Gesichert ist, dass Darmbakterien ihren Wirt, also den Menschen, beeinflussen. Sie fördern die Aufnahme von Nährstoffen ins Blut, indem sie den Transport durch die Darmzellen beschleunigen und den Fett- und Gallensäure-Stoffwechsel optimieren. Zudem bauen Dickdarmbakterien einen Teil der Ballaststoffe, die der Mensch sonst nicht verwerten könnte, zu kurzkettigen Fettsäuren wie Buttersäure ab – rund 30 Prozent der Stoffwechselprodukte im Blut sind mikrobieller Herkunft. Der erwachsene Mensch beherbergt im Gastrointestinaltrakt circa 1,5 kg Biomasse, deren Hauptanteil Bakterien bilden. Wichtig ist aber auch darauf hinzuweisen, dass der Mensch selbst das Mikrobiom beeinflusst. So haben zum Beispiel genetische Faktoren einen starken modulierenden Einfluss auf die Mikrobiota. Immer mehr Forschungsgelder werden investiert, in renommierten Fachjournalen erscheinen eine Vielzahl an Studien dazu, und auch in den Laien-Medien ist das Mikrobiom ein von Interesse geprägtes Thema geworden.
Aktuell ist von Dr. med. Thomas Hardtmuth, Facharzt für Chirurgie und Thoraxchirurgie, Dozent für Gesundheitswissenschaften, Epidemiologie und Sozialmedizin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, eine Monografie zum Thema „Mikrobiom und Mensch: Die Bedeutung der Mikroorganismen und Viren in Medizin, Evolution und Ökologie“ erschienen. Die Intention des goetheanistisch-anthroposophisch orientierten Werks ist es, zu den Fragen der modernen Mikrobiologie und Genetik einen weiteren Beitrag zu leisten. Der Buchtext enthält zum Teil überarbeitete und erweiterte Fassungen von bereits an anderer Stelle veröffentlichten Artikeln. Im ersten Kapitel werden die Erkenntnisse der modernen Mikrobiomforschung mit einem Schwerpunkt hinsichtlich Bakterien, Archaeen und Pilzen erläutert. Es werden zunächst phänomenologisch die Mikroorganismen in der äußeren Natur und danach das Mikrobiom des Menschen und seine Rolle bei verschiedenen Krankheitsbildern beschrieben. Im zweiten Kapitel geht es um die Viren und ihre zentrale Bedeutung in der Genetik. Der dritte Teil befasst sich mit dem Seuchengeschehen und leitet zu einem systemwissenschaftlichen Verständnis der Mikroorganismen über. In diesem Kapitel wird evident, dass moderne Seuchen beziehungsweise kontagiöse Infektionskrankheiten und Pandemien keine böse Laune der Natur, sondern die logische Folge von globalen ökologischen Verwerfungen beziehungsweise mikrobiellen Dysbalancen durch die Zerstörung unserer Naturgrundlagen sind. Abschließend beleuchtet das fünfte Kapitel die mikrobiologischen Phänomene vor dem Hintergrund eines geisteswissenschaftlich-anthroposophischen Menschen- und Evolutionsverständnisses.
Zusammenfassend: Wie bereits andere publizierte Werke zur Thematik, können auch die zusammengestellten Buchkapitel nur einen partiellen Eindruck von der Menge und Komplexität der Funktionen der humanen Mikrobiota vermitteln. Das Buch kann aber dazu beitragen, ein Glorifizieren der „Microbiomania“ nicht weiter Vorschub zu leisten, denn die Mikrobiomforschung lehrt uns den „peripheren Blick“. Es zeigt sich, dass die gängigen Methoden genetischer und biochemischer Analyse die Komplexität der Zusammenhänge von Mikrobenwelt und Organismus nicht mehr ausreichend erfassen können und diese nur durch ein erweitertes, umkreisorientiertes Systemdenken verständlich werden, so das Fazit des Herausgebers. Ein sehr lesenswertes Buch, das die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Mikrobiomforschung in einem anthropologischen Kontext beleuchtet.
Mikrobiom und Mensch: Die Bedeutung der Mikroorganismen und Viren in Medizin, Evolution und Ökologie. Wege zu einer systemischen Perspektive
Von: Thomas Hardtmuth, Salumed-Verlag, 2021, ISBN: 978–3–928914–42–0, Preis: 38 Euro
Entnommen aus MTA Dialog 8/2022
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