose untersucht, wenn es darum ging, herauszufinden, warum Krebszellen länger überleben, als sie sollten.
Die Tatsache, dass es in LICs zu Entzündungsprozessen kommt, brachte Philipp Jost und seine Kolleginnen und Kollegen jedoch auf eine andere Fährte. Ein weiterer Weg, auf dem der Zelltod eingeleitet werden kann, ist die sogenannte Nekroptose. Während bei der Apoptose eine Zelle koordiniert zusammenschrumpft, kommt es bei der Nekroptose zu einer plötzlichen Zerstörung, die den Inhalt der sterbenden Zelle und viele Botenstoffe freisetzt. Dadurch wird im Umfeld der Zelle ein starker Entzündungsreiz hervorgerufen.
Aggressive Krebszellen unterdrücken Protein-Aktivierung
Ausgelöst wird die Nekroptose, wenn es zur Aktivierung eines Proteins namens RIPK3 kommt, das dann Prozesse in der Zelle in Gang setzt, die den Zelltod auslösen. Anhand von Zellkulturen stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest, dass die Leukämie einen besonders schweren Verlauf nimmt, sobald man RIPK3 in den LICs blockiert. Die Krebszellen überlebten dann besonders lange, teilten sich stark und bildeten sich zu funktionslosen Blutkörperchen (Blasten) um. „Daraus schließen wir, dass es besonders aggressiven Krebszellen gelingt, RIPK3 zu blockieren“, sagt Ulrike Höckendorf, Erstautorin der Studie. „Wie genau sie das bewerkstelligen, muss jedoch noch untersucht werden.“
Führt man in einer LIC Zelltod durch Nekroptose herbei, hat das Auswirkungen, die auch die benachbarten Leukämiezellen betreffen. Die Entzündungsreize, die von den Stoffen, die bei einer Nekroptose freigesetzt werden, ausgelöst werden, sind deutlich stärker als die Prozesse, die in einer LIC durch die Mutation im FLT3-Gen, hervorgerufen werden. Diese Entzündung hat positive Auswirkungen auf das Umfeld der Zelle: Die benachbarten Leukämiezellen beginnen, von den Botenstoffen angeregt, ähnlich wie gesunde Zellen zu reifen, was dazu führt, dass die Leukämie weniger aggressiv verläuft.
Durch den blockierten Zelltod – auch die Apoptose ist in vielen Krebszellen sozusagen „Außer Betrieb“ – können einzelne LICs auch nach einer Chemo- oder Strahlentherapie überleben und sich sogar wieder vermehren. „Die neu gewonnenen Erkenntnisse über die Auswirkungen des RIPK3-Signalwegs und der freigesetzten Botenstoffe könnten neue Optionen für die Behandlung von Leukämien eröffnen", sagt Philipp Jost. „Wenn es gelänge, mit Medikamenten die Wirkung von RIPK3 künstlich zu erzeugen, könnte man Leukämiezellen gezielt angreifen.“
U. Höckendorf, Mo. Yabal, T. Herold, E. Munkhbaatar, S. Rott, S. Jilg, J. Kauschinger, G. Magnani, F. Reisinger, M. Heuser, H. Kreipe, K.Sotlar, T. Engleitner, R. Rad, W. Weichert, C. Peschel, J. Ruland, M. Heikenwalder, K. Spiekermann, J. Slotta-Huspenina, O. Groß, P. Jost. "RIPK3 Restricts Myeloid Leukemogenesis by Promoting Cell Death and Differentiation of Leukemia Initiating Cells". Cancer Cell Vol. 30:1 (2016). DOI: 10.1016/j.ccell.2016.06.002
Quelle: Pressemitteilung Technische Universität München, 14.07.2016
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